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Art. 9 BayVSG
Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG)
Landesrecht Bayern

Teil 2 – Befugnisse → Kapitel 2 – Nachrichtendienstliche Mittel

Titel: Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG)
Normgeber: Bayern
Amtliche Abkürzung: BayVSG
Gliederungs-Nr.: 12-1-I
Normtyp: Gesetz

Art. 9 BayVSG – Verdeckter Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung (1)

(1) 1Das Landesamt darf bei der Erhebung personenbezogener Daten im Schutzbereich von Art. 13 GG und Art. 106 Abs. 3 der Verfassung verdeckt technische Mittel einsetzen, um das nichtöffentlich gesprochene Wort abzuhören und aufzuzeichnen sowie Lichtbilder und Bildaufzeichnungen herzustellen, zur Abwehr einer dringenden Gefahr für

  1. 1.

    ein Verfassungsschutzgut,

  2. 2.

    Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder

  3. 3.

    Sachen, deren Erhaltung im besonderen öffentlichen Interesse geboten ist.

2Zur Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme darf die Wohnung auch ohne Wissen des Inhabers und der Bewohner betreten werden, wenn dies ausdrücklich angeordnet wurde. 3Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut ansonsten nicht rechtzeitig erlangt werden kann. 4Die erhobenen Daten dürfen über den Anlass und Zweck hinaus, zu dem sie erhoben wurden, nur zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des Satzes 1 oder zur Verfolgung einer Straftat, auf Grund derer eine entsprechende Maßnahme nach § 100c in Verbindung mit § 100b der Strafprozeßordnung in der am 1. Januar 2023 geltenden Fassung angeordnet werden könnte, weiterverarbeitet werden. 5Daten, die durch Herstellung von Lichtbildern oder Bildaufzeichnungen erlangt wurden, dürfen nicht zu Strafverfolgungszwecken weiterverarbeitet werden.

(2) 1Die Maßnahme darf sich nur gegen eine Person richten, von der auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie für die Gefahr verantwortlich ist (Zielperson), und nur in deren Wohnung durchgeführt werden. 2In der Wohnung einer anderen Person ist die Maßnahme zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass

  1. 1.

    die Zielperson sich dort zur Zeit der Maßnahme aufhält,

  2. 2.

    sich dort für die Erforschung des Sachverhalts relevante Informationen ergeben werden und

  3. 3.

    eine Maßnahme in der Räumlichkeit der Zielperson allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts ausreicht.

(3) 1Die Voraussetzungen des Art. 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 liegen insbesondere vor, wenn zu privaten Wohnzwecken genutzte Räumlichkeiten betroffen sind, in denen sich die Zielperson allein oder ausschließlich mit Personen des besonderen persönlichen Vertrauens aufhält, es sei denn, tatsächliche Anhaltspunkte rechtfertigen die Annahme, dass

  1. 1.

    den Gesprächen insgesamt ein höchstvertraulicher Charakter fehlen wird oder

  2. 2.

    die Gespräche einen unmittelbaren Bezug zur dringenden Gefahr im Sinne von Abs. 1 Satz 1 haben werden.

2In solchen Räumen ist eine ausschließlich automatische Aufzeichnung nur unter den Voraussetzungen des Art. 8a Abs. 1 Satz 3 zulässig.

(1) Red. Anm.:

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Vom 9. Mai 2022 (BGBl. I S. 789)

Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 - 1 BvR 1619/17 - wird folgende Entscheidungsformel veröffentlicht:

  1. 1.

    Artikel 15 Absatz 3 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) vom 12. Juli 2016 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 145), das zuletzt durch § 3 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 418) geändert worden ist, verstößt gegen Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.

  2. 2.

    Artikel 9 Absatz 1 Satz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 12 Absatz 1, Artikel 18 Absatz 1, Artikel 19 Absatz 1, Artikel 19a Absatz 1, Artikel 25 Absatz 1 Nummer 1 2. Alternative, Artikel 25 Absatz 1 Nummer 3, Artikel 25 Absatz 1a, Artikel 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Nummer 3, Artikel 25 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2, Artikel 8b Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Artikel 8b Absatz 3 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1 und 4 des Grundgesetzes nicht vereinbar.

  3. 3.

    Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Juli 2023, gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Vorschriften mit den folgenden Maßgaben fort:

    Maßnahmen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 und gemäß Artikel 10 Absatz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz dürfen nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen, deren Erhaltung im besonderen öffentlichen Interesse geboten ist, ergriffen werden und nur dann, wenn geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut ansonsten nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Dabei ist Artikel 8a Absatz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz mit der Maßgabe der widerleglichen Vermutung anzuwenden, dass Erkenntnisse, die bei einer Wohnraumüberwachung gewonnen werden, den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen.

    Auf der Grundlage von Artikel 12 Absatz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz dürfen technische Mittel nicht so eingesetzt werden, dass die Bewegungen des Mobilfunkendgeräts einer beobachteten Person über einen längeren Zeitraum hinweg nachverfolgt werden.

    Eine Maßnahme nach Artikel 18 Absatz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz oder nach Artikel 19 Absatz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz ist nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn sie nicht zur Erforschung einer Bestrebung unerlässlich ist, die auf die Begehung besonders schwerer Straftaten gerichtet ist, welche die in § 3 Absatz 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seite 2954), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts vom 5. Juli 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 2274), genannten Schutzgüter gefährden. Ist der Einsatz gezielt gegen bestimmte Personen gerichtet, ist Artikel 19a Absatz 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz entsprechend anzuwenden.

    Auf der Grundlage von Artikel 19a Absatz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz dürfen technische Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen und zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes nur dann verdeckt eingesetzt werden, wenn dies zur Erforschung einer Bestrebung unerlässlich ist, die auf die Begehung besonders schwerer Straftaten gerichtet ist, welche die in § 3 Bundesverfassungsschutzgesetz genannten Schutzgüter gefährden und die weiteren gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.

    Eine Übermittlung von mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangten personenbezogenen Daten und Informationen gemäß Artikel 25 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz ist nur zum Schutz eines Rechtsguts von herausragendem öffentlichem Interesse zulässig; dem entspricht eine Begrenzung auf besonders schwere Straftaten. Außerdem müssen die nach Maßgabe der Urteilsgründe an den jeweiligen Übermittlungsanlass zu stellenden Anforderungen erfüllt sein.

Die vorstehende Entscheidungsformel hat gemäß § 31 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Gesetzeskraft.