Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.07.1981, Az.: VI ZR 35/79
Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden ; Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers; Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers für den Tod eines Patienten ; Schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst; Irrtümer bei der Diagnosestellung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 14.07.1981
- Aktenzeichen
- VI ZR 35/79
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1981, 12254
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- KG Berlin - 22.12.1978
- LG Berlin - 05.01.1978
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1981, 928 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1981, 2360 (amtl. Leitsatz)
Prozessführer
1. Arzt Dr. Hannes D., J., Bad Z.
2. ...
3. Ärztin Dr. Selma N., P. straße ..., B.
Prozessgegner
1. Hausfrau Erika R.
2. Am 25. August ... geborene Marianne R.,
vertreten durch die Klägerin zu 1)
Amtlicher Leitsatz
Das Rechtsmittelgericht hat die Kosten des Rechtsstreits unter den Parteien nach dem Verhältnis des endgültigen Obsiegens und Unterliegens zu verteilen und kann dabei die einen im Rechtsmittelverfahren nicht mehr beteiligten Streitgenossen betreffende Kostenentscheidung der Vorinstanz ändern.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 1981
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters Dr. Weber und
der Richter Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Kullmann und Dr. Ankermann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Drittbeklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22. Dezember 1978 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Januar 1978 wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der gegen die Drittbeklagte gerichteten Klage richtet.
Die Klägerinnen tragen die der Drittbeklagten in erster Instanz erwachsenen außergerichtlichen Kosten voll.
Die Gerichtskosten zweiter Instanz tragen die Klägerinnen zu 7/12, der Erstbeklagte zu 5/12. Von den außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz tragen die Klägerinnen die der Drittbeklagten voll und die des Erstbeklagten zu 1/6 sowie 7/12 der eigenen; der Erstbeklagte trägt 5/6 der eigenen und 5/12 der der Klägerinnen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen den Klägerinnen zur Last, soweit über sie nicht schon durch Senatsbeschluß vom 27. November 1979 entschieden worden ist.
Tatbestand
Am Abend des 12. Dezember 1973 injizierte der von der Erstklägerin herbeigerufene, zum ärztlichen Notfalldienst eingeteilte frühere Erstbeklagte Dr. D. derem damals 68 Jahre alten Ehemann, bei dem er einen hochfiebrigen Zustand mit unklarem Krankheitsbild feststellte, zur Fiebersenkung intramuskulär Novalgin in den linken oberen äußeren Quadranten des Oberschenkels. Er unterließ es, sich vorher die Hände zu waschen und die Injektionsstelle sorgfältig zu desinfizieren.
In der Folgezeit traten bei dem Patienten Schmerzen an der Einstichstelle, am Hinterkopf und am Rücken auf, am anderen Tage auch eine ausgeprägte Schwellung mit einer Verhärtung im Bereich der Einstichstelle. Der in den Morgenstunden des 14. Dezember 1973 herbeigerufene Notfalldienstarzt Dr. F., der frühere Zweitbeklagte, führte dies darauf zurück, daß durch die Injektion ein Nerv getroffen sein könnte, und verordnete ihm Novalgin-Chinin sowie Baycillin. Am Abend des 14. Dezember untersuchte die Drittbeklagte, die Hausärztin der Erstklägerin und ihres Ehemannes, diesen und bestätigte wegen des Allgemeinzustandes des Patienten die Verordnungen des Dr. F. Sie befaßte sich auch mit der Injektionsstelle und stellte dort eine 3 cm große Verhärtung fest, jedoch keine Wärme oder Rötung. Sie empfahl, diese Stelle mit einer von ihr verordneten Heilsalbe einzureihen. Außerdem wies sie die Erstklägerin an, sie zu benachrichtigen, falls sich der Zustand des Patienten verschlimmern sollte. Die Erstklägerin rief jedoch erst am frühen Morgen des 17.
Dezember 1973 den Notfalldienstarzt Dr. A. herbei, der ihren Ehemann sofort in ein Krankenhaus einwies, wo er kurze Zeit später verstarb. Die Obduktion ergab als Todesursache ein Herz- und Kreislaufversagen, dessen Ursache eine im linken Gesäßbereich absteigende und bis zum Kniegelenk reichende Phlegmone war.
Die Erstklägerin und ihre Tochter, die Zweitklägerin, verlangen jetzt noch von dem Erstbeklagten und der Drittbeklagten Ersatz des ihnen entstandenen materiellen Schadens und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für Zukunftsschäden. Sie werfen insbesondere der Drittbeklagten vor, sie hätte mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit einer Phlegmone, die sie hätte in Betracht ziehen müssen, den Patienten schon am Abend des 14. Dezember 1973 in ein Krankenhaus einweisen, mindestens aber von sich aus am nächsten Tage dessen Gesundheitszustand kontrollieren müssen. Er hätte dann noch gerettet werden können.
Das Landgericht hat die Klage auf Ersatz der materiellen Schäden gegen den Erstbeklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, die gegen die anderen Beklagten gerichtete Klage indessen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Erstbeklagten zurückgewiesen. Auf die Berufung der Klägerinnen, mit der diese ihre Ansprüche gegen die Drittbeklagte weiter verfolgten, hat das Berufungsgericht deren Klage auch insoweit dem Grunde nach stattgegeben und die Ersatzpflicht der Drittbeklagten für Zukunftsschäden festgestellt.
Mit ihrer Revision begehrt die Drittbeklagte die Wiederherstellung des klagabweisenden landgerichtlichen Urteils. Die Revision des Erstbeklagten hat der Senat nicht angenommen (§ 554 b ZPO).
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht sieht einen groben ärztlichen Behandlungsfehler des (früheren) Erstbeklagten darin, daß er sich vor der Injektion nicht die Hände reinigte und die Einstichstelle nicht ordnungsgemäß desinfizierte. Das sei generell geeignet gewesen, die Phlegmone zu verursachen, die letztlich zum Tode des Patienten geführt habe. Den ihm angesichts seines groben Fehlers obliegenden Beweis für einen anderen Ursachenverlauf habe der (frühere) Erstbeklagte nicht geführt. Aber auch die Drittbeklagte, so meint das Berufungsgericht, habe den Tod des Patienten schuldhaft mit herbeigeführt. Anders als das Landgericht, das nur einfaches Verschulden angenommen hat, sieht das Berufungsgericht einen groben Behandlungsfehler der Drittbeklagten darin, daß sie den Patienten am Abend des 14. Dezember 1973 nicht zur weiteren Diagnostizierung seines Zustandes in ein Krankenhaus eingewiesen oder sich wenigstens selbst an den folgenden Tagen von seinem Gesundheitszustand überzeugt habe. Die Verhärtung an der Einstichstelle, die dort bestehenden Schmerzzustände und der Druckschmerz im Bereich des mittleren linken Gesäßmuskels bei tiefer Impression habe, insbesondere angesichts des geschwächten Allgemeinzustandes des Patienten, bereits einen gefährlichen Zustand erkennen lassen, so daß die Drittbeklagte nicht nur einen Spritzenabszeß, sondern auch eine tief gelegene, gefährliche Phlegmone hätte in Betracht ziehen müssen. Sie habe sich nicht darauf verlassen dürfen, daß die Erstklägerin als medizinische Laiin noch rechtzeitig für die Einweisung ihres Ehemannes in ein Krankenhaus hätte sorgen können. Der Umstand, daß dieser am Abend des 14. Dezember fieberfrei gewesen sei und nach ihren, der Drittbeklagten, Angaben vor allem die Ursache seiner Erkrankung habe wissen wollen, mindere ihre Leichtfertigkeit (BU S. 14) nicht, weil sie infolge der ihr bekannten Verordnung von Antibiotika und Schmerztabletten mit einer Verschleierung des Symptombildes hätte rechnen müssen. Auch sie habe den ihr danach obliegenden Nachweis der mangelnden Ursächlichkeit ihres Behandlungsfehlers für den Tod des Patienten nicht führen können, so daß sie für den den klagenden Hinterbliebenen entstandenen Schaden hafte.
II.
Diese Begründung hält den Revisionsangriffen nicht stand.
1.
Die Revision meint, eine Beweislastumkehr zu Lasten der Drittbeklagten (demnächst: der Beklagten) hinsichtlich der Kausalität zwischen ihrem Behandlungsfehler und dem Tod des Patienten komme schon deswegen nicht in Betracht, weil sie selbst keinen Eingriff am Patienten vorgenommen, sondern allenfalls eine ärztlich gebotene Maßnahme unterlassen habe; infolge dessen sei der Tod des Patienten nicht eine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare Folge eines Behandlungsfehlers der Drittbeklagten. Dieser Rechtsauffassung der Revision kann nicht gefolgt werden; zu Unrecht beruft sie sich dafür auf das Senatsurteil vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - (NJW 1978, 1683 [BGH 09.05.1978 - VI ZR 81/77] = VersR 1978, 764 m.w.Nachw.).
Das Unterlassen einer gebotenen ärztlichen Maßnahme, sei es auch nur der erforderlich werdenden Überweisung zur Weiterbehandlung an einen Spezialisten, der über das notwendige Instrumentarium zur Diagnose und Therapie verfügt, ist ebenso wie ein Eingriff in den Körper des Patienten durch positives Tun, sofern es nach dem von dem Arzt zu fordernden Wissens- und Kenntnisstand fehlerhaft war, ein ärztlicher Behandlungsfehler. Wenn die Einweisung in ein Krankenhaus und die dort mögliche Weiterbehandlung den Patienten gerettet hätte, dann besteht nicht bloß ein mittelbarer, sondern ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Tode des Patienten. Die Unaufklärbarkeit des Ursachenverlaufes im Streitfall ist prägnanter Ausdruck des zusätzlichen Risikos, mit dem die Beklagte die Chancen einer Behandlung und Heilung der Phlegmone belastet hat. Deshalb ist die zum Tode des Patienten führende Entwicklung und Ausbreitung der Phlegmone kein sog. Sekundärschaden, für den die Beweislasterleichterung zu Gunsten des Patienten nicht gelten würde. Die von der Rechtsprechung entwickelten Rechtssätze über die Umkehr der Beweislast gelten selbstverständlich nicht nur für fehlerhaftes positives Handeln des Arztes, sondern auch für seine Versäumnisse (BGHZ 72, 132, 136).
2.
Mit Recht rügt aber die Revision, daß die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausreichen, um einen schweren Behandlungsfehler der Beklagten, der in der Unterlassung der Krankenhauseinweisung oder der - selbständigen - Weiterbeobachtung des Patienten nach dem Besuch am Abend des 14. Dezember liegen könnte, anzunehmen.
a)
Daß der Beklagten überhaupt ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, hat das Oberlandesgericht unter Berufung auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. B. fehlerfrei angenommen; das greift auch die Revision nicht an. Die Beklagte hätte angesichts des Alters des Patienten, des bisherigen Krankheitsverlaufes, der seit der Injektion schon zwei Tage anhaltenden Schmerzempfindungen im Bereich der Einstichstelle und insbesondere der dort festgestellten oberflächlichen Verhärtung der Haut die Gefahr einer mit ihren verfügbaren diagnostischen Mitteln nicht erkennbaren, sich entwickelnden oder bereits begonnenen Phlegmone in Betracht ziehen und den Patienten zur Sicherheit in ein Krankenhaus einweisen müssen.
b)
Da im Streitfall nicht aufzuklären ist, ob dieser Fehler der Beklagten mitursächlich für den Tod des Patienten geworden ist, kommt ihre Mithaftung nur dann in Betracht, wenn es sich dabei um einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst gehandelt hatte, deren Kenntnis bei einer Ärztin für Allgemein-Medizin in der sich hier äußerlich darbietenden Situation vorausgesetzt werden muß; denn nur dann könnten den Klägerinnen Beweiserleichterungen hinsichtlich des Ursachenverlaufs, die bis zur Umkehr der Beweislast gehen können, zugute kommen. Vorzuwerfen ist der Beklagten im Streitfall letztlich ein Fehler bei der Diagnosestellung. Sie hätte aus den ihr geklagten und mit den ihr zur Verfügung stehenden Untersuchungsmitteln auch objektiv feststellbaren Symptomen schließen müssen, daß die Gefahr einer sich aus einem Spritzenabszeß entwickelnden, angesichts des geschwächten Zustandes des Patienten für ihn lebensbedrohenden Phlegmone bestand, und deshalb den Patienten zur weiteren Diagnosestellung und Behandlung in ein Krankenhaus einweisen müssen, Irrtümer bei der Diagnosestellung kommen nun in der Praxis häufig vor; sie sind oft nicht einmal die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome der Erkrankungen sind nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen, selbst wenn Gelegenheit besteht, die vielfachen technischen Hilfsmittel zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen. Erst recht sind vorläufige Diagnosen, wie sie etwa alsbald zum Zwecke der Entscheidung darüber gestellt werden müssen, ob der Patient eine Spezialbehandlung braucht, mit hohen Unsicherheitsfaktoren belastet. Das entbindet den Arzt jedoch nicht von der Verpflichtung, sein Können und Wissen sorgfältig einzusetzen und die Risiken für den Patienten gewissenhaft abzuwägen. Hat er insoweit etwas versäumt, muß er für die Folgen seines dann möglicherweise vorwerfbaren Irrtums ebenso einstehen wie bei anderen Behandlungsfehlern. Indessen muß wegen der aufgezeigten Unsicherheiten die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden. Es muß schon ein fundamentaler Diagnoseirrtum vorliegen. Im Streitfall, in dem es um die Entscheidung ging, ob eine sofortige Krankenhauseinweisungangezeigt war, muß die Gefahr, die mit einem Abwarten des weiteren Krankheitsverlaufes verbunden war, für den Arzt auf der Hand gelegen haben.
Das hat das Berufungsgericht verkannt und hat deshalb über das ihm eingeräumte tatrichterliche Ermessen bei der Beurteilung der Schwere des ärztlichen Behandlungsfehlers hinaus den Irrtum der Beklagten bei der Diagnosestellung rechtsirrig als "leichtfertig" und damit als einen fundamentalen Diagnoseirrtum angesehen. Der Sachverständige B., auf dessen Ausführungen sich das Berufungsgericht stützt, hat sich in seinem schriftlichen Gutachten einer Beurteilung über den Grad des Verschuldens der Beklagten enthalten, obwohl er vom Landgericht ausdrücklich auch darüber befragt worden war. Zwar hat er u.a. ausgeführt, der Befund, wie ihn die Beklagte bei ihrem Hausbesuch erhoben hatte, habe eine Verschlimmerung des Verlaufes angezeigt und bei dem Alter des Patienten und angesichts der schon seit zwei Tagen anhaltenden Schmerzen an der Injektionsstelle eine genaue diagnostische Erhebung "herausgefordert". Die Wahl dieses Ausdrucks sollte aber offensichtlich nicht besagen, daß nach Ansicht des Sachverständigen die Notwendigkeit einer sofortigen Krankenhauseinweisung auf der Hand gelegen hatte. Das ergibt sich schon daraus, daß, wie auch das Berufungsgericht annimmt, das Krankheitsbild durch die vorausgegangene Behandlung mit Antibiotika und Schmerzmitteln verschleiert war (u.a. war der Patient inzwischen fieberfrei), und daß jedenfalls nicht schon Anzeichen für eine akute Verschlimmerung des in Erwägung zu ziehenden Spritzenabsassses und der Entwicklung einer Phlegmone vorlagen. Dem Sachverständigen reichten, wie er ausgeführt hat, die "Voraussetzungen" (gemeint sind die ihm mitgeteilten Fakten) nicht aus, um zur Schwere des ärztlichen Versagens Stellung zu nehmen; u.a. kam es für ihn darauf an, ob die Beklagte tatsächlich im Verschlimmerungsfall, wie sie zugesagt hatte, jederzeit erreichbar gewesen wäre. Die Beklagte hat daraufhin eine eingehende Darstellung der von ihr anläßlich ihres Hausbesuches erhobenen Befunde und ihrer daran sich anschließenden Überlegungen und Maßnahmen gegeben. Dem sind die Klägerinnen nicht im einzelnen entgegengetreten.
Bei dieser Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß die Beklagte sich nicht etwa mit einer oberflächlichen Untersuchung des Patienten beruhigt, sondern sich um dessen Zustand ernsthafte Gedanken gemacht hat. Ihre Anweisung, sie im Verschlimmerungsfalle zu holen, war ernst gemeint und zu verwirklichen; sie war auch am Wochenende und außerhalb ihrer Sprechstunde für die Klägerinnen, da sie ihnen gegenüber wohnte, leicht erreichbar. Ihr Irrtum über die Gefahr einer sich bildenden Phlegmone und auch ihre falsche Einschätzung dessen, was die Erstklägerin als Verschlimmerungsfall werde ansehen können, so daß sie sie hätte rufen müssen, sind sicherlich Fehler, die ihr nicht hätten unterlaufen dürfen. Ein krasses Versagen liegt aber auch dann nicht vor, wenn ihr Irrtum zum Tode des Patienten führen konnte, weil eine solche Gefahr angesichts aller Umstände für sie nicht offen zu Tage lag. Jedenfalls ist ihr Versäumnis nicht derartig schwer, daß ihr die Klägerinnen das Beweisrisiko des letalen Ausgangs überbürden dürften.
3.
Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu treffen sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden, ohne daß es noch auf die Frage ankommt, ob der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem Fehler der Beklagten und dem Tode des Patienten im Streitfall die Beweislastumkehr hätte rechtfertigen können. Die Klage gegen die Drittbeklagte muß abgewiesen werden, weil die Klägerinnen nicht bewiesen haben, daß der Behandlungsfehler der Beklagten den Tod des Patienten mitverursacht hat. Damit war die Berufung der Klägerinnen gegen das klagabweisende Urteil des Landgerichts, soweit es die Beklagte betrifft, zurückzuweisen.
Dabei sieht sich der Senat nicht daran gehindert, die Kosten der Berufungsinstanz entsprechend dem Ergebnis des Rechtsstreits, wie es sich nach Abschluß der Revisionsinstanz darstellt, unter den beteiligten Parteien zu verteilen, obwohl die Verurteilung des Erstbeklagten in der Sache infolge der Nichtannahme seiner Revision rechtskräftig geworden ist. Die Rechtskraft dieser Verurteilung ergreift die gegen ihn ergangene Kostenentscheidung nämlich nur insoweit, als er im Rahmen seiner streitgenössischen Beteiligung endgültig unterlegen ist (ebenso im Ergebnis OLG Königsberg, OLGZ 21, 85; OLG Düsseldorf, VersR 1981, 537; anscheinend auch Urteil des RG vom 11. November 1931 - I 82/31 - Nachschlagewerk § 536 ZPO Nr. 35; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 97 A III c für den Fall der Abänderung zu Gunsten des ausgeschiedenen Streitgenossen; a.A. Wieczorek, ZPO, 1. Aufl., § 536 B III a; E. Schneider, Kostenentscheidung im Zivilurteil, 2. Aufl., 1977, S. 248 ff.; OLG Köln, JMBl NW 1979, 149 = JB 1979, 1067; zustimmend Thomas/Putzo, ZPO, 11. Aufl., § 100 Anm. 1 c und Baumbach/Albers, ZPO, 39. Aufl., § 536 Anm. 3).
Über die Kosten eines Rechtsstreits ist in der Regel einheitlich zu entscheiden. Sind auf einer oder beiden Seiten mehrere Streitgenossen beteiligt gewesen, ergibt sich aus dem Grundgedanken des § 92 ZPO, daß die Kostenverteilung den jeweiligen Umfang ihres Obsiegens oder Unterliegens im Verhältnis zu den anderen Prozeßbeteiligten berücksichtigen muß. Eine ausdrückliche Regelung dieser Fälle fehlt im Gesetz; § 100 ZPO betrifft seinem Wortlaut nach nur den Fall des (vollständigen) Unterliegens mehrerer Beteiligter. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht aber seit langem im Grundsatz Einigkeit darüber, daß die unterschiedliche Beteiligung am Ausgang des Prozesses auch im übrigen in der Kostenentscheidung zum Ausdruck kommen muß. Die danach vorzunehmende Verteilung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten steht aber, soweit sie letztlich auf der Mithaftung für Streitgenossen beruht, notwendigerweise unter dem Vorbehalt, daß sich das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens zwischen den Streitgenossen nicht nachträglich verschiebt. Das ergibt sich aus folgender Überlegung: Sind, wie im Streitfall, zwei Streitgenossen im Berufungsrechtszug zunächst unterlegen, so haben sie kraft eigenen Unterliegens (gleichmäßige Beteiligung am Rechtsstreit vorausgesetzt) im wirtschaftlichen Ergebnis jeweils die Hälfte der Gerichtskosten und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klagepartei zu tragen. Daß ihnen die Verpflichtung zur Kostentragung darüber hinaus auch für die andere Hälfte der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klagepartei auferlegt wird, beruht darauf, daß jeder von ihnen als Gesamtschuldner für die Kosten des anderen mithaftet (§ 100 Abs. 4 ZPO). Das Obsiegen des anderen Streitgenossen gegen die Klagepartei in der Rechtsmittelinstanz stellt diesen von der Kostenpflicht hinsichtlich der Hälfte der Gerichtskosten und der Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klagepartei frei. Damit wird auch der Mithaftung des am Rechtsmittelverfahren nicht mehr beteiligten Streitgenossen für diesen Kostenanteil der Boden entzogen. Es verbleibt nur bei seiner eigenen, aus dem Unterliegen folgenden Kostenbelastung. Deshalb steht eine Rechtskraft der Kostenentscheidung im Verhältnis zwischen Kläger und aus dem Prozeß ausgeschiedenem Beklagten der im Ergebnis gerechten Kostenverteilung nach dem wirklichen Verhältnis des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens durch das Rechtsmittelgericht nicht entgegen.
Das Ergebnis entspricht dem in § 308 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck gekommenen Gedanken, daß über die Kosten des Rechtsstreits von Amts wegen zu entscheiden ist, also ohne Rücksicht auf Anträge oder Anregungen der Parteien als Folge der letztlich zwischen ihnen ergehenden Sachentscheidung. Ebenso wie aus diesem Grund der Rechtsmittelkläger auch eine Verschlechterung der Kostenentscheidung in der Rechtsmittelinstanz hinzunehmen hat, soll die nur einen Teil der Prozeßparteien betreffende Rechtskraft der materiellen Entscheidung die im Ergebnis richtige Kostenverteilung zwischen allen Beteiligten nicht hindern, selbst wenn einer der Prozeßbeteiligten infolge der materiellen Rechtskraft der für oder gegen ihn ergangenen Entscheidung bereits aus dem Prozeß ausgeschieden ist. Die vom OLG Köln und E. Schneider a.a.O. gegen eine Änderung der den ausgeschiedenen Streitgenossen betreffenden Kostenentscheidung mit der Erwägung erhobenen Bedenken, sie könne gegen Art. 103 Abs. 3 GG verstoßen, weil das rechtliche Gehör des am Prozeß nicht mehr beteiligten Dritten nicht gewahrt sei, greifen im Streitfall schon deswegen nicht durch, weil die Kostenentscheidung zu seinen Gunsten abgeändert wird. In einem solchen Fall ist eine Anhörung des Betroffenen entbehrlich (BVerfG 6, 12, 14; 7, 95, 98 und ständig).
Der VIII. Zivilsenat hat auf Antrage erklärt, daß er an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung (Urt. v. 26. November 1980 - VIII ZR 298/79 -, insoweit in WM 1981, 1211 und BB 1981, 266 nicht veröffentlicht) nicht festhält.
Dr. Steffen Zugleich für den durch Krankheit an der Unterschrift verhinderten Dr. Weber Scheffen
Dr. Kullmann
Dr. Ankermann