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Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.01.1981, Az.: VI ZR 204/79

Prüfung der Adäquanz für verhaltensbezogene Zurechnungsmerkmale bei der Gefährdungshaftung; Schadensersatzanspruch wegen Einsturz eines Daches bei Überfliegen mit Hubschrauber; Mitverschulden von Dacheinsturz durch fehlerhafte Errichtung; Sinn und Zweck der Adäquanz als Grenze für die haftungsrechtliche Zurechnung ; Anforderungen an Beweislastumkehr des § 836 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
27.01.1981
Aktenzeichen
VI ZR 204/79
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1981, 12511
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Koblenz - 13.07.1979
LG Mainz

Fundstellen

  • BGHZ 79, 259 - 264
  • JZ 1981, 314-315 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1981, 483-484 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1981, 983-984 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Landwirt Karl L., E. gasse ..., Ü.

Prozessgegner

Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch den Minister für Verteidigung,
dieser vertreten durch den Präsidenten der Wehrbereichsverwaltung IV, W.

Amtlicher Leitsatz

Im Rahmen der reinen Gefährdungshaftung ist bei der Prüfung der sog. Adäquanz für verhaltensbezogene Zurechnungsmerkmale in der Regel kein Raum.

Die Vorschriften des § 836 BGB begründen keine Vermutung für ein Mitverschulden des Besitzers, soweit das Gebäude selbst durch einen Dritten beschädigt wird.

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 1981
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Weber und
die Richter Dunz, Scheffen, Dr. Kullmann und Dr. Ankermann
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Juli 1979 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Am 15. Oktober 1973 überflog ein Hubschrauber in geringer Höhe das Anwesen des Klägers in Ülversheim. Dabei stürzte an einem Wirtschaftsgebäude ein Teil des Daches ein. Das Dach war insgesamt etwa 90 Jahre alt, doch war der jetzt eingestürzte Teil im Jahre 1939 baulich verändert worden.

2

Der Kläger behauptet, es habe sich um einen Militärhubschrauber der beklagten Bundesrepublik gehandelt. Dieser müsse, sofern er nicht mit den Kufen das Dach gestreift habe, über demselben ein Wendemanöver ausgeführt und durch die dabei ausgelösten wesentlich stärkeren Druckkräfte das an sich standfeste Dach zum Einsturz gebracht haben. Er begehrt Ersatz, vor allem gestützt auf § 33 LuftVG, der für die Wiederherstellung des Daches aufgewandten Kosten.

3

Die Beklagte ist der Auffassung, der Teileinsturz des Daches sei allein auf Baufehler bei der Reparatur im Jahre 1939 zurückzuführen, weil damals die Fußpunkte der Dachbinder mangelhaft verankert worden seien.

4

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision verfolgt sie weiter.

Entscheidungsgründe

5

I.

1.

Das Berufungsurteil stellt tatbestandlich fest, daß sich der Einsturz des Dachteiles im Zusammenhang mit dessen (geradlinigem) Überfliegen durch "einen" Hubschrauber in geringer Höhe ereignet hat. Offenbar will es auch einen (natürlichen) Verursachungszusammenhang zwischen den beiden Ereignissen nicht in Zweifel ziehen. Jedenfalls für die Revisionsprüfung ist damit von einem solchen Zusammenhang auszugehen. Ob es sich dabei um einen Hubschrauber der Bundeswehr gehandelt hat (was der Erstrichter als unstreitig festgestellt hatte) bleibt unklar. Auch die weitgehende Verweisung auf das erste Urteil erlaubt es nicht, von einer solchen Feststellung des Berufungsgerichts auszugehen, da die Beklagte die Beteiligung eines Hubschraubers der Bundeswehr im Berufungsverfahren ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten hat (Abl. 279 f). Indessen ist damit ebenfalls für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß es sich tatsächlich um einen Bundeswehrhubschrauber handelte.

6

2.

Das Berufungsgericht meint, der Schadensfall habe nach einer "sich zwangsläufig aufdrängenden Überzeugung" seine wesentliche Ursache in dem unstabilen Zustand des Daches gehabt. Dazu stellt es, gestützt auf die vom Landgericht in Anspruch genommene sachverständige Beratung, fest:

7

Die "Bausünde", die letztlich und wesentlich zum Einsturz geführt habe, bestehe darin, daß bei dem 1939 erneuerten Dachteil die Fußpunkte nicht ausreichend verklammert und die Streben in dem Zugband, auf dem sie auflagen, nicht eingesetzt gewesen seien. Eine plausible Erklärung für den Einsturz sei darin zu finden, daß durch die periodischen Schwellbelastungen, die der Hubschrauber-Rotor auf dem Dach erzeugt habe, dort Schwingungen eingesetzt hätten. Diese hätten die Reibungskräfte am Fußpunkt der Streben zum Zugband hin vermindert, hierdurch die Horizontalkräfte verstärkt und bewirkt, daß die Konstruktion nicht mehr von den 1939 verwendeten Bauklammern, denen jede stabilisierende Wirkung abzusprechen sei, hätten gehalten werden können.

8

Daran knüpft das Berufungsgericht seine Rechtsmeinung, daß die Verursachung des Einsturzes durch den Hubschrauber nicht adäquat, weil "nach Treu und Glauben und allgemeiner Verkehrsanschauung" nicht dessen Betrieb zurechenbar sei. Ein Luftstaudruck von festgestelltermaßen höchstens 14-15 kp/qm habe ein auch nur annähernd nach den Regeln der Baukunst errichtetes Dach nicht beeinträchtigen können. Im übrigen sei nicht bekannt geworden, daß Hubschrauber durch Luftstaudruck Dächer zu Schaden oder Einsturz bringen könnten. Angesichts der mancherlei Belastungen durch die moderne Technik sei es der Umwelt zuzumuten, Belastungen zu ertragen, die nach allgemeiner Voraussicht nach dem gewöhnlichen Verlauf, hier bei Erfüllung der Mindestanforderungen an die Standfestigkeit baulicher Anlagen, zu einem Schaden nicht führen könnten.

9

Hilfsweise erwägt das Berufungsgericht noch:

10

Da gemäß § 34 LuftVG ggf. auch § 254 BGB anwendbar sei, sei ein Mitverschulden des Klägers an der fehlerhaften Errichtung des Daches (Dachteils) gemäß § 836 BGB zu vermuten und müsse dann dazu führen, daß im Rahmen der damit gebotenen Verschuldensabwägung die ganze Verantwortung für den Schaden dem Kläger zuzurechnen sei.

11

II.

Diese Begründung hält in mehrfacher Hinsicht der rechtlichen Prüfung nicht stand.

12

1.

Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts über den baulichen Zustand des eingestürzten Dachteils greift die Revision mit Verfahrensrügen an, da sie einschlägige Beweisanträge des Klägers übergangen sieht. Die Berechtigung dieser Rügen braucht derzeit nicht geprüft zu werden, denn auch aufgrund der getroffenen Feststellungen hat die angefochtene Entscheidung aus Gründen des sachlichen Rechts keinen Bestand. Die deshalb notwendige Zurückverweisung wird dem Kläger Gelegenheit geben, seine Beweisanträge vor dem Tatrichter weiter zu verfolgen.

13

2.

Das Berufungsurteil stützt sich in erster Linie auf die Meinung, es fehle hinsichtlich der Verursachung des Schadens durch den Hubschrauber an dem Erfordernis der "Adäquanz". Diese Meinung ist von Mißverständnissen beeinflußt.

14

Das "Filter" der Adäquanz - von einer überholten Rechtsdogmatik einer besonderen juristischen Kausalität zugerechnet - ist heute allgemein als Ausgrenzung derjenigen Kausalverläufe anerkannt, die dem Verantwortlichen billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können. Das dürfte auch das Berufungsgericht nicht verkennen.

15

Das Berufungsgericht verkennt aber mindestens, daß Sinn und Zweck dieser Grenze für die haftungsrechtliche Zurechnung verschieden sind, je nachdem, ob es sich um eine Haftung aus Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt handelt (insbesondere fahrlässige Verstöße gegen § 823 Abs. 1 BGB), oder ob eine reine Gefährdungshaftung in Frage steht, wie sie in der hier jedenfalls eingreifenden Vorschrift des § 33 (i.V.m. § 53) LuftVG gegeben ist.

16

a)

Soweit im Bereich der Haftung für Fahrlässigkeit (vorsätzlich herbeigeführte Tatfolgen sind immer "adäquat": so u.a. Lange, JZ 76, 198, 200) ganz ungewöhnliche oder unerwartete Verläufe aus dem Haftungszusammenhang auszugrenzen sind, ist dies untrennbar mit dem Inhalt der konkreten Sorgfaltspflicht (allgemeiner: der der Haftungsfolge zugrundeliegenden Verhaltensnorm) verbunden. Die Sorgfaltspflicht geht nicht auch dahin, solchen Folgen vorzubeugen, die entweder auch für einen optimalen Beobachter nicht voraussehbar waren (vgl. BGHZ 3, 261, 266), oder aber zwar abstrakt voraussehbar, aber immerhin so fernliegend waren, daß der Aufwand für eine Vorbeugung nicht mehr zumutbar erscheint, etwa auch deshalb, weil dem Gefährdeten eine Vorbeugung eher möglich und zumutbar ist (für alles vgl. zuletzt Esser/Weyers, Schuldrecht, 5. Aufl. Bd. II 2 § 55 II 3 d S. 152 f.).

17

b)

Ob nach diesen Grundsätzen die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände eine Verneinung der Haftung schon dem Grunde nach rechtfertigen könnten, braucht nicht entschieden zu werden, weil hier gegebenenfalls in vollem Umfange (auch ohne den Einwand der höheren Gewalt oder eines unabwendbaren Ereignisses) die Gefährdungshaftung eingreift, die insoweit anderen Grundsätzen unterliegt.

18

Einer Gefährdungshaftung liegen keine Verhaltenspflichten zugrunde, vielmehr dient sie dazu, die Auswirkungen einer konkreten, im Regelfall erlaubtermaßen gesetzten Gefahr auszugleichen. Damit kommt es nicht darauf an, ob der festgestellte Schadensfall anhand bisheriger Erfahrungen vorausgesehen werden mußte (so allerdings Schleicher/Reymann/Abraham, Recht der Luftfahrt, Bd. II, § 30 LuftVG Anm. 8), sondern nur darauf, ob es sich um eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll (so schon BGHZ 37, 311, 317 f [BGH 03.07.1962 - VI ZR 184/61]ür die Haftung aus der Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs und Steffen in Krumme, Straßenverkehrsrecht § 7 StVG Rdn. 11; Deutsch, Haftungsrecht I § 11 V 11 S. 154; Lange, Schadensersatz § 3 X 9 S. 86). Daran, daß die Beschädigung eines Gebäudes durch den Luftstaudruck eines Hubschraubers zu den zu deckenden Gefahren gehört (gleich ob derlei bisher schon bekannt war oder nicht), kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Es ist auch offensichtlich, daß gerade solche Gebäude besonders gefährdet sein müssen, die gewisse Stabilitätsmängel aufweisen. Daß derlei bei der Bemessung des zu leistenden Ersatzes eine Rolle spielen wird, steht auf einem anderen Blatt.

19

Das bedeutet allerdings nicht, daß im Bereich der reinen Gefährdungshaftung der ursächlichen Zurechnung von letzten Endes schädigenden Auswirkungen Grenzen nicht gesetzt wären. Sie ergeben sich vielmehr immer dort, wo es sich nicht mehr um eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos stellen will. So wäre im Streitfall die "Adäquanzgrenze" wohl überschritten, wenn die zum Einsturz führende Erschütterung etwa in gleicher Weise auch von einem erlaubtermaßen vorbeifahrenden, den Zulassungsvorschriften entsprechenden Straßenfahrzeug hätte ausgehen können (vgl. auch den FaII RGZ 158, 34, 39: Schädigung "besonders empfindlicher" Silberfüchse). Das aber ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sicher auszuschließen.

20

Nicht nur hatte das Dach trotz seiner festgestelltermaßen den Regeln der Baukunst nicht voll entsprechenden Beschaffenheit ein Menschenalter lang den laufenden, der Lage entsprechend allerdings nicht extremen Sturm- und Schneebelastungen standgehalten. Bei der Schadensentstehung sind vielmehr nach der Feststellung des Tatrichters auch noch gerade die der Hubschraubereinwirkung eigenen Schwellbelastungen wirksam geworden und haben zu den schließlich die Reibungskräfte ausschaltenden Schwingungen geführt.

21

Damit läßt sich eine Gefährdungshaftung der Beklagten auch aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schlechthin verneinen. In welchem Umfange die Schadensersatzansprüche des Klägers wegen der Mangelhaftigkeit des eingestürzten Dachteils (soweit deren Feststellung Bestand hat) zu mindern sind, wird der Tatrichter im Zuge der neuerlichen Entscheidung zu beurteilen haben.

22

3.

Die Aufhebung des angefochtenen Urteils erübrigt sich auch nicht etwa aufgrund der Hilfserwägungen, die das Berufungsgericht an § 254 BGB anknüpft.

23

a)

Wenn das Berufungsgericht insoweit ausschließlich auf eine Beweislastumkehr zu Lasten des Klägers abstellt, die es aus einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 836 BGB entnehmen will, dann ist schon nicht ersichtlich, was hier als beweisbedürftig angesehen werden soll. Da der seinerzeit bei der Dachinstandsetzung tätig gewesene Zimmermann noch lebt und als Zeuge gehört worden ist, hätte das Berufungsgericht in erster Linie prüfen müssen, ob der damit weitgehend feststellbare Sachverhalt sich im Sinne eines Verschuldens des Besitzers, der einen qualifizierten Handwerker herangezogen hatte, werten läßt. Diese Wertung ist nicht einmal im Ansatz erfolgt. Auch wird nicht ersichtlich, welche bisher gar nicht behaupteten weiteren Umstände auf ein Verschulden des Klägers gegen sich selbst hinweisen könnten und daher ausgeschlossen werden müßten. Daß dieser allerdings in jenem Zeitpunkt ohnehin noch nicht der Besitzer des Anwesens gewesen sei, wird, soweit ersichtlich, erstmals mit der Revision vorgetragen und muß daher außer Betracht bleiben. Nach der gebotenen Zurückverweisung mag dieser neue Vortrag ggf. Berücksichtigung finden.

24

b)

Für die vom Berufungsgericht angenommene Beweislastumkehr ist aber überdies bei der hier gegebenen Konstellation kein Raum. § 836 BGB regelt den Fall, daß durch den Einsturz eines Gebäudes ein Mensch getötet oder verletzt oder eine (scl. andere) Sache beschädigt wird. In diesem Falle soll dem geschädigten Dritten ein Beweisvorteil geboten werden, weil er im Regelfall hinsichtlich der dem Besitzer ggf. zum Verschulden gereichenden Umstände kaum über Aufklärungsmöglichkeiten verfügt. Nichts spricht jedoch für eine entsprechende Anwendung dieses Grundsatzes auf den Fall, daß ein Dritter das Gebäude beschädigt hat. Vielmehr würde es eine kaum verständliche Durchbrechung des Grundsatzes darstellen, daß das "eigene Mitverschulden" des Geschädigten vom Schädiger voll zu beweisen ist, wenn der Eigentümer bzw. Besitzer eines Gebäudes im Falle einer Fremdbeschädigung seinerseits nachweisen müßte, daß ihn an dem Schaden kein Mitverschulden trifft.

25

Die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Fälle von der Art des vorliegenden ist daher abzulehnen.

26

c)

Nach allem wird das Berufungsgericht, soweit es darauf ankommen sollte, die Frage, ob dem Kläger ein Mitverschulden an seinem Schaden zur Last fällt, insgesamt neu zu überprüfen haben. An Bedeutung muß sie freilich schon dadurch verlieren, daß der Kläger keinesfalls die Herstellung eines nunmehr einwandfreien Dachstuhls als Schadensersatz verlangen könnte, falls der alte einen schweren und gefährlichen Mangel aufwies, gleich ob er sich diesen Mangel verantwortlich zurechnen lassen muß oder nicht (vgl. BGHZ 30, 29). Doch dürfte darüber hinaus noch ein Bereich bleiben, innerhalb dessen sich ein etwaiges Mitverschulden des Klägers auswirken konnte, etwa, soweit durch den gewaltsamen Einsturz anders als bei einer handwerklichen Erneuerung des Dachstuhls unterliegendes Mauerwerk beschädigt worden ist.

Dr. Weber
Dunz
Scheffen
Dr. Kullmann
Dr. Ankermann