Bundesgerichtshof
Urt. v. 29.10.1981, Az.: 4 StR 512/81
Ablehnung eines Beweisantrages auf Zeugenvernehmung auf Grund eines Wohnortes der Zeugen im Ausland; Durchführung eines Teils der Hauptverhandlung im Ausland; Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage ; Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen für "Ethnologie der türkischen Kultur"
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 29.10.1981
- Aktenzeichen
- 4 StR 512/81
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1981, 11272
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hagen - 16.12.1980
Rechtsgrundlagen
- Art. 12 EuRHÜ
- § 244 Abs. 3 StPO
Fundstelle
- StV 1982, 57
Verfahrensgegenstand
Räuberischer Angriff auf einen Kraftfahrer u.a.
Amtlicher Leitsatz
Zum Schutzbereich des Art. 12 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 29. Oktober 1981,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Salger,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Dr. Spiegel, Hürxthal, Dr. Knoblich, Dr. Ruß als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... in der Verhandlung,
Bundesanwältin ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... als Verteidiger des Angeklagten,
Justizhauptsekretär ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 16. Dezember 1980 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen,
Gründe
Der Angeklagte ist wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub und gefährlicher Körperverletzung - jeweils gemeinschaftlich handelnd - zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Seine Revision, die das Verfahren rügt und die allgemeine Sachbeschwerde erhebt, hat Erfolg.
1.
Die Verfahrensrügen
a)
Die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung der Zeugen K. und S. ist nicht zu beanstanden. Beide wohnen in Frankreich und sind trotz ordnungsgemäßer Ladung im Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Gegenüber der im Ablehnungsbeschluß dargelegten Überzeugung der Kammer, daß diese beiden Zeugen in absehbarer Zeit nicht bereit sind, vor dem erkennenden Gericht auszusagen- der Zeuge Korkut hat dies gegenüber französischen Behörden ohne Einschränkung erklärt - vermag auch die Revision nichts Sichthaltiges vorzutragen, Der Strafkammer bei dieser Sachlage die Pflicht aufzuerlegen, einen Teil der Hauptverhandlung in Frankreich am Aufenthaltsort der Zeugen durchzuführen, ist entgegen der Auffassung der Revision aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1980 - 1 StR 527/80). In einem solchen Falle kommt allenfalls eine Vernehmung der Zeugen durch den ersuchten Richter in Betracht, wenn sie einen Gewinn für die Wahrheitsfindung verspricht (BGHSt 22, 118, 121). Das hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.
b)
Auch die Aufklärungsrüge, die Strafkammer habe versäumt, die geladenen, aber nicht erschienenen Zeugen S. und Hasan Yü., die auf Auslandsanfrage ausdrücklich erklärt hatten, sie seien unter keinen Umstanden bereit, vor dem erkennenden Gericht auszusagen, auf andere Weise "vernehmen zu lassen, dringt nicht durch. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler dargelegt, daß der persönliche Eindruck dieser Zeugen für sie unverzichtbar und daß auch eine Gegenüberstellung mit anderen bereits vernommenen Personen unerläßlich sei. Beides gilt nach dem Wortlaut des Beschlusses auch für die Zeugin Elif Yü. (Bd. III S. 49 d.A.).
c)
Die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung eines Sachverständigen für "Ethnologie der türkischen Kultur" ist rechtlich nicht angreifbar. Auch nach der Begründung der Revisionsschrift sollte dieser Antrag ein Beweisantrag auf Einholung eines sachverständigen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit von Angaben bestimmter Zeugen sein. Dafür aber war, wie der Ablehnungsbeschluß der Strafkammer ohne Rechtsfehler darlegt (Protokoll S. 112), der Sachverständige ein völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO. Zu Recht weist die Strafkammer darauf hin, daß für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage die Verwertung der während der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit unerläßlich sei, daß diese Aufgabe aber allein dem erkennenden Gericht obliege.
d)
Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch gegen die Ablehnung des Hilfsbeweisantrages auf Vernehmung des Bruders des Angeklagten, des früheren Mitangeklagten Mustafa Yi. Die Begründung des Landgerichts auf UA 19, die Verteidigung stelle hinsichtlich des Aufenthaltsortes dieses Zeugen "lediglich Vermutungen" an, trifft nicht zu. In seinem Beweisantrag vom 28. November 1980 (Prot. Bd. III Bl. 123) konnte sich der Verteidiger zur Bekräftigung der von ihm behaupteten "hohen Wahrscheinlichkeit", daß Mustafa unter seiner bisherigen Anschrift zu erreichen ist, hier sogar auf eine Bekundung des Nebenklägers berufen. In seiner Eingabe vom 13. November 1980 (Prot. Bd. III Bl, 22) hatte dieser nämlich mitgeteilt, Mustafa befinde sich wieder (vgl. UA 4) in L.; der in F. wohnende (vgl. Prot. Bd. III Bl. 28) Bruder des Geschädigten habe ihn dort selbst gesehen. Bei dieser Sachlage durfte das Landgericht den Beweisantrag, ohne einen Ladungsversuch unternommen zu haben, nicht wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels ablehnen. Nach Art. 7 und 10 EuÜbkRhSt kann ein in Frankreich lebender Zeuge dort im Wege der Rechtshilfe geladen werden, und nach Art. 12 Abs. 1 a.a.O. darf er, wenn er als Zeuge - nur als solcher sollte Mustafa geladen werden - in der Bundesrepublik vor Gericht erscheint, wegen Handlungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus Frankreich hier nicht verfolgt werden. Gemäß Art. 12 Abs. 3 a.a.O. endet dieser Schutz erst nach dem Ablauf von 15 Tagen nachdem seine Anwesenheit vor Gericht nicht mehr verlangt wird (vgl. BGH NJW 1979, 1788 [BGH 22.03.1979 - 4 StR 691/78]).
Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Zeuge, wenn er unter Hinweis auf die genannten Bestimmungen geladen worden wäre, der Ladung Folge geleistet und seine Aussage zu anderen, für den Angeklagten günstigeren Feststellungen geführt hätte, muß das Urteil insgesamt aufgehoben werden.
2.
Die Sachrüge
Auf die nur allgemein erhobene Sachbeschwerde braucht unter diesen Umständen nicht eingegangen zu werden. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß die Anwendung des § 316 a StGB in den Feststellungen auf UA 20 eine ausreichende Stütze findet (vgl. BGHSt 25, 315). Der Entscheidung in BGH VRS 55, 262 liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde.
Spiegel
Hürxthal
Knoblich
Ruß