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Bundesgerichtshof
Urt. v. 16.05.1961, Az.: VI ZR 112/60

Rechtsmittel

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
16.05.1961
Aktenzeichen
VI ZR 112/60
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1961, 14093
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Düsseldorf - 25.02.1960

In dem Rechtsstreitverfahren
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 1961
unter Mitwirkung
der Bundesrichter Dr. Kleinewefers, Dr. K. E. Meyer, Hanebeck, Heinrich Meyer und Dr. Pfretzschner
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Revision des Beklagten Friedel Hermann wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. Februar 1960 aufgehoben, soweit dieser in dem Erkenntnis über den Zahlungsanspruch verurteilt worden ist, mit den Beklagten zu 1-3 gesamtschuldnerisch mehr als 3.000 DM Schmerzensgeld zu zahlen.

  2. II.

    Im übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.

  3. III.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

  4. IV.

    Von den Kosten des Revisionsrechtszuges tragen die Beklagten zu 1) bis 3) ihre eigenen außergerichtlichen Kosten ganz, die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu drei Vierteln. Im übrigen wird die Entscheidung über die Kosten der Revision dem Berufungsgericht vorbehalten.

Tatbestand

1

Der am ... 1947 geborene Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am 24. Juni 1958 gegen 17.00 Uhr in W.-Wi. ereignet hat. Der Kläger wurde, während er auf dem - von der Straße gesehen - rechten Begrenzungspfeiler der Posthofausfahrt in der Ha.straße saß, von dem aus dem Posthof herauskommenden Opel-Caravan der Erstbeklagten angefahren und schwer verletzt. Am Lenkrad des Unfallfahrzeugs saß der bei der Erstbeklagten beschäftigte Wiegkammergehilfe Jürgen M. - in den Vorinstanzen Beklagter zu 5) -, neben diesem der ebenfalls in Diensten der Erstbeklagten stehende Beklagte zu 4). Der damals 17-jährige Jürgen M. hatte keinen Führerschein; die Führung des Wagens oblag dem Beklagten zu 4).

2

Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte zu 4) habe Jürgen M. die Führung des Fahrzeuges überlassen, obwohl er gewußt habe, daß dieser keinen Führerschein besaß. M. sei infolge mangelnder Fahrkenntnisse bei der Ausfahrt zu weit nach links geraten, dadurch habe das Fahrzeug den Kläger erfaßt und verletzt.

3

Der Kläger hat mit der Klage ein angemessenes Schmerzensgeld sowie die Feststellung begehrt, daß die Beklagten ihm als Gesamtschuldner zum Ersatz aller künftigen Unfallschäden verpflichtet sind.

4

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Sie haben entgegnet, den Kläger treffe ein Mitverschulden.

5

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 DM verurteilt und die begehrte Feststellung getroffen.

6

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt mit dem Antrag,

  1. 1)

    die Klage abzuweisen, soweit sie verurteilt worden sind, an den Kläger ein Schmerzensgeld von mehr als 3.000 DM zu zahlen,

  2. 2)

    soweit ihre Schadensersatzpflicht festgestellt worden ist, diese Feststellung auf 3/4 zu beschränken und den etwaigen Übergang von Ansprüchen auf Sozialversicherungsträger von der Feststellung auszunehmen.

7

Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt mit der Bitte,

  1. 1)

    ihm ein angemessenes Schmerzensgeld für die Zeit bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zuzusprechen,

  2. 2)

    festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihm allen materiellen Schaden, der ihm aus dem Unfall entstehen wird, sowie allen immateriellen Schaden, der ihm nach dem vollendeten 18. Lebensjahr entstehen wird, zu ersetzen.

8

Das Oberlandesgericht hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 8.000 DM für die Zeit bis zum vollendeten 18. Lebensjahr des Klägers verurteilt und festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind,

  1. a)

    dem Kläger allen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind,

  2. b)

    dem Kläger allen immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm nach Vollendung des 18. Lebensjahres aus dem Unfall entstehen wird.

9

Mit der Revision erstreben die Beklagten die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache, soweit sie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mehr als 3.000 DM verurteilt sind, sowie die Abweisung der Klage, soweit die Feststellung begehrt wird, daß sie zum Ersatz der immateriellen Zukunftsschäden verpflichtet sind. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

10

I.

Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsirrtum eine Schadenersatzpflicht der Beklagten aus §§ 823, 831 BGB bejaht, ein Mitverschulden des Klägers dagegen verneint. Insoweit erhebt auch die Revision keine Beanstandung. Sie wendet sich aber gegen die Entscheidung zum Schmerzensgeld.

11

II.

1)

Das Berufungsgericht geht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen BGHZ 18, 149 davon aus, daß bei der Bemessung des Schmerzensgeldes der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund stehen muß. Es legt Art und Ausmaß der Schmerzen, Leiden und Entstellungen sowie der Lebensbeeinträchtigung des Klägers eingehend dar und bringt diese entgegen der Meinung der Revision in eine angemessene Beziehung zur Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes. Auch den Grad des Verschuldens des Beklagten zu 4) hat das Berufungsgericht nicht unberücksichtigt gelassen.

12

2)

Die Revision meint, das Berufungsgericht hätte entsprechend dem Antrag der Beklagten ein neues ärztliches Gutachten einholen müssen; denn das 5 Monate nach dem Unfall erstattete Gutachten habe keine geeignete Grundlage für die Ermittlung der Unfallfolgen bilden können. Die Rüge geht fehl. Das Berufungsgericht hat dem Gutachten rechtsirrtumsfrei entnommen, daß eine endgültige Beurteilung der Unfallfolgen erst nach Abschluß der kindlichen Entwicklung im 16.-18. Lebensjahr möglich sei. Unter diesen Umständen hatte das Berufungsgericht keinen Anlaß, bereits rund 15 Monate nach Erstattung des Gutachtens ein neues Gutachten einzuholen.

13

3)

Das Berufungsgericht hat das zu zahlende Schmerzensgeld auf die Zeit bis zum vollendeten 18. Lebensjahr des Klägers beschränkt, da nach dem ärztlichen Gutachten die späteren Auswirkungen der Unfallfolgen zur Zeit noch nicht übersehbar seien. Diese Begrenzung des Schmerzensgeldes auf einen bestimmten Zeitraum ist entgegen der Meinung der Revision rechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision weist selbst zutreffend darauf hin, daß ein Schmerzensgeld für die Zukunft nur zugesprochen werden kann, wenn und soweit die künftigen Gesundheitsschäden überschaubar sind. Das Berufungsgericht hat aber dem ärztlichen Gutachten in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung entnommen, daß weitere schwerwiegende Gesundheitsschäden, insbesondere Wachstumshemmung und Hodenschäden zu befürchten und die Auswirkungen des Unfalls auf den Gesundheitszustand des Klägers nach Art und Umfang für die Zeit nach dem 18. Lebensjahr gegenwärtig noch nicht übersehbar sind. Es hat daher im Einklang mit Rechtsprechung und Schrifttum das Schmerzensgeld auf den im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung überschaubaren Zeitraum begrenzt und für die weitere Zukunft lediglich die Ersatzpflicht der Beklagten antragsgemäß festgestellt (RG SeuffArch 88 Nr. 40; WarnRspr 1917 Nr. 99; Urteil des erkennenden Senats vom 11.12.1956 - VI ZR 286/55 - VersR 1957, 66; BGB RGRK 11. Aufl. § 847 Anm. 10).

14

4)

Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu 4) in der Annahme, er genieße im Gegensatz zum Beklagten Jürgen M. Versicherungsschutz, ein Schmerzensgeld in gleicher Höhe wie den Beklagten zu 1)-3) - 8.000 DM - auferlegt, während es das vom Beklagten Jürgen M. zu zahlende Schmerzensgeld mit Rücksicht auf das Fehlen von Versicherungsschutz, sein geringes Einkommen und sein geringeres Verschulden auf nur 2.000 DM festgesetzt hat. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 4) genieße Versicherungsschutz, ist jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, nicht frei von rechtlichen Bedenken.

15

Der Beklagte zu 4) war zwar gemäß § 10 Abs. 1, 2 AKB als berechtigter Fahrer mitversichert. Er hat aber nach der - zwar nur für diesen Rechtsstreit getroffenen - Feststellung des Berufungsgerichts unmittelbar vor dem Unfall auf dem Beifahrersitz des Kraftfahrzeugs Platz genommen und war stillschweigend damit einverstanden, daß Jürgen M., der keine Fahrerlaubnis hatte, den Kraftwagen in Bewegung setzte. Danach könnte der Beklagte zu 4) dem Haftpflichtversicherer gegenüber gemäß §§ 2 Abs. 2 b, 3 Abs. 1 AKB den Versicherungsschutz verloren haben und dieser den Rechtsschutz verweigern (vgl. Stiefel-Wussow, Kraftfahrzeugversicherung, 4. Aufl. § 3 AKB Anm. 2). Ist aber der Haftpflichtversicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden, so geht die Forderung des Geschädigten, soweit ihn der Versicherer nach § 153 c VVG befriedigt, nach § 158 f VVG auf diesen über. Der Beklagte zu 4) wäre damit im Ergebnis wirtschaftlich ebenso gestellt, wie wenn für ihn überhaupt kein Versicherungsschutz bestände. Er kann durch die Verurteilung möglicherweise in schwere wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, d.h. der Berücksichtigung der Verhältnisse beider Parteien, soll aber der Gedanke des Ausgleichs im allgemeinen nicht dazu führen, den Schädiger in nachhaltige Not zu bringen (BGHZ 18, 149, 159) [BGH 06.07.1955 - GSZ - 1/55]. Das angefochtene Urteil gegen den Beklagten zu 4) kann daher nicht bestehen bleiben, soweit dieser zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mehr als 3.000 DM verurteilt worden ist. In diesem Umfang ist die Verurteilung durch das Landgericht in Rechtskraft erwachsen, da die Beklagten insoweit keine Berufung eingelegt haben. Entsprechend war auch der Antrag der Revision zu verstehen.

16

Bei der erneuten Prüfung der Höhe des vom Beklagten zu 4) zu zahlenden Schmerzensgeldes ist folgendes zu beachten: Im Hinblick auf die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes wird eine schlechte Vermögenslage des Schädigers je nach dem Anlaß des Schadensereignisses, insbesondere nach dem Grad des Verschuldens, stärkeres oder schwächeres Gewicht haben. Besonders verwerfliches Verhalten des Schädigers, wie rücksichtsloser Leichtsinn oder gar Vorsatz, können den Gedanken, ihn vor wirtschaftlicher Not zu bewahren, weitgehend zurückdrängen (BGHZ 18, 159 [BGH 06.07.1955 - GSZ - 1/55]). Wie weit sich ein Verlust des Versicherungsschutzes auf die Höhe des vom Beklagten zu 4) zu zahlenden Schmerzensgeldes auswirken muß, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, bei der alle Umstände des Falles zu berücksichtigen sind.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 100 ZPO.

Dr. Kleinewefers
Dr. K. E. Meyer
Hanebeck
Heinrich Meyer
Dr. Pfretzschner