Kündigung im Kleinbetrieb - was heißt hier "in der Regel"?

Arbeitsrecht Kündigung
24.07.202438 Mal gelesen
Das Kündigungsschutzgesetz ist nur anwendbar, wenn im Betrieb "in der Regel" mehr als zehn (in Altfällen: mehr als fünf) Arbeitnehmer beschäftigt sind.

Wer als Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess im Einzelnen darlegen muss, weshalb eine Kündigung "sozial gerechtfertigt" war, hat meist viel zu tun. Außerdem trägt er das Risiko, dass das Arbeitsgericht am Ende nicht überzeugt ist und der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers stattgibt. Dann muss er oft eine Abfindung anbieten.

1) Privilegierung des Kleinbetriebs

Im Kleinbetrieb gelten diese Anforderungen nicht, hier muss der Arbeitgeber die Kündigung nicht sozial rechtfertigen.

Was ein "Kleinbetrieb" ist, ergibt sich aus § 23 KSchG, allerdings nicht auf Anhieb. Der erste Absatz dieser Norm besteht aus vier Sätzen, und diese wiederum enthalten mehrere Nebensätze, häufig mit Verneinungen, was das Verständnis zusätzlich erschwert.

Zumal dort mal von "fünf oder weniger Arbeitnehmern" die Rede ist, und mal von "zehn oder weniger Arbeitnehmern".

Die "Fünfer"-Sätze gelten für Altfälle, das sind Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem Jahr 2004 begonnen hat, die also schon länger als 20 Jahre beschäftigt sind. Für alle anderen gelten die "Zehner"-Sätze, diese Arbeitnehmer, die am 01.01.2004 oder danach angefangen haben, können sich auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nur berufen, wenn in dem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind.

2) Was heißt "in der Regel"?

Der Gesetzgeber war nicht präzise, er hat die "Fünfer"- und die "Zehner"-Sätze um den Begriff "in der Regel" ergänzt.

Wie kann ich als Arbeitgeber feststellen, ob es in meinem Betrieb "in der Regel" wirklich nicht mehr als zehn Arbeitnehmer sind?

Ausgangspunkt ist die Zustellung der Kündigung. Waren an dem Tag im Betrieb exakt zehn oder weniger Mitarbeiter beschäftigt, haben Sie als Arbeitgeber gewissermaßen den ersten Schritt geschafft.

Im zweiten Schritt ist nun zu prüfen, ob es davor oder danach mehr als zehn Arbeitnehmer gewesen sind. Denn das könnte dafür sprechen, dass die Mitarbeiterzahl, die für den Tag der Zustellung ermittelt wurde, nicht typisch ist für diesen Betrieb.

Das Bundesarbeitsgericht hat bei dieser Frage zunächst einen Blick in den "Duden" geworfen: dort werde der Begriff "in der Regel" mit "normalerweise" oder "üblicherweise" umschrieben.

Anschließend hat es sich den Sprachgebrauch in anderen EU-Mitgliedsstaaten angeschaut, z. B. bei der Übersetzung der Richtlinie zu Massenentlassungen aus dem Jahr 1998, wo ebenfalls der Begriff "in der Regel" verwendet wurde. In der französischen Übersetzung der Richtlinie werde von "habituellement" gesprochen, in der englischen von "normally", in der niederländischen von "gewoonlijk", deshalb lasse sich "in der Regel" auch mit "normalerweise" bzw. "gewohnheitsmäßig" umschreiben.

Daraus leitete es ab: "Maßgeblich ist die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer (die Personalstärke), die für den gewöhnlichen Ablauf des Betriebs, also bei seinem regelmäßigen Gang, kennzeichnend ist." (BAG, 11.05.2023, 6 AZR 157/22).

Damit war allerdings noch nicht klar, wie weit dieser "regelmäßige Gang" reicht, genauer gesagt: ob hier die Vergangenheit oder die Zukunft entscheidend ist. Das Gericht entschied sich für beides: "Es bedarf eines Rückblicks auf den bisherigen Personalbestand und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung." Das passte zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2015, wo selbst die Arbeitnehmer mitgezählt wurden, die zwei Monate vor dem Stichtag aus dem Betrieb ausgeschieden waren, sie seien noch als Teil der gewöhnlichen Belegschaftsstärke anzusehen (EuGH, 11.11.2015, C-422/14).

Eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung sei entbehrlich, so das Bundesarbeitsgericht, wenn der Betrieb stillgelegt werden solle, dann komme es nur auf die früher übliche Beschäftigtenzahl an. Habe es mehrere Entlassungswellen nacheinander gegeben, könne auf den Zeitraum abgestellt werden, in dem zuletzt eine normale Betriebstätigkeit entfaltet worden sei, die schon reduzierte Belegschaftsstärke sei dann die "normale", die für den Betrieb zuletzt typische gewesen.

3) Was folgt daraus?

Als Arbeitgeber sollten Sie sich nicht zu früh freuen, wenn es am Tag der Zustellung des Kündigungsschreibens zufälligerweise nur zehn (bzw. fünf) oder weniger Mitarbeiter waren. Sie müssen damit rechnen, dass sich das Gericht auch für die Zeiten davor und danach interessiert. Wenn Ihr Betrieb ein "Grenzfall" ist, sollten Sie sich rechtzeitig arbeitsrechtlich beraten lassen, möglichst bevor Sie kündigen, spätestens aber nachdem Ihnen vom Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage zugestellt wurde.

Sind Sie Arbeitnehmer, müssen Sie alles versuchen, um die für den Betrieb übliche Mitarbeiterzahl in Erfahrung zu bringen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt nämlich bei Ihnen, der Arbeitgeber muss im Prozess erst dann konkrete Angaben machen, nachdem Sie dem Gericht hinreichende Anhaltspunkte geliefert haben.

Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht - anwaltfinke.de