Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 23.09.1992, Az.: 5 AZR 573/91
Erteilung einer schlechteren Gesamtbewertung bei hervorrangenden Einzelbewertungen in einem Unternehmen für Computer und Textsysteme; Anspruch auf Zeugnisberichtigung nach Erteilung einer guten Bewertung in Form eines Zwischenzeugnisses; Schlechtere Gesamtbewertung aufgrund verschlechtertem Leistungsverhalten nach Erteilung eines Zwischenzeugnisses; Erfüllungsanspruch eines Arbeitnehmers auf Erteilung eines richtigen Zeugnisses
Bibliographie
- Gericht
- BAG
- Datum
- 23.09.1992
- Aktenzeichen
- 5 AZR 573/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 16286
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Frankfurt am Main - 26.09.1990 - AZ: 14 Ca 56/90
- LAG Hessen - 06.09.1991 - AZ: 13 Sa 250/91
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- AuR 1993, 87 (amtl. Leitsatz)
- DStR 1993, 1035 (amtl. Leitsatz)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein Arbeitnehmer hat einen Erfüllungsanspruch auf Erteilung eines richtigen Zeugnisses. Wenn der Arbeitgeber dagegen einwendet, das erteilte Zeugnis sei inhaltlich richtig und er habe demgemäß den Zeugnisanspruch erfüllt, so ist er als Schuldner dafür darlegungs- und beweispflichtig (BAG Urteil vom 23.06.1960 - 5 AZR 560/58 = AP Nr 1 zu § 73 HGB).
- 2.
Es ist Sache des Arbeitgebers, ein Zeugnis im einzelnen zu formulieren. Er ist in seiner Entscheidung darüber frei, welche positiven oder negativen Leistungen und Eigenschaften er hierin mehr hervorheben will als andere (BAG Urteil vom 29. Juli 1971 - 2 AZR 250/70 = AP Nr 6 zu § 630 BGB).
- 3.
Werden in einem Arbeitszeugnis die Einzelbeurteilungen ausnahmslos als "sehr gut" bewertet und wurde die Tätigkeit des Arbeitnehmers darüber hinaus als "sehr erfolgreich" hervorgehoben, so ist die abschließende Formulierung, der Arbeitnehmer habe immer "zu unserer vollen Zufriedenheit" (statt "vollsten Zufriedenheit") seine Aufgaben geleistet, unvereinbar mit den ausgezeichneten Einzelbewertungen.
- 4.
Die Formulierung "zur vollen Zufriedenheit" entspricht einer guten Bewertung, eine sehr gute Leistung entspricht der zusammenfassenden Beurteilung, wonach der Arbeitnehmer zur "vollsten Zufriedenheit" gearbeitet hat.
- 5.
Will der Arbeitgeber von dem grammatikalisch unrichtigen Wort "vollste" in Zukunft abrücken, dann muß er eine sehr gute Leistung mit anderen Worten bescheinigen.
Tatbestand
Der Kläger will in diesem Rechtsstreit erreichen, daß die Beklagte verurteilt wird, ihm im Arbeitszeugnis vom 31. Dezember 1989 zu bescheinigen, daß er seine Aufgaben "immer zur vollsten Zufriedenheit" bewältigt habe.
Der Kläger war vom 1. Juni 1972 bis zum 31. Dezember 1989 zuletzt als "Distrikt-Service-Manager" und "Leiter Dienstleistungen" bei dem beklagten Unternehmen für Computer und Textsysteme für ein Bruttomonatsgehalt von etwa 9.000,00 DM tätig.
Die Beklagte hat dem Kläger am 28. Februar 1987 wegen eines Wechsels des Vorgesetzten ein Zwischenzeugnis erteilt. Dieses schließt mit der Gesamtbeurteilung, daß er seine Aufgaben stets zur "vollsten Zufriedenheit" der Beklagten gelöst habe. Damals war der Kläger als Distrikt-Service-Manager im technischen Kundendienst tätig.
Seit dem 1. Juli 1988 arbeitete er mit zusätzlichem Verantwortungsbereich auch als Manager Dienstleistungen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, am 31. Dezember 1989, erteilte die Beklagte dem Kläger ein Arbeitszeugnis, in dem sie seine Leistungen abweichend vom Zwischenzeugnis dahingehend beurteilt hat, daß er "stets zur vollen Zufriedenheit" der Beklagten gearbeitet habe. Das Zeugnis hat folgenden Wortlaut:
"Herr Herbert S , geboren am 26. Mai 1947, trat am 01. Juni 1972 als Servicetechniker zur Betreuung von Computersystemen (Reparatur, Installation und Wartung) in unser Unternehmen ein. Nach dem ersten Jahr seiner Firmenzugehörigkeit wurde Herr S mit dem Aufbau eines Service- Stützpunktes für Bayern in München beauftragt. Aufgrund seiner sehr guten Leistungen konnten wir ihn mit Wirkung vom 01. Januar 1974 zum Kundendienstleiter dieses Distriktes ernennen. Die Schwerpunkte des Aufgabengebietes lagen in der Rekrutierung, Ausbildung und Führung von Service- Mitarbeitern sowie in der verantwortlichen Leitung des technischen Bereiches, der Ersatzteilversorgung, Reparaturannahme, Einteilung der Mitarbeiter, Planung und Steuerung von Neuinstallationen und Wartungen in bezug auf Kundenzufriedenheit und Profitabilität.Aufgrund seiner vorbildlichen Arbeitsweise, seines Organisationstalentes und seiner Fähigkeit, Mitarbeiter anzuleiten und zu motivieren, konnten wir Herrn S mit Wirkung vom 01. Juli 1979 zum Distrikt Service Manager ernennen. Er war somit für die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg verantwortlich. In dieser verantwortungsvollen Position gelang es Herrn S , trotz vielfach schwieriger Umstände seine Ziele zu erreichen und in einigen Punkten sogar zu überschreiten. Herr S war ein dynamischer und erfolgsorientierter Mitarbeiter, der es ausgezeichnet verstand, seine Mitarbeiter zu einem leistungsgerichteten Team zu entwickeln. Sein hohes Maß an Eigeninitiative, verbunden mit natürlicher Autorität und Einfühlungsvermögen, ließen in seinem Verantwortungsbereich ein sehr gutes Arbeitsklima entstehen. Die Mitarbeit von Herrn S beschränkte sich jedoch nicht nur auf seine Aufgaben als Distrikt Service Manager. Er faßte es als selbstverständlich auf, auch bei zentralen Themen des Unternehmens mitzuwirken. So erarbeitete er selbständig Budgets, Strategien und Policies, war bei Urlaub oder Krankheit als Stellvertreter des Service Managers Deutschland eingesetzt und übernahm Pilotprojekte, die die Service-Organisation wesentlich mitbestimmt haben. Aufgrund seiner sehr erfolgreichen Tätigkeit und seiner Fähigkeit, Mitarbeiter auch für schwierigste Aufgaben zu motivieren, konnten wir Herrn S für mehrere Monate in der Schweiz, in Österreich und im Distrikt Mitte, Frankfurt, als kommissarischen Service Leiter einsetzen. Auch hat es uns sehr gefreut, daß wir Herrn S mit Wirkung vom 01. Juli 1988 zum Leiter Dienstleistungen, Vertriebszentrum Bayern, München, ernennen konnten. Im Rahmen dieser wesentlichen Erweiterung seines Verantwortungsbereiches übernahm er zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben die Zuständigkeit für die gesamte Support-Organisation des Vertriebszentrums. Auch hier gelang es ihm aufgrund seiner fundierten Kenntnisse und Fähigkeiten, nicht nur alle an diese Funktion geknüpften Zielsetzungen souverän zu erfüllen, sondern über die gesteckten Ziele hinaus eine Reihe von Projekten zum Nutzen des Unternehmens mit großem Erfolg zu initiieren und zu realisieren. Sowohl als Distrikt Service Manager als auch als Leiter Dienstleistungen war es für Herrn S selbstverständlich, seinen Wissensstand ständig zu aktualisieren. So nahm er an verschiedenen Führungs- und betriebswirtschaftlichen Trainings im In- und Ausland (Brüssel, Boston) teil. Seine sehr guten Fachkenntnisse und seine Loyalität gegenüber dem Unternehmen machten ihn zu einem kompetenten Ansprechpartner für unsere Kunden und für die Geschäftsleitung. Herr S zeigte stets ein hohes Maß an Identifikation mit den ihm gestellten Aufgaben, die er mit Hilfe seines ausgeprägten Organisationstalentes, seiner Kreativität und seines Verantwortungsbewußtseins immer zu unserer vollen Zufriedenheit löste. Herr S verläßt das Unternehmen zum 31. Dezember 1989 auf eigenen Wunsch. Wir bedauern, mit ihm einen allseits außerordentlich geschätzten Mitarbeiter zu verlieren, und wünschen ihm für seine berufliche und persönliche Zukunft das Beste."
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Einzelbeurteilungen in dem vorstehenden Zeugnis ließen zwingend nur eine sehr gute Gesamtbeurteilung zu. Das Zeugnis enthalte nicht einmal ansatzweise Kritik oder Anhaltspunkte für eine schlechtere Leistung in der zuletzt ausgeübten Funktion, so daß folgerichtig seine Gesamtleistungen ebenso wie im Zwischenzeugnis nur dahingehend zu bewerten seien, daß er "zur vollsten Zufriedenheit" der Beklagten gearbeitet habe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, das ihm am 31. Dezember 1989 ausgestellte Zeugnis im nachfolgenden Punkt zu berichtigen:
Der letzte Satz des 2. Absatzes der 2. Seite des Zeugnisses wird wie folgt gefaßt:
"Herr S zeigte stets ein hohes Maß an Identifikation mit den ihm gestellten Aufgaben, die er mit Hilfe seines ausgeprägten Organisationstalentes, seiner Kreativität und seines Verantwortungsbewußtseins immer zu unserer vollsten Zufriedenheit löste."
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hat dazu ausgeführt, der Kläger könne nicht an die Bewertung im Zwischenzeugnis anknüpfen, weil er danach eine umfangreichere Tätigkeit ausgeübt habe. Diese könne die Beklagte abweichend vom Zwischenzeugnis insgesamt neu bewerten. Die Leistungen des Klägers hätten nach Erteilung des Zwischenzeugnisses nachgelassen. Daher sei die Gesamtbeurteilung im Zeugnis richtig und könne vom Kläger nicht beanstandet werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Klageziel weiter.
Gründe
Die Revision des Klägers ist begründet, denn der Kläger kann verlangen, daß die Beklagte das Arbeitszeugnis vom 31. Dezember 1989 dahingehend abändert, daß der Kläger immer zur vollsten Zufriedenheit der Beklagten gearbeitet habe.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat diesem Begehren des Klägers nicht entsprochen und hat das im wesentlichen folgendermaßen begründet:
Der Kläger habe eine überdurchschnittliche Leistungsbeurteilung erhalten. In einem solchen Fall müsse er Tatsachen darlegen, die eine von ihm geforderte Spitzenbeurteilung rechtfertige. Zwar sei von dem Grundsatz auszugehen, daß der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses noch nicht erfüllt sei, solange der Arbeitnehmer eine andere Leistungsbeurteilung verlangen könne. Dann müsse der Arbeitgeber darlegen und beweisen, daß er mit dem erteilten Zeugnis den Anspruch des Arbeitnehmers darauf erfüllt habe. Das gelte aber nur dann, wenn der Arbeitgeber die Leistungen des Arbeitnehmers nicht oder nur negativ bewertet habe und treffe im Streitfall nicht zu, weil der Kläger eine nur geringfügige Verbesserung der Bewertung seiner Arbeitsleistung im Zeugnis erreichen wolle.
Die Beklagte sei an die Bewertung in dem von ihr schon am 28. Februar 1987 erteilten Zwischenzeugnis nicht gebunden, denn dieses sei von anderen Personen ausgestellt als das endgültige Zeugnis. Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß der Kläger von der Arbeitsleistung zuletzt freigestellt worden sei und nach Erteilung des Zwischenzeugnisses neue Aufgaben erledigt habe. Wenn der Arbeitgeber unter diesen Umständen die sehr guten Einzelbewertungen zusammenfassend als vollbefriedigend gewürdigt habe, so sei das durch den Bewertungsspielraum des Arbeitgebers gedeckt.
II.
Der Kläger wendet sich mit der Revision vor allem dagegen, daß ihm vom Landesarbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt worden sei, daß er nicht nur zur vollen Zufriedenheit, sondern zur vollsten Zufriedenheit gearbeitet habe.
Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser vom Kläger angegriffenen Auffassung des Landesarbeitsgerichts zu folgen ist oder nicht. Ein Arbeitnehmer hat einen Erfüllungsanspruch auf Erteilung eines richtigen Zeugnisses. Wenn der Arbeitgeber dagegen einwendet, das erteilte Zeugnis sei inhaltlich richtig und er habe demgemäß den Zeugnisanspruch erfüllt, so ist er als Schuldner dafür darlegungs- und beweispflichtig (BAGE 9, 289, 296 = AP Nr. 1 zu § 73 HGB). Zwar geht das Landesarbeitsgericht ebenfalls von diesem Grundsatz aus, es will jedoch hiervon abweichend dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für eine von ihm angestrebte geringfügig bessere Beurteilung auferlegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts zu folgen ist oder nicht. Darauf kommt es im Streitfall deswegen nicht an, weil die vom Kläger angestrebte bessere Beurteilung sich allein schon aus dem unstreitigen Wortlaut des am 31. Dezember 1989 erteilten endgültigen Zeugnisses ergibt, an dem sich die Beklagte festhalten lassen muß. Dafür ist es auch ohne Bedeutung, wie die Beklagte die Leistungen des Klägers im Zwischenzeugnis vom 28. Februar 1987 bewertet hat.
Zwar ist es Sache des Arbeitgebers, ein Zeugnis im einzelnen zu formulieren. Er ist in seiner Entscheidung darüber frei, welche positiven oder negativen Leistungen und Eigenschaften er hierin mehr hervorheben will als andere (BAG Urteil vom 29. Juli 1971 - 2 AZR 250/70 - AP Nr. 6 zu § 630 BGB). Darum geht es hier nicht. Die Parteien streiten nicht über die Beschreibung und Bewertung einzelner Leistungen des Klägers, sondern alleine über die Gesamtbeurteilung der im einzelnen dem Wortlaut und der Bewertung nach unstreitigen Einzelbeurteilungen.
Diese Einzelbeurteilungen werden ausnahmslos von der Beklagten als "sehr gut" bewertet und seine Tätigkeit darüber hinaus als "sehr erfolgreich" hervorgehoben. In dem ausführlichen Zeugnis findet sich keine einzige Einschränkung der gar nicht mehr steigerungsfähigen ausgezeichneten Bewertung durch die Beklagte. Unter diesen Umständen ist die Schlußfolgerung der Beklagten, daß der Kläger "immer zu unserer vollen Zufriedenheit" seine Aufgaben gelöst habe, unvereinbar mit den ausgezeichneten Einzelbewertungen. Wenn die Beklagte in diesem Rechtsstreit geltend macht, der Kläger habe in seinen Leistungen in letzter Zeit nachgelassen, so findet sich eine solche Einschränkung im Zeugnis nicht und kann deswegen bei der Gesamtbeurteilung nicht berücksichtigt werden. Zwar ist die Gesamtbewertung, wonach der Kläger "immer zur 'vollen' Zufriedenheit" der Beklagten gearbeitet hat, schon eine gute Bewertung (vgl. Schleßmann, Das Arbeitszeugnis, 12. Aufl., S. 87). Dagegen entspricht eine sehr gute Leistung, die nach den Einzelbewertungen vorliegt, erst der zusammenfassenden Beurteilung, wonach der Arbeitnehmer zur "vollsten Zufriedenheit" gearbeitet hat (vgl. Schleßmann, aaO).
Allerdings gehört das Wort "voll" zu den Adjektiven, die nicht vergleichsfähig sind, wie etwa auch "rund", "ganz", "halb" usw. (vgl. dazu Duden, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, 4. Aufl., S. 312 f. Rz 529). In der Zeugnissprache wird aber das Wort "vollste Zufriedenheit" demgegenüber in Kauf genommen. Das zeigt sich insbesondere darin, daß die Beklagte es ebenfalls noch im Zwischenzeugnis verwandt hat. Wenn sie davon in Zukunft abrücken will, dann hätte sie statt des Prädikats zur "vollsten Zufriedenheit" eine entsprechend sehr gute und nicht lediglich gute Leistung mit anderen Worten bescheinigen müssen. Die Beklagte konnte diesen Sprachgebrauch nicht dadurch aufgeben, daß sie dem Kläger eine weniger gute Gesamtbeurteilung erteilt als den Einzelbewertungen in dem Arbeitszeugnis entspricht.
Dr. Reinecke,
Dr. Olderog,
Dr. Schlemmer,
Schütters