Bundesgerichtshof
Urt. v. 07.10.1971, Az.: IX ZR 101/67
Rechtsmittel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 07.10.1971
- Aktenzeichen
- IX ZR 101/67
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1971, 15008
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Koblenz - 29.11.1966
- LG Koblenz
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1971, 2256-2257 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1972, 46-47 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Yaakow Y., Haim-B.-Str. ... b, J./I.,
Prozessgegner
Land R., vertreten durch das Landesamt für Wiedergutmachung, M., A.platz ...,
Amtlicher Leitsatz
Eine mangels Zulassung unzulässige Revision kann nicht in eine Zulassungsbeschwerde umgedeutet werden.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat ohne mündliche Verhandlung am 3. Juni 1971 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Mai und der Bundesrichter Dr. Graf, von der Mühlen, Henkel und Dr. Thumm
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats - Entschädigungssenats - des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. November 1966 wird verworfen.
Das Revisionsverfahren ist gebühren- und auslagenfrei; die außergerichtlichen Kosten trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der am 2. November 1926 in Amsterdam geborene jüdische Kläger war niederländischer Staatsangehöriger. Er lebte mit seinen Eltern in Amsterdam. Von November 1941 an mußte er den Judenstern tragen. Im Juni 1943 wurde er in das Sammellager Westerbork und von dort im Januar 1944 in das Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht. Dort erkrankte er an Lungentuberkulose. Mit Hilfe des Auslandsdienstes des Internationalen Roten Kreuzes gelangte er im Jahre 1944 nach Palästina. Seit August 1948 steht er im Dienste des Staates Israel. Nach einer Bescheinigung der niederländischen Gesandtschaft in Jerusalem vom 30. Januar 1958 hat er laut Urteil des Justizministers der Niederlande auf Grund des §7 (sub 4) der Verordnung über das niederländische Bürgerrecht und die Landesansässigkeit die niederländische Staatsangehörigkeit im August 1948 verloren. Den Antrag des Klägers auf Entschädigung für Schaden an Freiheit lehnte die Entschädigungsbehörde ab. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Die Revision des Klägers wies der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 23. Oktober 1963 - IV ZR 131/63 - (RzW 1964, 130) zurück. Darin ist ausgeführt, der Kläger sei insbesondere auch nicht nach §160 Abs. 2 BEG anspruchsberechtigt. Er habe mit der Gründung des Staates Israel am 15. Mai 1948 die israelische Staatsangehörigkeit erworben. Damals sei er weder Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention noch Staatenloser gewesen. Er habe die niederländische Staatsangehörigkeit besessen, die er erst im August 1948 dadurch verloren habe, daß er ohne königliche Erlaubnis in fremden Staatsdienst eingetreten sei.
Am 29. Juni 1965 hat der Kläger bei dem Berufungsgericht Restitutionsklage eingereicht, die dem beklagten Land am 6. Juli 1965 zugestellt worden ist. Mit der Klageschrift hat er eine undatierte Bescheinigung des niederländischen Justizministeriums vorgelegt, wonach er die niederländische Staatsangehörigkeit bereits am 2. November 1947 verloren hat, und zwar durch fremden Kriegs- und Staatsdienst nach der Erreichung der Großjährigkeit ohne königliche Bewilligung. Zugleich hat er an Eides Statt versichert, daß ihm diese Bescheinigung erst am 17. Juni 1965 zugegangen sei. Er hat behauptet, er sei bei Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit im Jahre 1948 staatenlos gewesen, weil er die niederländische Staatsangehörigkeit bereits am 2. November 1947 verloren habe. Er habe der jüdischen geheimen Armee Haganah angehört, die lange vor Errichtung des Staates Israel organisiert und im Kampf gegen die Araber und Engländer eingesetzt worden sei. Der niederländische Staatsangehörige, der ohne königliche Genehmigung fremden Streitkräften beitrete, verliere hierdurch die niederländische Staatsangehörigkeit.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs RzW 1967, 39 die Restitutionsklage als im Entschädigungsverfahren unstatthaft angesehen. Der letzte Satz der Entscheidungsgründe lautet: "Gemäß §221 BEG findet die Revision ohne Zulassung statt."
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt, mit der er sein Restitutionsbegehren weiter verfolgt. Das beklagte Land hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Gemäß §209 Abs. 1 BEG, §591 ZPO sind Rechtsmittel gegen Entscheidungen über Wiederaufnahmeklagen insoweit zulässig, als sie gegen Entscheidungen der mit den Klagen befaßten Gerichte überhaupt stattfinden. Befaßt war hier mit der Klage das Oberlandesgericht als Berufungsgericht. Es hat über die Restitutionsklage durch Endurteil entschieden. Gegen Endurteile der Oberlandesgerichte in Entschädigungsverfahren findet die Revision nur statt, wenn sie das Oberlandesgericht oder auf sofortige Beschwerde der Bundesgerichtshof zugelassen hat (§§219, 220 BEG). Ohne Zulassung findet die Revision ferner statt, wenn es sich um die Unzulässigkeit des Rechtsweges oder die Unzulässigkeit der Berufung handelt (§221 Abs. 1 BEG). Darum handelt es sich jedoch nicht, wenn ein Oberlandesgericht eine Restitutionsklage als unzulässig verworfen hat. Gegen ein solches Urteil ist daher die Revision nur statthaft, wenn sie nach §§219, 220 BEG zugelassen worden ist (BGH RzW 1965, 140; ebenso in nicht vermögensrechtlichen Rechtsstreitigkeiten BGH NJW 1964, 2303; BGHZ 47, 21). Das eine Restitutionsklage als unzulässig verwerfende Urteil eines Oberlandesgerichts kann nicht den in §221 Abs. 1 BEG genannten Fällen, in denen die Revision ohne Zulassung stattfindet, gleichgestellt werden. Bei der Frage nach der Zulässigkeit des Rechtsweges geht es darum, ob die ordentlichen Gerichte über einen bestimmten Anspruch sachlich zu entscheiden haben. Bei einem Streit um die Zulässigkeit einer Berufung handelt es sich darum, ob eine Partei erreichen kann, daß ein Gericht des zweiten Rechtszugs ein erstinstanzliches Urteil sachlich nachprüft. Das über die Zulässigkeit einer Restitutionsklage befindende Oberlandesgericht entscheidet dagegen nur darüber, ob es die von ihm selbst im zweiten Rechtszug bereits getroffene Entscheidung nochmals überprüfen muß oder nicht (vgl. Bötticher, NJW 1964, 2303; BGHZ 47, 21, 24) [BGH 20.01.1967 - IV ZR 242/65]. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Oberlandesgericht die Klage wegen Formmangels oder Fristversäumnis als unzulässig oder nach §578 Abs. 1 ZPO als unstatthaft oder als durch die Besonderheiten des Entschädigungsverfahrens von vornherein ausgeschlossen angesehen hat.
Eine sofortige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann in der Rechtsmittelerklärung des Klägers nicht gefunden werden. Dabei braucht nicht abschließend erörtert zu werden, in welchen Grenzen Prozeßhandlungen einer Partei entsprechend §133 BGB oder nach dessen Grundgedanken auslegungsfähig sind. Die Rechtsmittelerklärung des Klägers ist eindeutig. Er hat sein Rechtsmittel nicht nur als Revision bezeichnet; die schon in der Rechtsmittelschrift enthaltene Begründung und der Rechtsmittelantrag ergeben eindeutig, daß er nur Revision einlegen wollte. Es fehlt auch außerhalb der Rechtsmittelschrift jeder Anhalt dafür, daß der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter die Notwendigkeit, zunächst die Zulassung der Revision zu erwirken, wenigstens in Betracht gezogen haben könnten.
Die Umdeutung der Revision in eine sofortige Beschwerde ist nicht möglich. Ob angesichts der maßgebenden Bedeutung, die dem objektiven Inhalt prozessualer Erklärungen im Interesse der Rechtssicherheit im Zivilprozeß zukommt (vgl. Stein/Jonas/Pohle, ZPO 18. Aufl. Anm. XI 3 c vor §128), die Umdeutung von Prozeßhandlungen einer Partei, insbesondere von Rechtsmittelerklärungen, entsprechend dem Grundgedanken des §140 BGBüberhaupt in Betracht kommt, mag auf sich beruhen. Allenfalls könnte eine fehlerhafte Parteihandlung in eine dem gleichen prozessualen Zweck dienende Handlung umgedeutet werden (Bauer, ZZP 64, 329, 352; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10 Aufl., §67 II S. 326). So kann etwa eine nach §99 Abs. 3 a.F. ZPO unzulässige "Berufung" als sofortige Beschwerde angesehen werden (OLG Hamburg, ZZP 53, 281), die "Berufung" eines Zeugen gegen den einen Antrag auf Aufhebung einer Ordnungsstrafe ablehnenden Beschluß als Beschwerde (RGZ 54, 430, 431), ein auf §§769, 771 Abs. 3 ZPO gestützter Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (OLG Braunschweig, JW 1930, 654 Nr. 15), ein unzulässiges Rechtsmittel unter bestimmten Voraussetzungen als unselbständige Ausschließung an das Rechtsmittel des Gegners (BGH JZ 1955, 218; RG JW 1936, 851; RGZ 165, 323, 335), eine nach Gesetzesänderung unzulässige Revision als Berufung (BGH NJW 1962, 1820). Allerdings handelt es sich in der Mehrzahl dieser Fälle wohl nicht um eine Umdeutung entsprechend §140 BGB, sondern lediglich um die Richtigstellung der erkennbar unzutreffenden Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels, um die nicht am Wortlaut haftende Auslegung der prozessualen Erklärung. Soweit dabei von Umdeutung eines Rechtsmittels die Rede sein kann, ist das unzulässige Rechtsmittel stets als der an seiner Stelle zulässige, unmittelbar demselben prozessualen Zweck dienende und dasselbe Ziel erstrebende Rechtsbehelf behandelt worden. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht dient jedoch nicht demselben prozessualen Zweck; sie ist nicht auf dasselbe Ziel gerichtet wie die Revision gegen das Berufungsurteil. Vielmehr greift sie nur eine Nebenentscheidung in dem Urteil an, um den Weg für den späteren Angriff gegen das Urteil selbst, die Revision, zu eröffnen. Deswegen kann eine unzulässige Revision nicht in eine Beschwerde gegen ihre Nichtzulassung durch das Berufungsgericht umgedeutet werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht (NJW 1962, 883 Nr. 18; NJW 1962, 1076 Nr. 23) und der Bundesfinanzhof (BFH-N FGO §115 Nr. 1) haben eine solche Umdeutung abgelehnt. Sowohl nach der Verwaltungsgerichtsordnung (§133) als auch nach der Finanzgerichtsordnung (§116) findet allerdings die Revision ohne Zulassung unter anderen Voraussetzungen statt als im Entschädigungsverfahren (§221 BEG). Auch die Nichtzulassungsbeschwerde ist dort anders ausgestaltet. Sie ist bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten werden soll, einzulegen und zu begründen; dieses Gericht kann ihr abhelfen; nur wenn es dies nicht tut, entscheidet das Revisionsgericht (§132 Abs. 3, 5 VwGO; §115 Abs. 3, 5 FGO). Das Ziel der Zulassungsbeschwerde ist jedoch immer dasselbe und ein anderes als das der Revision.
Dem Ergebnis, daß die Revision des Klägers unzulässig ist und nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden kann, steht nicht entgegen, daß der Kläger offenbar durch die unzutreffende Bemerkung des Berufungsgerichts über die Zulässigkeit der Revision zur Einlegung der Revision veranlaßt worden ist. Trotz dieses unrichtigen Hinweises hätte der Prozeßbevollmächtigte angesichts des Wortlauts des §221 BEG und der Entscheidungen BGH RzW 1965, 140; NJW 1964, 2303 erkennen können, daß die Revision im vorliegenden Falle der Zulassung bedurfte.