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Bundesarbeitsgericht
Beschl. v. 06.04.2022, Az.: 5 AZN 700/21
Verletzung des rechtlichen Gehörs durch unterbliebene Zeugenvernehmung; Prozessuale Anforderungen an den Antrag auf Zeugenbeweis gem. § 373 ZPO
Gericht: BAG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.04.2022
Referenz: JurionRS 2022, 17437
Aktenzeichen: 5 AZN 700/21
ECLI: ECLI:DE:BAG:2022:060422.B.5AZN700.21.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

ArbG Düsseldorf - 29.07.2020 - AZ: 8 Ca 3032/19

Fundstellen:

AP-Newsletter 2022, 120

ArbR 2022, 271

AuR 2022, 286

BB 2022, 1139

EzA 2023

EzA-SD 10/2022, 14-15

FA 2022, 183-184

MDR 2022, 1046

NJW 2022, 1558 "Substaziierungslast"

NZA 2022, 944

NZA-RR 2022, 390

ZTR 2022, 392

BAG, 06.04.2022 - 5 AZN 700/21

Orientierungssatz:

  1. 1.

    Überspannt das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen und erhebt deswegen einen angebotenen Beweis nicht, stellt dies einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar (Rn. 3).

  2. 2.

    Will eine Partei die Vernehmung eines Zeugen beantragen, hat sie gemäß § 373 ZPO den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Der Beweisführer muss sich nach § 373 ZPO nicht dazu äußern, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen hat. Dies gilt insbesondere, wenn ihm die entsprechenden Umstände nicht bekannt sein können, weil die Substantiierungslast vom Kenntnisstand der Partei abhängt (Rn. 3).

Redaktioneller Leitsatz:

Ein zu Unrecht nicht erhobener Zeugenbeweis kann einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG darstellen. Es reicht dabei aus, dass das Gericht nach Vernehmung des Zeugen im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu der Überzeugung gelangt wäre, dass eine andere Entscheidung hätte getroffen werden müssen.

In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin und Nichtzulassungsbeschwerdeführerin,
pp.
Klägerin, Berufungsbeklagte und Nichtzulassungsbeschwerdegegnerin,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 6. April 2022 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Juni 2021 - 5 Sa 586/20 - aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin - einen schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 - ausschließlich im Frühdienst einzusetzen. Die Klägerin ist seit 2005 am Empfang des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses beschäftigt. Sie wurde nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit Beginn des Arbeitsverhältnisses weit überwiegend im Frühdienst (von 6:00 Uhr bis maximal 14:00 Uhr) eingesetzt. Im Januar 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, man wolle sie künftig regelmäßig sowohl im Früh- wie auch im Spätdienst einsetzen. Die Klägerin hat behauptet, sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, im Spätdienst (von 13:00 Uhr bzw. 14:00 Uhr bis 20:00 Uhr) bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst eingesetzt zu werden und sich hierzu va. auf Stellungnahmen der sie behandelnden Ärztinnen berufen. Die Beklagte hat dies bestritten, ua. mit Verweis auf die Einschätzung ihrer Betriebsärztin (Dr. N). Mit ihrer Klage - soweit für die Nichtzulassungsbeschwerde noch von Bedeutung - hat die Klägerin ihre Beschäftigung ausschließlich im Frühdienst verlangt. Das Arbeitsgericht hat diesem Antrag (sinngemäß) stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, die ua. auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützt wird.

2

II. Die Beschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es von der Vernehmung der von der Beklagten als (sachverständige) Zeugin benannten Betriebsärztin Frau Dr. N abgesehen hat.

3

1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, vor, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspannt und in der Folge einen angebotenen Beweis zu Unrecht nicht erhebt (vgl. BGH 14. Januar 2020 - VI ZR 97/19 - Rn. 6; 15. Oktober 2019 - VI ZR 377/18 - Rn. 10 - jeweils mwN). Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (vgl. BGH 14. Januar 2020 - VI ZR 97/19 - Rn. 8; 15. Oktober 2019 - VI ZR 377/18 - Rn. 10 - jeweils mwN). Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt sind (oder sein können), ist eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet.

4

2. Gemessen daran hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es - ohne Vernehmung der von der Beklagten als Zeugin benannten Betriebsärztin Frau Dr. N - davon ausgegangen ist, deren "bloße Schlussfolgerungen" seien für die gerichtliche Überzeugungsbildung nicht erheblich, weil die Beklagte nicht mitgeteilt habe, auf welchen Tatsachen die Schlussfolgerungen der Ärztin beruhten.

5

3. Die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht auch auf diesem Gehörsverstoß. Für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG reicht es aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung der Betriebsärztin zu der Überzeugung (§ 286 ZPO) gelangt wäre, dass der Einsatz der Klägerin auch im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst möglich wäre.

6

III. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch gemacht. Die Sache wirft beim derzeitigen Stand des Verfahrens keine revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfragen auf.

7

Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht die Klägerin hinsichtlich der Entbindung der Betriebsärztin von ihrer Schweigepflicht auf ihre prozessualen Mitwirkungspflichten hinzuweisen haben (§ 139 ZPO). Sollte die Klägerin die Betriebsärztin nicht von ihrer Schweigepflicht entbinden, wäre auch dies ein im Rahmen der Beweiswürdigung im Rahmen des § 286 ZPO zu berücksichtigender Umstand.

Linck

Volk

Bubach

Zimmer

Grieb

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

Zu OS 1. und 2.: Anschluss an BGH 15. Oktober 2019 - VI ZR 377/18 -

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