Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.04.1978, Az.: 4 StR 143/78
Tötung in Verdeckungsabsicht solange noch nicht alle die Strafverfolgung sicherstellenden Tatsachen aufgedeckt sind; Verhinderung der sofortigen Aufdeckung der begangenen Tat als Handlungsmotiv; Verdeckungsmord im Bekanntenkreis; Tateinheit zwischen der Vergewaltigung und der Freiheitsberaubung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 27.04.1978
- Aktenzeichen
- 4 StR 143/78
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1978, 12320
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Siegen - 31.10.1977
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 28, 18 - 20
- DRiZ 1978, 216-217
- MDR 1978, 683 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1978, 1490 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Mord u.a.
Prozessführer
Waldarbeiter Bernd S. aus K. 3 - R., geboren am ... 1956 in A., zur Zeit in Haft
Amtlicher Leitsatz
Tötet der Täter einer Freiheitsberaubung sein Opfer vorsätzlich, so ist das eine diesem "während derselben widerfahrene Behandlung" im Sinne des § 239 Abs. 3 StGB jedenfalls dann, wenn zwischen der Freiheitsentziehung und der Tötungshandlung ein unmittelbarer innerer Zusammenhang besteht.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
aufgrund der Verhandlung
vom 13. April 1978
in der Sitzung vom 27. April 1978,
an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Salger,
die Richter am Bundesgerichtshof Hürxthal Dr. Knoblich Dr. Gribbohm Dr. Ruß als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... in der Verhandlung, Justizhauptsekretärin ... bei der Verkündung als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 31. Oktober 1977 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten beanstandet das Urteil mit der Sachbeschwerde.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1.
Die Verurteilung wegen Mordes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe Frau P. mit bedingtem Vorsatz getötet, um "die von ihm begangene Vergewaltigung und die Freiheitsberaubung" zu verdecken, wird von den Feststellungen nicht getragen.
Nach diesen hatte der Angeklagte Frau P. gegen ihren heftigen Widerstand gewaltsam aus ihrem Zimmer im "Studienhaus" herausgeholt, in die 1,5 km entfernt neben der Wohnung seiner Eltern gelegene Scheuene gebracht und dort vergewaltigt. Er war dabei, wie er wußte, im Studienhaus von Frau F. gesehen worden. Schon beim ersten Erscheinen der Polizeibeamten in der Nähe des Tatorts nahm er deshalb "zutreffend an, daß sie nach ihm und Frau P. suchten". Nachdem schließlich die Polizeibeamten wiederholt die Wohnung seiner Eltern aufgesucht hatten, "ging er davon aus, daß aufgrund der Beobachtungen der Zeugin F. er als Täter verdächtigt" würde, und würgte nun Frau P. "minutenlang mit äußerster Kraft" bis sie "nur noch röchelnde Laute von sich gab". Er wollte dadurch "verhindern, daß Frau P. die Polizei verständigen konnte" (UA 9).
Das Landgericht ist aufgrund dieser Feststellungen zu der Ansicht gelangt, das "Handlungsmotiv" des Angeklagten habe darin bestanden, "jedenfalls die sofortige Aufdeckung der begangenen Tat zu verhindern", denn "wenn er am Tatort mit Frau P. aufgefunden worden wäre, hätte er mit Erfolg die Täterschaft nicht leugnen können" (UA 18). Es geht dabei im Anschluß an die Entscheidung des Senats BGHSt 15, 291 zutreffend davon aus, daß hier eine Verdeckung der Tat durchaus noch möglich war. Der Angeklagte nahm zwar an, "daß er als Täter einer Entführung verdächtigt wurde", "die genaue Kenntnis über den strafrechtlich bedeutsamen Sachverhalt" hatten jedoch "allein der Angeklagte und Frau F. als sein Opfer" (UA 18), die Tatumstände waren also noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt (vgl. BGHSt 15, 291, 296).
Die Annahme, der Angeklagte habe Frau P. in Verdeckungsabsicht getötet, begegnet gleichwohl durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht hat nicht feststellen können, daß der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat, und hat deshalb nur bedingten Vorsatz angenommen. Zwar können bedingter Tötungsvorsatz und die Absicht, durch die Tötung eine vorangegangene Straftat zu verdecken, zusammentreffen. Das ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die vom Täter erstrebte Verdeckung der Tat nach seiner Vorstellung nur durch den Tod des Opfers erreicht werden kann (BGHSt 21, 283, 284). Deshalb ist eine Tötung mit bedingtem Vorsatz zum Zwecke der Verdeckung einer Straftat regelmäßig dann ausgeschlossen, wenn das Opfer den Täter kennt und dieser daher befürchten muß, falls das Opfer am Leben bleibt, durch dessen Angaben überführt zu werden. In einem solchen Fall kann der Täter, jedenfalls in der Regel, die Verdeckung der Straftat nur erreichen, wenn er das Opfer endgültig zum Schweigen bringt, also tötet (vgl. BGH, Urteile vom 6. Juli 1977 - 3 StR 190/77 - und vom 21. September 1977 - 3 StR 200/77 - sowie Beschluß vom 1. September 1976 - 2 StR 381/76 -).
Die Urteilsfeststellungen schließen nicht aus, daß es sich hier um einen derartigen Fall handelt. Der Angeklagte kannte Frau P., die im "Studienhaus" Buchhaltungsarbeiten verrichtete, vom Sehen, denn er hatte sich oft bei seinem Freund H. aufgehalten, der dort wohnte. Es ist danach nicht ausgeschlossen, daß auch Frau P. ihn vom Sehen kannte, der Angeklagte es jedenfalls annahm und deshalb befürchtete, daß er durch ihre Angaben als Täter überführt werden würde. Aber auch wenn dies nicht der Fall war, kann er angenommen haben, daß sie ihn zusammen mit Frau F. unschwer identifizieren würde. Unter diesen Umständen liegt die Annahme nicht fern, daß - auch nach seiner Vorstellung - die Tat nur dadurch verdeckt werden konnte, daß er Frau P. endgültig zum Schweigen brachte, also tötete. Das würde aber unbedingten Tötungsvorsatz voraussetzen. Wenn er gleichwohl nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, so spricht dies gegen eine Tötung in Verdeckungsabsicht.
Im übrigen schließen die Feststellungen auch die Möglichkeit nicht aus, daß sein Bestreben ausschließlich darauf gerichtet war, einen zeitlichen Vorsprung zu erhalten, um fliehen zu können, und daß er nicht davon ausgegangen ist, durch die Flucht noch wesentliche Tateinzelheiten verdecken zu können. Auch in diesem Falle wäre eine Tötung in Verdeckungsabsicht zu verneinen (vgl. BGH LM § 211 StGB Nr. 3). Das Landgericht hätte sich angesichts dieser Umstände näher mit den Vorstellungen des Angeklagten, die ihn zur Tötung bewogen haben, auseinandersetzen und die erforderlichen Feststellungen treffen müssen.
Die Verurteilung wegen Mordes, begangen in der Tatform "zur Verdeckung einer Straftat", kann sonach nicht bestehen bleiben. Der Senat ist mangels ausreichender Feststellungen nicht in der Lage, zu prüfen, ob der Angeklagte das - ebenfalls in Betracht kommende - Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes erfüllt hat. Das Urteil muß deshalb, soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist, aufgehoben werden.
2.
Das hat zur Folge, daß auch die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung nicht bestehen bleiben kann. Denn das gesamte Tatgeschehen ist entgegen der Ansicht des Landgerichts als eine einzige Tat im Rechtssinne zu beurteilen.
Die Straftatbestände der Vergewaltigung und der Freiheitsberaubung sind im Urteil rechtsfehlerfrei festgestellt. Das Landgericht geht auch zutreffend davon aus, daß sie zueinander nicht im Verhältnis der Gesetzeseinheit, sondern der Tateinheit stehen, denn die Freiheitsberaubung ging erheblich über das hinaus, was zur Begehung der Vergewaltigung gehört (vgl. BGHSt 18, 26, 27 mit weiteren Nachweisen). Der Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Freiheitsberaubung steht hier auch nicht entgegen, daß der Angeklagte zugleich den Tatbestand der Entführung wider Willen (§ 237 StGB) erfüllt hat. Zwar ist die mit dem Mittel der Gewaltanwendung begangene Entführung ein Sonderfall der Freiheitsberaubung (BGHSt 1, 199, 202), zwischen beiden besteht deshalb regelmäßig Gesetzeseinheit (vgl. BGH, Beschluß vom 28. April 1971 - 2 StR 171/71 -) mit der Folge, daß dann, wenn es an dem für die Verurteilung wegen Entführung nach § 238 StGB erforderlichen Strafantrag fehlt, auch die Verurteilung wegen Freiheitsberaubung ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Mai 1976 - 2 StR 59/76 - S. 5; Beschluß vom 4. April 1978 - 5 StR 127/78 -; vgl. BGHSt 19, 320, 321). Das gilt aber nicht, wenn es sich um einen Fall der Freiheitsberaubung mit Todesfolge im Sinne des § 239 Abs. 3 StGB handelt. Denn dieser für den Regelfall mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren bedrohte Straftatbestand kann nicht in dem weniger schwerwiegenden Vergehenstatbestand des § 237 StGB aufgehen.
Um einen solchen Fall der Freiheitsberaubung mit Todesfolge handelt es sich hier. Dieser Straftatbestand ist nicht nur dann verwirklicht, wenn der Tod die Folge der Freiheitsentziehung ist, er liegt auch vor, wenn der Tod durch die dem Opfer "während derselben widerfahrene Behandlung" verursacht worden ist. Es kann offen bleiben, ob die vorsätzliche Tötung des Opfers durch den Täter der Freiheitsberaubung in aller Regel als eine solche "Behandlung" anzusehen ist. Sie ist es jedenfalls dann, wenn zwischen der Freiheitsentziehung und der Tötungshandlung ein unmittelbarer innerer Zusammenhang besteht (vgl. Horn in SK StGB § 239 Rdn. 18). Ein solcher ist mindestens dann gegeben, wenn der Täter mit der Tötungshandlung das gleiche Ziel wie mit der Freiheitsentziehung verfolgt hat. Das ist hier der Fall. Zwar bezweckte der Angeklagte mit der Freiheitsentziehung zunächst nur, mit Frau P. den Geschlechtsverkehr auszuüben. Nach Beendigung des Geschlechtverkehrs hat er sie aber noch etwa 1 1/2 Stunden in der Scheune festgehalten. Diese Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung sollte verhindern, daß er "innerhalb kurzer Zeit ausfindig gemacht" würde. Den gleichen Zweck verfolgte der Angeklagte aber, wie sich aus den Feststellungen ergibt, auch mit dem tödlichen Würgegriff. Er hat sich somit nach § 239 Abs. 3 StGB strafbar gemacht.
Da der Angeklagte diesen Straftatbestand durch die Tötungshandlung verwirklicht hat, besteht zwischen der vorsätzlichen Tötung und der Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung nicht, wie das Landgericht annimmt, Tatmehrheit sondern Tateinheit (vgl. Schäfer in LK § 239 Rdn. 48). Es handelt sich somit um eine einzige Tat im Rechtssinne. Das Urteil muß deshalb insgesamt aufgehoben werden.
Hürxthal
Knoblich
Gribbohm
Ruß