Bundesgerichtshof
Urt. v. 12.07.1966, Az.: 1 StR 291/66
Voraussetzungen für eine Strafbarkeit wegen Totschlags; Anforderungen an das Vorliegen eines Mordmerkmals
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 12.07.1966
- Aktenzeichen
- 1 StR 291/66
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1966, 12204
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Konstanz - 13.12.1965
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NJW 1966, 1823-1825 (Volltext mit red. LS) "Notstandslage gegenüber einem tyrannischen Familienoberhaupt"
- NJW 1966, 2418 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Mord
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 12. Juli 1966,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Hübner als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Seibert,
Bundesrichter Mai,
Bundesrichter Pikart,
Bundesrichter Dr. Pfeiffer als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... in der Verhandlung,
Staatsanwalt ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Konstanz vom 13. Dezember 1965 mit den Feststellungen, auch hinsichtlich der Mitangeklagten M. aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht bei dem Landgericht Offenburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Angeklagte Christel F. ist ein Kind erster Ehe der früheren Mitangeklagten M. Diese war in zweiter Ehe mit dem späteren Opfer, dem Metzger Hermann M., verheiratet.
Am Abend des 28. August 1964 schlug die Angeklagte Christel F. mit einer - verborgen bereitgehaltenen - schweren Bratpfanne ihrem Stiefvater, hinter ihm stehend, mit voller Wucht mindestens dreimal auf den Hinterkopf. Dieser fiel schon nach dem ersten Schlag zu Boden. Während Christel fortlief, um die Polizei anzurufen, schlug Frau M. "mindestens einmal" mit der Bratpfanne auf ihren Mann ein. Als Christel vom Telefonieren zurückgekehrt war, schlug sie ihrem - noch röchelnden - Stiefvater weiterhin "mindestens einmal" mit der Pfanne heftig ins Gesicht. Danach starb M. (S. 29 UA).
Das Schwurgericht hat Frau M. - die keine Revision eingelegt hat - wegen Totschlags zu zwei Jahren sechs Monaten Gefängnis und Christel F. wegen Mordes zur Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt. Die restliche Jugendstrafe (d.h. soweit keine Anrechnung der Polizei- und Untersuchungshaft erfolgte) wurde bei der Jugendlichen zur Bewährung ausgesetzt.
II.
Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten Christel F. mit der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Urteil kann schon aus folgendem Grund nicht bestehen bleiben:
Das Schwurgericht hat die Angeklagte wegen vollendeten Mordes verurteilt. Wie der Verteidiger mit Recht geltend macht, reichen die Feststellungen zur Annahme einer vollendeten Tötungshandlung nicht aus. M. starb zwar "infolge der Schläge" (S. 29 UA). Welcher Schlag oder welche Schläge den Tod herbeigeführt haben, war jedoch nicht festzustellen (S. 25, 29 UA). Hätte allein die Angeklagte Christel F. auf M. eingeschlagen, wäre es allerdings für die Annahme einer Tötung durch sie ohne Bedeutung gewesen, daß nicht festgestellt werden konnte, welcher ihrer Schläge den Tod M. bewirkte (BGH NJW 1957, 1643 Nr. 14 = GA 1958, 109). Indes hat auch Frau M. - unabhängig von der Angeklagten - "mindestens" einen Schlag gegen ihren Kann geführt. Zugunsten der Tochter muß demnach davon ausgegangen werden, daß die Mutter mehrmals, jedenfalls zweimal zugeschlagen hat. Es blieb also - bei der vom Schwurgericht angenommenen Beweislage - die Möglichkeit offen, daß die Schläge Frau M. den Tod des Verletzten beschleunigt haben, daß also der Tod seine Ursache nicht in den Handlungen der Jugendlichen, sondern in den Schlägen der Mutter hatte (HGSt 19, 141, 145, 146). Diese Möglichkeit lag zwar fern, da Christel F. außer den ersten Hieben auch den letzten Schlag geführt hat; sie wurde jedoch hier nicht völlig ausgeschlossen; Grundsatz; Im Zweifel zugunsten des Angeklagten (BGH a.a.O.).
Die Darlegung des Schwurgerichts, daß bereits die ersten (von Christel geführten) Schläge "durchaus geeignet waren, den Tod herbeizuführen" (S. 25, 26 UA), reicht, zumal mangels Feststellbarkeit, welcher Schlag oder welche Schläge zum Tode führten (S. 29 UA), für die Annahme der Verbrechensvollendung nicht aus. Auf S. 29 des Urteils wird zwar die Überzeugung des Tatrichters ausgesprochen, daß bereits die von Christel F. geführten drei ersten Schläge tödlich wirkten. Damit ist aber nicht einwandfrei festgestellt, daß diese Schläge die für den Tötungserfolg ursächliche Handlung waren (KGSt 70, 257, 259). Denn mit dieser Wendung ist nichts weiter gemeint als das S. 26 Gesagte, daß diese Hiebe geeignet waren, den Tod herbeizuführen.
Somit ist das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben, gemäß § 357 StPO auch bezüglich der Mitangeklagten M., die keine Revision eingelegt hat. Denn diese ist zwar nicht als Mittäterin, aber auf Grund desselben tatsächlichen Ereignisses verurteilt worden, an dem auch sie beteiligt war (BGHSt 12, 335, 341) [BGH 23.01.1959 - 4 StR 428/58]; und sie ist wegen vollendeten Totschlags verurteilt worden, obwohl nicht festgestellt ist, daß ihr - wie ihr wiederum zugutegehalten werden muß - einziger Schlag für die Tötung ursächlich war.
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf folgendes hingewiesen:
1.
Verneint das jetzt erkennende Schwurgericht wiederum Mittäterschaft, so wäre bei der Angeklagten Christel F. zu prüfen, ob sie etwa zwei Tötungsversuche begangen hat, den einen durch die drei ersten Schläge und den zweiten durch den letzten Schlag. Eine vollendete Tötungshandlung Christels, z.B. durch sämtliche von ihr geführten Schläge, wäre anzunehmen, wenn ausgeschlossen werden könnte, daß Frau M. Schläge den Tod des Mannes beschleunigt haben. Diese wäre dann eines versuchten Tötungsverbrechens schuldig.
Auf jeden Fall bedürfen (bei Christel) die Voraussetzungen des Mordes, zumal nach der inneren Tatseite hin, sorgfältiger Prüfung. Mord, begangen oder versucht durch ein kaum 15 1/2 Jahre altes Mädchen ist nicht leicht verstellbar, überdies befand sich Christel F. zur Tatzeit in großer Erregung und Verzweiflung. Sie handelte in einem Gefühl der Ausweglosigkeit und im Zustand erheblich verhinderter Zurechnungsfähigkeit. Es ist hiernach möglich, daß die Tatsachen, die das Handeln als heimtückisch erscheinen ließen (BGHSt 6, 120), ihr bei den von Natur aus gegebenen Kräfteverhältnissen des Mädchens und des Opfers nicht zum Bewußtsein gekommen sind und daher von ihrem Vorsatz nicht erfaßt waren. Keinesfalls war der letzte Hieb heimtückisch geführt. Denn M. war damals schon besinnungslos, konnte also dem Angriff nicht entgegentreten (BGHSt 4, 11, 13) [BGH 04.11.1952 - 2 StR 261/52].
2.
Auf tatsächliche Unstimmigkeiten und rechtliche Unebenheiten in den Urteilsausführungen zur Frage der Notwehr, der vermeintlichen Notwehr und der Notwehrüberschreitung geht der Senat nicht ein, weil es die Nichtanwendung der §§ 53, 59 StGB jedenfalls trägt, daß von M. auch nach der Annahme der Angeklagten kein Angriff unmittelbar zu besorgen war.
3.
Dagegen wird die Frage des Notstandes erneut zu prüfen sein. Das Schwurgericht bejaht das Vorliegen einer gegenwärtigen unverschuldeten Notstandslage für Frau M. Christel F. und die Familie überhaupt (S. 35, 37 UA). Daß die Gewalttaten gegen M. objektiv zur Rettung aus der Gefahr begangen wurden, sagt der Tatrichter war nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber aus dem Urteilszusammenhang.
Der Schuldausschließungsgrund des § 54 StGB wird jedoch vom Schwurgericht für Mutter und Tochter deshalb verneint, weil es an der gesetzlichen Voraussetung fehle, daß der Notstand auf andere Weise nicht zu beseitigen gewesen, sei. Die Darlegungen hierzu sind nicht ausreichend, enthalten auch Rechtsfehler und Widersprüche. Was Christel F. betrifft, so geht die Erwägung fehl, sie sei nicht dazu berufen und berechtigt gewesen, über den Kopf der Mutter hinweg einzugreifen; sie hätte sich ihrer Mutter anvertrauen und deren Zustimmung einholen müssen (S. 37 UA). Im Rahmen des § 54 StGB handelt es sich nicht darum, ob Christel nach familienrechtlichen Grundsätzen zu ihrem Verhalten berechtigt war, sondern ob ihre rechtswidrige Tat entschuldigt ist, weil es keinen anderen Ausweg gab, sich, die Mutter und die anderen Familienangehörigen aus gegenwärtiger Leibesgefahr zu retten. Mit der Mutter hatte Christel schon gesprochen (S. 22, 23 oben UA). An ihr hatte sie keine Hilfe. Die Lutter war schwach, zermürbt und selbst hilflos (S. 43 UA). Die Behörden waren, soweit ersichtlich, trotz Vorsprache nicht energisch eingeschritten (S. 18 UA), obwohl M. gefährliches Treiben und unmenschliches Verhalten bekannt war (vgl. dazu das bad.-württemb. Unterbringungsgesetz v. 16. Mai 1955, Ges.Bl. 1955, 87); möglicherweise war deshalb ein nachdrückliches Vorgehen unterblieben, weil jedermann den hünenhaften Wüterich fürchtete (S. 16 UA). Was der Polizeimeister S. (S. 36 UA) ausgesagt hat, wird nicht mitgeteilt, insbesondere nicht kritisch gewürdigt. Wenn Christel zu ihrer Arbeitsstelle bei B. (S. 6,17 UA) zurückkehrte, gefährdete sie Butter und Geschwister noch mehr. Die Mutter hatte sie ausdrücklich gebeten, wiederzukommen, damit der Stiefvater nicht durch ihr Wegbleiben noch mehr zum Zorn gereist werde (S. 21 UA). Es ist daher einstweilen nicht ersichtlich, auf welch andere Weise das in schwierigster Lage auf sich allein gestellte Mädchen den Notstand - augenblicklich und endgültig - hätte beseitigen können (vgl. auch RGSt 59 S. 69, 71, 72).
Ähnlich rechtsfehlerhaft hat das Schwurgericht die Mutter darauf verwiesen, die Ehescheidung oder die Unterbringung des Mannes wegen Trunksucht zu betreiben; denn damit mutete es ihr zu, bis zum etwaigen Erfolg dieser Maßnahmen die unmenschliche Behandlung durch den Mann weiter zu erdulden. Unverschuldeter Notstand entschuldigt aber jede - auch die äußerste - Handlung des Täters zur Rettung aus gegenwärtiger Gefahr für sein oder eines Angehörigen Leib oder Leben, wenn der Notstand auf keine andere Weise - sofort und endgültig - zu beseitigen ist.
In rechtlich bedenklicher Weise hat das Schwurgericht ferner die Voraussetzungen für wirklichen und für nur irrig angenommenen Notstand gleichgesetzt (S. 36 UA).
Sofern es auf die Frage vermeintlichen Notstandes noch ankommen sollte - jedenfalls Christel handelte dem Urteil zufolge in einer äußerst kritischen, ihr ausweglos erscheinenden Situation (S. 41, 42, 45 UA) -, wird auf das Urteil des Senats vom 1. Juni 1965 - 1 StR 145/65 - verwiesen.
IV.
Der Generalbundesanwalt hatte bezüglich der Angeklagten F. gleichfalls Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.
Seibert
Mai
Pikart
Bundesrichter Dr. Pfeiffer ist durch Urlaub verhindert zu unterschreiben. Hübner