Bundesgerichtshof
Urt. v. 05.01.1968, Az.: 4 StR 425/67
Zulässigkeit der Verlesung der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung eines verstorbenen Zeugen; Verwertungsmöglichkeit von Aussagen inzwischen verstorbener Zeugen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 05.01.1968
- Aktenzeichen
- 4 StR 425/67
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1968, 14880
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bochum - 27.04.1967
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 22, 35 - 38
- JZ 1968, 194-195 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1968, 336-337 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1968, 559 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Schwerer Diebstahl im Rückfall
Amtlicher Leitsatz
Die Verlesung der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung eines verstorbenen Zeugen ist nach § 251 Abs. 2 StPO auch dann zulässig, wenn dieser vor der Vernehmung entgegen § 163 a Abs. 5 StPO nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO belehrt worden ist.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 5. Januar 1968,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Rotberg als Vorsitzender,
Bundesrichter Börtzler
Bundesrichter Mayr
Bundesrichter Dr. Dr. Spiegel
Bundesrichter Hürxthal als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Großen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 27. April 1967 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen fortgesetzten schweren Diebstahls im Rückfall verurteilt worden ist, ferner im gesamten Strafausspruch.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision verworfen.
Gründe
Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Diebstahls im Rückfall und wegen fortgesetzten schweren Diebstahls im Rückfall zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat zum Teil Erfolg.
1.
Die Verfahrensrüge einer Verletzung der §§ 251 Abs. 2, 163 a Abs. 5 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 StPO ist unbegründet.
Ausweislich des Sitzungsprotokolls ist in der Hauptverhandlung die Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung der - inzwischen verstorbenen - Großmutter des Angeklagten, Frau Josefine P., vom 11. August 1966 gemäß § 251 Abs. 2 StPO verlesen worden. Aus der Niederschrift ergibt sich nicht, daß Frau P. vor ihrer Vernehmung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO belehrt wurde. Die Revision meint, deswegen hätte die Niederschrift nicht verlesen und die Aussage von Frau P. nicht verwertet werden dürfen. Diese Auffassung geht fehl.
Zwar sind nach der durch das Strafprozeßänderungsgesetz vom 19. Dezember 1964 eingefügten Vorschrift des § 163 a Abs. 5 StPO nunmehr Staatsanwälte und Beamte des Polizeidienstes - wie der Richter nach § 52 Abs. 2 StPO - verpflichtet, Zeugen vor der Vernehmung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht u.a. aus § 52 StPO hinzuweisen. Ob eine Verletzung dieser Belehrungspflicht - ebenso wie der Verstoß gegen § 52 Abs. 2 StPO - in der Regel auch ein Verlesungs- und Verwertungsverbot im Sinne des § 252 StPO zur Folge hat, bedarf hier nicht der Entscheidung. Keinesfalls ist das anzunehmen, wenn der vor seiner (nicht richterlichen) Vernehmung nicht belehrte Zeuge, wie hier, vor der Hauptverhandlung gestorben ist; denn dann liegt nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung keine Notwendigkeit vor, auf seine polizeiliche Aussage bei der Wahrheitsforschung zu verzichten.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Urteil vom 8. Februar 1966 (5 StR 513/65) dazu ausgeführt (vgl. bei Dallinger NDR 1966, 384):
"Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO trägt der für den Zeugen entstehenden Zwangslage Rechnung, entweder den mit ihm verwandten bzw. verschwägerten Beschuldigten belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen. Außerdem besteht auch ein allgemeines Interesse daran, daß der an sich aussagepflichtige Zeuge ohne seine bewußte Zustimmung nicht zur Aussage gegen einen Angehörigen gezwungen wird (BGHSt 12, 235, 239) [BGH 08.12.1958 - GSSt - 3/58]. Es mag dahinstehen, ob aus diesen Gründen die Niederschrift über die nichtrichterliche Vernehmung eines mit dem Angeklagten verwandten oder verschwägerten Zeugen, der vor der Vernehmung nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, auch im Rahmen des § 251 Abs. 2 StPO nicht verwertet werden darf, sofern er lediglich "in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden" kann. Jedenfalls besteht zu einem solchen Verwertungsverbot dann kein Anlaß mehr, wenn ... der Zeuge in der Zeit zwischen seiner nichtrichterlichen Vernehmung und der Hauptverhandlung verstorben ist. In diesem Falle entfällt die Rücksichtnahme auf die angeführten Belange des Zeugen und der Allgemeinheit, weil sein Angehörigenverhältnis zum Angeklagten ihn nicht mehr in den Pflichtenwiderstreit, den das Gesetz ihm ersparen will, führen kann".
Diesen Erwägungen ist beizutreten (vgl. auch OLG Nürnberg HESt 3, 40; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar Rdn. 9; Geier in Loewe/Rosenberg 21. Aufl. Bem. 4; Schwarz/Kleinknecht 27. Aufl. Bem. 2 B, jeweils zu § 252 StPO). Der Entscheidung des 5. Strafsenats liegt zwar der Fall einer nichtrichterlichen Vernehmung vor Inkrafttreten des Strafprozeßänderungsgesetzes zu Grunde. Die Rechtslage erfährt jedoch durch die Einführung des § 163 a Abs. 5 StPO keine andere Beurteilung. Ob der vernehmende Polizeibeamte zur Belehrung über das bestehende Zeugnisverweigerungsrecht gesetzlich verpflichtet war oder nicht, wenn der Zeuge vor der Hauptverhandlung verstorben ist, kann sein Angehörigenverhältnis zum Angeklagten in keinem Fall mehr bei ihm zu einem Pflichtenwiderstreit führen. Die berechtigte Forderung der Allgemeinheit nach wahrheitsgemäßer Aufklärung von Straftaten, die der Bestimmung des § 251 Abs. 2 StPO zu Grunde liegt, braucht aber nicht weiter zurückzutreten, als es die schutzwürdigen Interessen des zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen verlangen (vgl. BGHSt 2, 99, 105) [BGH 15.01.1952 - 1 StR 341/51]. Es kann sein, daß Frau B., wenn sie vorschriftsmäßig belehrt worden wäre, damals von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte. Nachdem sie verstorben ist, kommt es jedoch darauf nicht mehr an. Daraus, daß bei ihr ein Pflichtenwiderstreit vorhanden gewesen und gegen die Belehrungspflicht verstoßen worden ist, kann der Angeklagte für sich keine Rechte herleiten. Durch § 163 a Abs. 5 StPO sollte lediglich die bisher nur für den Richter geltende Belehrungspflicht auch auf die Beamten der Staatsanwaltschaft und des Polizeidienstes ausgedehnt werden (vgl. Begründung zum Entwurf des StPÄG 1964 Art. 4). Aus einer Verletzung dieser Bestimmung lassen sich deshalb hinsichtlich der Verwertungsmöglichkeit von Aussagen inzwischen verstorbener Zeugen keine Folgen herleiten, die dem bisherigen Recht unbekannt waren (KMR Müller/Sax 6. Aufl. § 52 StPO Bem. 3 g). Das wäre aber der Fall, wenn sich der Angeklagte auf einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht gegenüber einem Zeugen mit Erfolg berufen könnte, obwohl der Zeuge, dessen Schutz die Bestimmungen über die Belehrung allein im Auge haben, verstorben ist und des Schutzes nicht mehr bedarf.
2.
Die Rüge einer Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO ist dagegen begründet.
Die Überzeugung der Strafkammer von der Täterschaft des Angeklagten im Fall K. gründet sich u.a. auf die festgestellte Tatsache, daß der aus dem Handschuhfach des aufgebrochenen Kraftwagens entwendete Führerschein "wenige Tage später" in dem Funkstreifenwagen, in dem der Angeklagte nach seiner Festnahme in der Tatnacht zur Wache befördert worden war, aufgefunden wurde (UA 8). Um diese Tatsache als Beweisumstand auszuräumen, hatte sich der Verteidiger im Rahmen seines Schlußvortrags "hilfsweise" "auf eine Auskunft des Polizeipräsidenten unter Vorlage des Fahrtenbuches" für die Behauptung berufen, daß "zwischen der Festnahme des Angeklagten und der Auffindung des Führerscheins" noch "zahlreiche andere Personen, die als Täter des Diebstahls in Frage kamen, in dem Peterwagen abtransportiert worden" seien. Die Strafkammer hat diesen Hilfsbeweisantrag in der Hauptverhandlung nicht beschieden. In den Urteilsgründen hat sie ausgeführt: Sie halte es für bedeutungslos, ob in dem betreffenden Funkstreifenwagen noch andere Personen befördert worden seien, "die für Kraftfahrzeugeinbrüche als Täter in Frage kommen". In der Nacht zum 9. August 1966, der Tatnacht, seien außer dem Angeklagten jedenfalls keine weiteren tatverdächtigen Personen in diesem Wagen gewesen. Der Führerschein und der schon kurze Zeit nach der Tat (an einem anderen Ort) wiedergefundene Kraftfahrzeugschein seien aber in jener Nacht aus dem Kraftwagen K. gestohlen worden. Die Einholung einer Auskunft des Polizeipräsidenten darüber, welche Personen nach dem 9. August 1966 im Streifenwagen befördert worden sind, sei deshalb nicht geeignet, Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen zu lassen.
Mit Recht beanstandet die Revision diese Entscheidung. Sie schöpft den Beweisantrag nicht aus. Sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinne nach ging die unter Beweis gestellte Behauptung dahin, daß nach dem Angeklagten noch andere Personen in dem Streifenwagen befördert worden waren, die ebenfalls als Täter "des", d.h. des hier zu beurteilenden Diebstahls aus dem Kraftwagen Karl in Betracht kamen, daß eine von ihnen den Führerschein im Sitzpolster versteckt haben und deshalb ebenso gut wie der Angeklagte der Täter sein könne. Die Beweisbehauptung bezog sich nicht etwa nur auf solche Personen, die allgemein "für Kraftfahrzeugeinbrüche" in jener Zeit als Täter in Frage kamen. Sie konnte auch mit Hilfe des Fahrtenbuches und dessen Auswertung durch die in Betracht kommenden Polizeibeamten, was mit der "Auskunft des Polizeipräsidenten" dem Sinne nach gemeint war, bewiesen werden. Deshalb durfte sie nicht mit der Begründung als bedeutungslos abgetan werden, daß in der Tatnacht selbst keine andere tatverdächtige Person als der Angeklagte selbst befördert und der - zusammen mit dem Führerschein entwendete - Kraftfahrzeugschein schon kurze Zeit nach der Tat, d.h. also auch bereits in der Tatnacht, wiedergefunden worden sei. Der Täter braucht nicht notwendig in der Tatnacht festgenommen und im Streifenwagen befördert worden zu sein. Er kann den Kraftfahrzeugschein in der Tatnacht verloren haben und gleichwohl erst an einem der folgenden Tage festgenommen und befördert worden sein. Die Erwägungen der Strafkammer werden allerdings verständlich, wenn diese sich nicht auf die Beurteilung der Erheblichkeit der Beweisbehauptung als solche beschränkt, sondern auch das Beweisergebnis im Übrigen in ihre Überlegungen mit einbezogen haben sollte, etwa die Tatsache, daß der Kraftfahrzeugschein auf dem als erwiesen angesehenen Fluchtweg des Angeklagten gefunden worden ist. Das wäre indessen eine, im Rahmen der Ablehnung eines Beweisantrages nach § 244 Abs. 3 StPO unzulässige Vorwegnahme des Beweisergebnisses. Die Strafkammer hätte dem Beweisbegehren der Verteidigung nur dann nicht zu entsprechen brauchen, wenn sie aus der Tatsache, daß der gestohlene Führerschein im Streifenwagen gefunden worden war, keine nachteiligen Schlüsse gegen den Angeklagten ziehen wollte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.
Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Strafkammer nach Anhörung der für die Auswertung des Fahrtenbuchs in Betracht kommenden Polizeibeamten zu für den Angeklagten günstigeren Erkenntnissen gelangt wäre. Der Verfahrensfehler zwingt daher zur Aufhebung der Verurteilung im Falle Karl und damit der Verurteilung wegen fortgesetzten schweren Diebstahls überhaupt.
Auf die Verurteilung wegen versuchten schweren Rückfalldiebstahls (Fall W.) kann sich der Fehler dagegen, jedenfalls was den Schuldspruch angeht, nicht ausgewirkt haben.
3.
Insoweit hält diese Verurteilung auch der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.
Der Strafausspruch begegnet jedoch folgenden Bedenken:
Die Rückfallvoraussetzungen sind nicht hinreichend festgestellt (§ 244 Abs. 1 StGB). Den Gründen des angefochtenen Urteils ist nicht zu entnehmen, ob das Urteil des Jugendschöffengerichts Freiburg im Br. vom 3. Juli 1962 vor dem am 31. Oktober 1963 begangenen, vom Schöffengericht Recklinghausen abgeurteilten Diebstahl rechtskräftig geworden war.
Die Revision führt hiernach zur Aufhebung der Verurteilung wegen fortgesetzten schweren Rückfalldiebstahls sowie des gesamten Strafausspruchs.
Börtzler
Mayr
Spiegel
Hürxthal