Rechtswörterbuch

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Aussetzung

 Normen 

§ 221 StGB

 Information 

1. Allgemein

Die Aussetzung nach § 221 StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt mit dem Schutzzweck, konkrete Gefahren für Leib oder Leben für Personen, die wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflos sind, zu unterbinden.

2. Die Tatbestandsmerkmale

2.1 Versetzen in eine hilflose Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB)

Tatbestandsvoraussetzungen sind, dass der Hilflose in eine räumliche, Leib und Leben konkret gefährdende Lage gebracht wird und der Täter ihn dort allein lässt. Eine Fürsorgepflicht des Täters ist nicht erforderlich.

Die Tatbestandserfüllung erfordert keine Ortsveränderung des Opfers oder des Täters (BGH 05.03.2008 - 2 StR 626/07).

2.2 Verlassen in hilfloser Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Der Tatbestand des Verlassens in hilfloser Lage ist nach der Rechtsprechung ein Unterlassungsdelikt. Das Verlassen des Opfers ist ein faktischer Anwendungsfall, aber kein gesetzlicher Unterfall des Im-Stich-Lassens. Dass der Täter die gebotene Handlung deshalb nicht vornimmt, weil er den Ort, an dem er handeln müsste, verlässt, ändert nichts an dem grundsätzlichen Rechtscharakter der Tat (BGH 19.10.2011 - 1 StR 233/11).

Beispiel:

Eine Krankenschwester verlässt das Zimmer eines in ihre Obhut gegebenen Schwerkranken, nimmt jedoch nicht die notwendigen Versorgungsmaßnahmen vor.

Bestehen einer Obhuts- und Beistandspflicht:

"Es sind die Grundsätze heranzuziehen, die für die Entstehung der Garantenstellung im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte gelten. Hilfspflichten wie diejenigen aus § 323c Abs. 1 StGB, die jedermann treffen, reichen zur Begründung einer Beistandspflicht nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht aus (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 14). Sie folgt auch nicht allein daraus, dass einem Verunglückten oder sonst Hilfsbedürftigen Beistand geleistet wird, sondern entsteht erst dann, wenn der Helfende die Situation für den Hilfsbedürftigen wesentlich verändert, namentlich andere, nicht notwendigerweise sichere Rettungsmöglichkeiten ausschließt oder vorher jedenfalls nicht in diesem Maße bestehende Gefahren schafft (…). Die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft begründet aber noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Diese entstehen erst mit einer erkennbaren Übernahme einer besonderen Schutzfunktion gegenüber Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe in bestimmten Gefahrenlagen (…). Dies ist bei losen Zusammenschlüssen etwa zum gemeinsamen Konsum von Alkohol oder Drogen (…), bei Wohngemeinschaften (…), bei Fahrgemeinschaften (…) und bei Personen, die sich lediglich zufällig in derselben Gefahrensituation befinden (…), regelmäßig nicht der Fall" (BGH 21.09.2022 - 6 StR 47/22).

Auch das Tatbestandsmerkmal des Verlassens in hilfloser Lage erfordert keine Ortsveränderung des Opfers oder des Täters (BGH 05.03.2008 - 2 StR 626/07).

Hinweis:

Anders noch: BGH 30.09.1991 - 1 StR 339/91

Konkurrenz von Tatbeständen:

Bei einem vorsätzlichen Angriff auf Leib oder Leben des Opfers kann der Täter, wenn er sich später eines Besseren besinnt und - erfolgreich - Hilfe leistet, zwar den Strafmilderungsgrund des Rücktritts erlangen; eine rechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung besteht jedoch nicht. Die strafrechtliche Ahndung erfolgt also nicht (auch) durch § 221 StGB, sondern ausschließlich durch das Verletzungsdelikt (BGH 24.10.1995 - 1 StR 465/95).

 Siehe auch 

Unterlassene Hilfeleistung

Ebel: Die "hilflose Lage" im Straftatbestand der Aussetzung; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2002, 404

Satzger/Schluckebier/Widmaier: StGB - Strafgesetzbuch. Kommentar; 6. Auflage 2024