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Haftung des Arbeitnehmers

 Normen 

§ 105 SGB VII

§ 619a BGB

 Information 

1. Allgemein

Pflicht zur Schadensersatzzahlung für im Rahmen der Arbeit von dem Arbeitnehmer verursachte Schäden.

Arbeitnehmer verursachen bei der Ausführung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht selten einen Schaden. Die Frage, ob der Arbeitnehmer für einen Schaden haftet bzw. in welchem Umfang er haftet, ist gesetzlich nicht gesondert geregelt. Rechtsgrundlage sind die insofern von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.

Diese Grundsätze sind zwingendes Recht und können durch eine Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien nicht ausgeschlossen bzw. zuungunsten des Arbeitnehmers geändert werden.

2. Anwendungsbereich

Erfasst werden gemäß § 105 SGB VII Schäden, die durch den Betrieb veranlasst sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses entstehen. Betrieblich veranlasst sind nur solche Tätigkeiten des Arbeitnehmers, die ihm

  • arbeitsvertraglich übertragen worden sind

    oder

  • die er im Interesse des Arbeitgebers für den Betrieb ausführt.

Die Tätigkeit muss in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und dem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Ein lediglich räumlicher und zeitlicher Zusammenhang der Pflichtverletzung mit der Arbeitsleistung ist unzureichend, entscheidend ist vielmehr der Zweck der Tätigkeit. Die Darlegungs- und Beweislast für die Betrieblichkeit der schadensverursachenden Tätigkeit obliegt dem Arbeitnehmer.

Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen. Verhaltensweisen, die zu den Besonderheiten des Schulbetriebs gehören wie Spielereien, Neckereien und Raufereien, machen im betrieblichen Umfeld gerade keine "betriebliche Tätigkeit" aus, sondern führen zur Einordnung in den persönlich-privaten Bereich. Das Herumwerfen von Wuchtgewichten in einem Arbeitsraum, in dem andere Menschen anwesend sind oder mit ihrer Anwesenheit zu rechnen ist, noch dazu mit Kraftaufwand, ist keine betriebliche Tätigkeit (BAG 19.03.2015 - 8 AZR 67/14).

Fehlt es an der betrieblichen Veranlassung, ist die Handlung dem privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen und der Schaden von ihm allein zu tragen.

Beispiel:

Die Fahrt eines Tankstellengehilfen, der ohne im Besitz eines Führerscheins zu sein, abends nach Dienstschluss eine zu einem Unfall führende Schwarzfahrt mit einem Kundenfahrzeug unternahm.

Auszubildende, die durch ihr Verhalten bei einem Beschäftigten desselben Betriebs einen Schaden verursachen, haften nach den gleichen Regeln wie andere Arbeitnehmer (BAG 19.03.2015 - 8 AZR 67/14).

3. Grundsätze der Haftung

Bei fahrlässiger Pflichtverletzung:

  • Schäden, die infolge leichtester Fahrlässigkeit entstanden sind, sind im Rahmen des allgemeinen Betriebsrisikos allein vom Arbeitgeber zu tragen.

  • Bei normaler Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber geteilt.

  • Wenn der Schaden von dem Arbeitnehmer grob fahrlässig verursacht wurde, haftet er grundsätzlich allein.

Bei vorsätzlicher Pflichtverletzung:

  • Bei vorsätzlicher Beschädigung ist der Schaden grundsätzlich vollständig vom Arbeitnehmer zu ersetzen. Nach einem Urteil des BAG führt selbst ein vorsätzlicher Pflichtverstoß nur dann zu einer vollen Haftung des Arbeitnehmers, wenn auch der Schaden vom Vorsatz erfasst ist.

Dabei sind folgende Grundsätze zu beachten:

  • Nach der Rechtsprechung des BAG muss sich das Verschulden - anders als nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen - neben der Pflichtverletzung auch auf den Eintritt des Schadens beziehen.

  • Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind auch subjektive Umstände zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte.

Die Feststellung des Vorliegens der Haftungsvoraussetzungen obliegt dem Tatrichter, der einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum hat. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften nicht verletzt hat. Eine Aufhebung des Berufungsurteils kann erfolgen, wenn eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch den Tatsachenrichter festzustellen ist (BAG 18.01.2007 - 8 AZR 250/06).

4. Umfang der Haftung

Aber auch wenn eine gänzliche oder teilweiser Haftung des Arbeitnehmers zu bejahen ist, kann dieser unter Umständen nicht verpflichtet sein, dem Arbeitgeber die gesamte Schadenssumme zu erstatten.

Auch bei einer grob fahrlässigen Schädigung kann es zu einer Haftungsminderung des Arbeitnehmers kommen.

Ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen zu beteiligen ist, richtet sich nach einer Abwägung der Gesamtumstände, für die nach der Rechtsprechung folgende Kriterien zu berücksichtigen sind:

  • der Schadensanlass

  • der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens

  • die Schadensfolgen

  • die Gefahrgeneigtheit der Arbeit

  • die Höhe des Schadens

  • ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch eine Versicherung abdeckbares Risiko

  • die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb

  • die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist

  • die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Umstände des Arbeitsverhältnisses, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten

  • Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte

Nach u.a. den Entscheidungen BAG 28.10.2010 - 8 AZR 418/09 und BAG 15.11.2012 - 8 AZR 705/11 gibt es keine feste, summenmäßig beschränkte Obergrenze der Haftung.

Eine für diesen Schaden abgeschlossene Haftpflichtversicherung bzw. die Möglichkeit, eines derartigen Versicherungsabschlusses ist nach dem Urteil BAG 18.01.2007 - 8 AZR 250/06 nur dann zu berücksichtigen, wenn die Versicherung tatsächlich den Schaden abdeckt bzw. abgedeckt hätte und es nach den Versicherungsbedingungen auch nicht zu einem Regress gegen den Arbeitnehmer kommt bzw. gekommen wäre.

5. Abweichen von den Haftungsgrundsätzen durch einzel- oder kollektivrechtliche Vereinbarung

Die Grundsätze über die Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten sind einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht. Von ihnen kann weder einzel- noch kollektivvertraglich zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden (BAG 05.02.2004 - 8 AZR 91/03).

6. Mitverschulden des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber muss sich sein Mitverschulden gemäß § 254 BGB zurechnen lassen. Dabei kann das Mitverschulden nach der Entscheidung BAG 18.01.2007 - 8 AZR 250/06 auch in einem Organisationsverschulden bestehen.

7. Unzulässigkeit einer anderen vertraglichen Regelung

Die Grundsätze über die Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten sind einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht. Von ihnen kann weder einzel- noch kollektivvertraglich zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden (BAG 05.02.2004 - 8 AZR 91/03).

8. Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst

8.1 Tarifliche Rechtsgrundlagen

Für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gilt folgende Rechtslage:

  • Unterliegt der Arbeitnehmer dem Tarifvertragsrecht des TV-L, so entspricht seine Haftung gemäß § 3 Abs. 7 TV-L der Haftung eines Landesbeamten des entsprechenden Bundeslandes.

  • Die Schadenshaftung der Beschäftigten, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber stehen, der Mitglied eines Mitgliedverbandes der VKA ist, ist gemäß § 3 Abs. 6 TVöD bei dienstlich oder betrieblich veranlassten Tätigkeiten auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.

  • Für die Schadenshaftung der Beschäftigten des Bundes finden gemäß § 3 Abs. 7 TVöD die Bestimmungen, die für die Beamten des Bundes gelten, entsprechende Anwendung.

8.2 Mitbestimmung des Personalrats

"Die Mitbestimmung des Personalrats bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Beschäftigte (§ 72 Abs. 4 Nr. 11 LPVG NRW) begründet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, bei deren Fehlen eine gerichtliche Geltendmachung unzulässig ist (BAG 14.11.1991 - 8 AZR 151/91). Der ordnungsgemäße Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens ist als Voraussetzung der Klagbarkeit des Anspruchs anzusehen (BAG 30.08.1995 - 1 AZR 237/95 - zu I 2 der Gründe)."

8.3 Keine Haftung bei Organisationsverschulden des Bürgermeisters

Das LAG Hamm hat - wie schon zuvor das ArbG Paderborn - die Schadensersatzklage einer Kommune in NRW in Höhe von ca. 600.00 Euro gegen die ehemalige Kassenleiterin der Kommune u.a. aufgrund der mangelhaften Verwaltungsorganisation durch den Bürgermeister abgewiesen (LAG Hamm 22.03.2022 - 17 Sa 1396/20):

"Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ist der Bürgermeister für die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsgangs der gesamten Verwaltung verantwortlich. Nach § 62 Abs. 3 GO NRW obliegt ihm die Erledigung aller Aufgaben, die ihm aufgrund gesetzlicher Vorschriften übertragen sind. Gemäß § 93 Abs. 2 GO NRW hat die Gemeinde für die Finanzbuchhaltung, wenn sie diese nicht durch eine Stelle außerhalb der Gemeindeverwaltung besorgen lässt, einen Verantwortlichen und einen Stellvertreter zu bestellen. Diese Bestellung fällt als Akt der Geschäftsverteilung nach § 62 Abs. 1 Satz 3 GO NRW in die Zuständigkeit des Bürgermeisters (...). Gemäß § 31 Abs. 1 GemHVO NRW hat der Bürgermeister nähere Vorschriften unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten zu erlassen, um die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben der Finanzbuchhaltung sicherzustellen."

 Siehe auch 

Arbeitsunfall

Arbeitsunfall - Haftungsbeschränkung

Fahrlässigkeit

Mankohaftung

BAG 18.04.2002 - 8 AZR 348/01 (Haftung bei vorsätzlichem Pflichtverstoß)

BAG 16.02.1995 8 AZR 493/93 (Haftung einer Flugbegleiterin bei fehlendem Ausweis)

BAG 27.09.1994 - GS 1/89 (A) (Änderung der Rechtsprechung)

Lepa: Die Haftung des Arbeitnehmers im Straßenverkehr; Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht - NZV 1997, 137

Matz/Baumann: Die Reichweite der Haftungsprivilegien nach dem SGB VII außerhalb des klassischen Arbeitsunfalls; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2016, 673

Schielke: Grundsätze und Rechtsentwicklung der Arbeitnehmerhaftung; Die Mitarbeitervertretung - ZMV 2009, 61

Schwab: Die Schadenshaftung im Arbeitsverhältnis - Die Haftung des Arbeitnehmers; Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht - NZA-RR 2006, 449

Walker: Entwicklungen bei der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung; Zeitschrift für Arbeitsrecht - ZFA 2015, 515