Videoüberwachung
1 Begriffsbestimmung Videoüberwachung
Räumlichkeit:
"Nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung kann eine Videoüberwachung nur in öffentlich zugänglichen Räumen stattfinden. Der Berechtigte, d.h. der Inhaber des Hausrechts, muss den Raum für eine unbestimmte Anzahl von Personen geöffnet haben. Die Widmung kann sich darauf beschränken, den Aufenthalt in dem Raum nur zu einem bestimmten Zweck zu gestatten. Entscheidend ist, dass der Berechtigte ihm unbekannten Personen die Möglichkeit eröffnet hat, den Raum ungehindert, insbesondere ohne vorherige Einlasskontrolle, zu betreten und sich darin aufzuhalten. Dies ist typischerweise bei Geschäftsräumen mit Publikumsverkehr der Fall" (BVerwG 27.03.2019 - 6 C 2/18).
Anforderungen an die technische Einrichtung:
"Eine Videoüberwachung setzt weiterhin voraus, dass der öffentlich zugängliche Raum mit einer optisch-elektronischen Einrichtung beobachtet wird. Der Verantwortliche muss technische Mittel einsetzen, die dazu bestimmt sind, bewegte Bilder herzustellen und wahrnehmbar zu machen (...). Ein Kamera-Monitor-System ist eine derartige Einrichtung. Unter Beobachtung (...) ist jede gewollte, auf einige Zeit angelegte Wahrnehmung äußerer Vorgänge zu verstehen. Die durch die Kamera aufgenommenen Bilder müssen nicht aufgezeichnet werden. Es reicht aus, dass die Bewegtbilder in Echtzeit auf einem Bildschirm betrachtet werden können. Allerdings muss der Verantwortliche durch die Beobachtung personenbezogene Daten erheben, d.h. sich beschaffen (...). Hierfür müssen auf den Bildern Personen so zu erkennen sein, dass sie identifiziert werden können" (BVerwG s.o.).
2 Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr
Zum Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen in Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs und öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen wurden mit § 4 BDSG (seit dem 25.05.2018 - zuvor § 6b BDSG) die Möglichkeiten der öffentlichen Videoüberwachung ausgeweitet.
Hinweis:
Der neue § 4 BDSG enthält eine § 6b BDSG a.F. weitgehend entsprechende Regelung zur Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen unter Beibehaltung des Stufenverhältnisses der Beobachtung (Absatz 1) sowie der Speicherung oder Verwendung (Absatz 3) sowie der Kennzeichnungs-, Informations- und Löschungspflichten (Absatz 2, 4 und 5). Der Gebrauch des Begriffs "Verwendung" in Absatz 3 statt - wie bisher im BDSG a. F. - "Nutzung" entspricht einem Unterbegriff des unionsrechtlichen Verarbeitungsbegriffs des Artikels 4 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2016/679, ohne dass damit ein Bedeutungsunterschied verbunden ist.
Öffentlich zugängliche großflächige Anlagen sind nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/10941) bauliche Anlagen, die nach dem erkennbaren Willen des Betreibers von jedermann betreten oder genutzt werden können und von ihrer Größe her geeignet sind, eine größere Anzahl von Menschen aufzunehmen. Insbesondere kommen hierbei Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren und Parkräume in Betracht, die einen entsprechenden Publikumsverkehr aufweisen. Hierzu gehören auch Flächen, die eine gleichzeitige Anwesenheit vieler Menschen bei Veranstaltungen ermöglichen, und ganz oder teilweise aus baulichen Anlagen bestehen und daher auch besonderen baurechtlichen Bestimmungen der Länder und der Baunutzungsverordnung unterliegen.
Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Videoüberwachung unterliegt bei Einrichtungen und Fahrzeugen des Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs nur dann dem § 4 BDSG, wenn der Verkehrsbetrieb nicht öffentlich-rechtlich betrieben wird. Zu den öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs gehören beispielsweise Busfernbahnhöfe.
Dabei gibt es keine Verpflichtung des Betreibers eine Videoüberwachung einzusetzen. Soweit der Betreiber eine Videoüberwachung einsetzen möchte und die Schutzgüter Leben, Gesundheit oder Freiheit in solchen Anlagen betroffen sein können, wird durch die Formulierung "gilt als...ein besonders wichtiges Interesse" die Abwägungsentscheidung zugunsten der Zulässigkeit des Einsatzes einer Videoüberwachungsmaßnahme geprägt.
Damit stehen der Polizei und Staatsanwaltschaft verstärkt effektive Übersichts-, Aufklärungs- und Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung, gerade wenn es darum geht, unmittelbar reagieren zu können. Die bestehenden polizeirechtlichen Rechtsgrundlagen, die einen Zugriff auf die von nicht-öffentlichen Stellen erhobenen Videoaufzeichnungen ermöglichen (z. B. § 21 Absatz 3 Satz 2 und § 47 Bundespolizeigesetz bzw. die entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung), bleiben durch die (Neu-)Regelung unberührt. Entsprechendes gilt, soweit die Videoüberwachung in anderen Gesetzen spezieller geregelt ist (z. B. § 27 Bundespolizeigesetz).
3 Videoüberwachung zu privaten Zwecken
Gesetzliche Vorgabe:
Auch die von Privatpersonen auf ihren eigenen Grundstücken/Immobilien installierten Videoüberwachungssystems müssen den Anforderungen von § 4 BDSG genügen, wenn es sich um öffentlich-zugänglichen Räume handelt. Danach ist die Videoüberwachung zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung des Hausrechts oder berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
Hausrecht / berechtigtes Interesse:
"Die Rechtfertigungsgründe "Hausrecht" und "berechtigte Interessen" lassen sich nicht strikt abgrenzen, sondern überschneiden sich inhaltlich. Das Hausrecht ist das Mittel, das den an einem Raum Berechtigten in die Lage versetzt, darüber zu bestimmen, ob und zu welchem Zweck andere Personen den Raum betreten und sich darin aufhalten dürfen (...). Der Berechtigte kann zwar aufgrund seines Hausrechts missliebiges Verhalten zum Anlass nehmen, Besuchern "die Tür zu weisen". Allerdings zeigt die Regelungssystematik des § 6b Abs. 1 BDSG a.F., dass er sich nicht beliebig auf das Hausrecht berufen kann, um eine Videoüberwachung durchzuführen. Vielmehr muss er sich auf ein berechtigtes Interesse, d.h. auf einen "guten Grund" stützen können. Dies kann jedes subjektive Interesse sein, wenn es grundsätzlich schutzwürdig und objektiv begründbar ist" (BVerwG 27.03.2019 - 6 C 2/18).
In dem obigen Urteil hat das BVerwG die von einer Zahnärztin in ihrer Praxis installierte Videokamera aufgrund des nicht ständig besetzten Empfangstresens für unzulässig geurteilt.
4 Videoüberwachung von Arbeitnehmern / im Arbeitsleben
4.1 Widerstreitende Grundrechte
Bei der Frage der Zulässigkeit einer Videoüberwachung sind die durch das Grundgesetz geschützten Rechte des Arbeitgebers (Eigentumsschutz, Berufsfreiheit) auf Kontrolle des Arbeitnehmers den Rechten der Arbeitnehmer dem Persönlichkeitsrecht sowie dem Datenschutz gegenüber zu stellen.
Rechtsgrundlage des Beschäftigtendatenschutzes ist seit dem 25.05.2018 § 26 BDSG. Die Frage, ob diese Norm auch für den Schutz von Leiharbeitnehmern (Arbeitnehmerüberlassung) gilt, hatte das BAG zuvor ausdrücklich offen gelassen. Nunmehr ist die Frage geklärt, da diese Arbeitnehmergruppe in § 26 Abs. 8 Nr. 1 BDSG ausdrücklich in den Schutzbereich einbezogen ist.
Danach unterliegt eine Überwachungsmaßnahme immer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, d.h. sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.
4.2 Offene Überwachung im öffentlichen Raum
Bei der Videoüberwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen sind die Vorgaben des § 4 BDSG zu beachten: Danach ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für zuvor konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
Beispiele für berechtigte Interessen:
Aufdeckung von Straftaten (z.B. bei einer Bank), Sicherung des Hausrechts
Dass eine Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ausschließlich offen erfolgen darf, ergibt sich nach dem Urteil BAG 21.06.2012 - 2 AZR 153/11 aus § 4 BDSG (bis zum 24.05.2018: § 6b BDSG a.F.) nicht. Vielmehr kann nach der Ansicht der Richter eine verdeckte Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen zulässig sein, wenn die verdeckte Videoüberwachung das einzige Mittel zur Überführung von Arbeitnehmern ist, die der Begehung von Straftaten konkret verdächtig sind.
Bezüglich der Verwertung von Zufallserkenntnissen im Rahmen der Videoüberwachung muss das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben (BAG 21.11.2013 - 2 AZR 797/11).
4.3 Verdeckte Überwachung
Die Ergebnisse einer heimlichen Videoaufnahme sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27.03.2003 - 2 AZR 51/02) nur verwertbar, wenn ein konkreter Verdacht einer Straftat oder einer sonstigen schweren Verfehlung gegen den Arbeitgeber vorliegt.
Dabei wurde in der Entscheidung BAG 29.06.2017 - 2 AZR 597/16 z.B. die Ausführung von Konkurrenztätigkeiten während bestehender Arbeitsunfähigkeit als berechtigter Grund genannt.
4.4 Kein Verwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess
Das Bundesarbeitsgericht hat der Verwertung einer Videoaufzeichnung in einem Kündigungsschutzprozess zugestimmt, obwohl die Datenerhebung nicht ganz den gesetzlichen Vorgaben zum Datenschutz entsprach:
"In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht" (Pressemitteilung zu BAG 29.06.2023 – 2 AZR 296/22).
4.5 Mitbestimmung
Die Einführung einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz unterliegt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (BAG 29.06.2004 - 1 ABR 21/03). Dessen Zustimmung kann durch die Einigungsstelle ersetzt werden.
Die Regelungen der Betriebsparteien über eine Videoüberwachung im Betrieb müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Die Betriebsparteien haben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern (BAG 26.08.2008 - 1 ABR 16/07).
4.6 Zeitraum der zulässigen Speicherung
"Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer zulässigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Rechtsverfolgung durch den Arbeitgeber materiell-rechtlich möglich ist" (BAG 23.08.2018 - 2 AZR 133/18).