Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 14.05.2025, Az.: BVerwG 10 VR 4.25
Auskunftsanspruch gegen den Bundesnachrichtendienst betreffend die Erteilung von "Eigeninformationen/Einschätzungen" an Medienvertreter zur mutmaßlichen Herkunft des SARS-CoV-2-Virus
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 14.05.2025
- Aktenzeichen
- BVerwG 10 VR 4.25
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 15942
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:BVerwG:2025:140525B10VR4.25.0
Rechtsgrundlage
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Soweit in presserechtlichen Auskunftsverfahren die Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Wege der einstweiligen Anordnung regelmäßig zur Vorwegnahme der Hauptsache führt, ist dies gleichwohl zulässig, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen. Beides folgt zwar gegenwärtig für eine in unmittelbarem Zusammenhang mit der These des Ursprungs des SARS-CoV-2-Virus in einem chinesischen Labor stehende - wenn auch organisatorische - Frage an den BND und des gegenwärtigen Medieninteresses an diesem Thema.
- 2.
Einem entsprechenden Auskunftsanspruch stehen jedoch überwiegende öffentliche Interessen jedenfalls in Form des Schutzes der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Insofern ist nachvollziehbar, dass bei Erteilung der begehrten Auskünfte zu etwaigen geheimdienstlichen Erkenntnissen über einen möglichen Laborunfall im chinesischen Wuhan die intensiven bilateralen Beziehungen zur Volksrepublik China beeinträchtigt werden könnten.
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Mai 2025
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und
Dr. Günther sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe:
I
Der Antragsteller ist Korrespondent einer Tageszeitung. Er begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Auskünfte vom Bundesnachrichtendienst (BND). Diese betreffen insbesondere die Erteilung von "Eigeninformationen/Einschätzungen" an Medienvertreter zur mutmaßlichen Herkunft des SARS-CoV-2-Virus.
Der Antragsteller hat sein Auskunftsbegehren am 13. März, 1. April und 8. April 2025 an die Antragsgegnerin gerichtet. Diese hat zuletzt mit E-Mail vom 9. April 2025 die Auskunft im Wesentlichen mit der Begründung verweigert, dass die Fragen auf etwaige Sachverhalte abzielten, die das Recherche- und Redaktionsgeheimnis anderer Medienvertreter und den Schutz der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland berührten. Im Übrigen nehme der BND grundsätzlich nicht öffentlich Stellung zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten beträfen.
Mit Antrag vom selben Tag beantragt der Antragsteller,
ihm Auskunft zu den folgenden Fragen zu erteilen:
- 1.
Hat der Bundesnachrichtendienst (BND) seit 2020 im Rahmen seiner Befugnis zur amtlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Eigeninformationen, insbesondere Einschätzungen zur mutmaßlichen Herkunft des Corona-Virus in China an Medienvertreter erteilt?
- 2.
In wie vielen Fällen (Aufschlüsselung nach Jahren)?
- 3.
Trifft es zu, dass nach den im Rahmen der Befugnis zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit erteilten unter 1. bezeichneten Eigeninformationen/Einschätzungen des BND ein Ursprung des Coronavirus in einem Labor als wahrscheinlich angenommen wurde?
- 4.
Hat der BND nach den im Rahmen der Befugnis zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit erteilten unter 1. bezeichneten Eigeninformationen/Einschätzungen einen Ursprung des Coronavirus durch Übertragung in der freien Natur als wahrscheinlich dargestellt?
- 5.
Hat der BND vor oder bei Erteilung der unter 1. bezeichneten Eigeninformationen/Einschätzungen an Medienvertreter verlangt, als Quelle einer etwaigen Berichterstattung in den Medien nicht genannt zu werden?
- 6.
Hat der BND im Zeitraum ab 2020 im Rahmen seiner amtlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ggf. sonstige sogenannte Einzelhintergrundgespräche mit Medienvertretern zum Thema "China" veranstaltet?
- 7.
In wie vielen Fällen (Aufschlüsselung nach Jahren)?
Hilfsweise,
die unter 1. bis 7. bezeichneten Informationen vertraulich und nicht zur Verwendung einer Berichterstattung mit Quelle "Bundesnachrichtendienst" zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, ein Anordnungsanspruch und überwiegend auch ein Anordnungsgrund seien nicht glaubhaft gemacht.
II
1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Das gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zuständige Bundesverwaltungsgericht kann die begehrte einstweilige Anordnung erlassen, wenn der Antragsteller insoweit einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 1 und 2, § 294 ZPO).
a) Ein Anordnungsgrund ist, ausgenommen die Frage 3, nicht gegeben.
§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestattet es dem Gericht, eine vorläufige Regelung in Bezug auf ein Rechtsverhältnis zu erlassen, wenn dies u. a. zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich ist. Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes muss der Antragsteller eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache deutlich machen, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzumutbar macht. Da das Gesetz nur eine vorläufige Regelung durch das Gericht erlaubt, sind Regelungen, die die Hauptsache vorwegnehmen und nicht umkehrbar sind, dem Grunde nach ausgeschlossen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn dies etwa zur Wahrung der Grundrechte des Antragstellers erforderlich erscheint. In presserechtlichen Auskunftsverfahren führt die Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Wege der einstweiligen Anordnung regelmäßig zur Vorwegnahme der Hauptsache. Dies ist gleichwohl mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie das von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mitumfasste Selbstbestimmungsrecht der Presse hinsichtlich der Themenauswahl und der Entscheidung, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll, zulässig, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen. Der Verweis auf das Hauptsacheverfahren darf nicht dazu führen, dass eine begehrte Auskunft mit starkem Aktualitätsbezug ihren Nachrichtenwert verliert und allenfalls noch von historischem Interesse ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2025 - 10 VR 3.25 - juris Rn. 11).
aa) Hinsichtlich der Fragen 1 und 2 sowie 4 bis 7 hat der Antragsteller ein gesteigertes öffentliches Interesse nicht glaubhaft gemacht. Die von ihm insoweit erbetenen Auskünfte betreffen weitgehend organisatorische und nicht inhaltliche Fragen der Öffentlichkeitsarbeit der Antragsgegnerin. Soweit die Fragen 1 und 2, 4 bis 6 auch einen inhaltlichen Gegenstand haben, ist ebenfalls kein gesteigertes öffentliches Interesse glaubhaft gemacht. Sollten die vom Antragsteller vermuteten Medienkontakte seit 2020 tatsächlich stattgefunden haben, ist es mehr als naheliegend, dass hierbei auch der mutmaßliche Ursprung des SARSCoV-2-Virus in China Thema war. Allein an dieser Information kann kein gesteigertes öffentliches Interesse bestehen, beschreibt sie doch im hiesigen Kontext eine Selbstverständlichkeit ohne maßgeblichen Informationsgewinn.
Ein gesteigertes öffentliches Interesse vermag der Antragsteller schließlich nicht dadurch zu begründen, dass er mit seinen Recherchefragen zu klären beabsichtigt, ob der BND bei seiner - unterstellten - selektiven Informationsvermittlung zur Herkunft des Corona-Virus manipulativ vorgegangen sei. Dieses Rechercheziel wird nicht verfehlt, wenn der Antragsteller auf einen nachgängigen gerichtlichen Rechtsschutz zur Erlangung von Informationen über die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des BND verwiesen wird. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes führt nicht dazu, dass die begehrten Informationen für den Antragsteller nur noch von historischem Interesse sind. Es ist gerichtsbekannt, dass der Antragsteller seit Jahren zu Pressehintergrundgesprächen der Antragsgegnerin recherchiert. Anzunehmen, dass die erbetenen Auskünfte für ihn allein bei sofortigem Erhalt einen Wert haben, ist schon aus diesem Grund nicht naheliegend (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2025 - 10 VR 2.25 - juris Rn. 13).
bb) Ein Anordnungsgrund ist demnach allein im Hinblick auf Frage 3 gegeben.
Ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Berichterstattung und ein hoher Gegenwartsbezug folgen insoweit aus der aktuellen und intensiven Berichterstattung zu dem nicht geklärten Ursprung der COVID-19-Pandemie (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2025 - 10 VR 3.25 - juris Rn. 12). Zwar steht auch hier eine organisatorische Frage zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit des BND im Vordergrund. Sie steht jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit der These des Ursprungs des SARS-CoV-2-Virus in einem chinesischen Labor und des gegenwärtigen Medieninteresses an diesem Thema.
b) Ein Anordnungsanspruch besteht hinsichtlich Frage 3 indes nicht. Der Antragsteller kann sich zwar als Journalist auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen. Dem Auskunftsanspruch stehen jedoch überwiegende öffentliche Interessen jedenfalls in Form des Schutzes der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Der Bundesregierung steht in diesem Bereich ein weit bemessener Spielraum eigener Gestaltung zu, der sich weitgehend der gerichtlichen Kontrolle entzieht. Bei der Wahrnehmung der auswärtigen Beziehungen bedient sich die Bundesregierung u. a. des BND, welcher gemäß § 1 Abs. 2 BNDG Erkenntnisse sammelt, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind. Hierbei untersteht er nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG der Aufsicht des Bundeskanzleramts (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2024 - 10 VR 1.24 - NVwZ 2024, 1773 [BVerwG 27.06.2024 - BVerwG 6 B 3.24] Rn. 27 f. m. w. N.). Vor diesem Hintergrund erscheint die Einschätzung der Antragsgegnerin nachvollziehbar, dass bei Erteilung der begehrten Auskünfte zu etwaigen geheimdienstlichen Erkenntnissen über einen möglichen Laborunfall im chinesischen Wuhan die intensiven bilateralen Beziehungen zur Volksrepublik China beeinträchtigt werden könnten (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 14. April 2025 - 10 VR 3.25 - juris Rn. 28). Dies gilt umso mehr, wenn bekannt würde, dass der BND, wie vom Antragsteller vermutet, die Laborthese im Rahmen seiner amtlichen Öffentlichkeitsarbeit als wahrscheinlich angenommen hätte. Dass die behaupteten "Eigeninformationen/Einschätzungen des BND" gegenüber Medienvertretern in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht erhebliche Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik China haben könnten, liegt auf der Hand. Vor diesem gravierenden öffentlichen Interesse muss im Einzelfall das von der Pressefreiheit des Antragstellers getragene Auskunftsinteresse zurückstehen.
Ob die von der Antragsgegnerin angeführten weiteren öffentlichen Interessen und diejenigen etwa betroffener Medien ebenfalls der Auskunftserteilung entgegenstehen, kann demnach offen bleiben. Dies gilt ebenso für die Frage, ob sogenannte Eigeninformationen - wie die Antragsgegnerin meint - nicht von dem presserechtlichen Auskunftsanspruch erfasst sind.
2. Auch der Hilfsantrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Antragsteller kann die mit der Frage 3 verlangte Auskunft auch nicht vertraulich und nicht zur Verwendung einer Berichterstattung ohne Quellenangabe erhalten. Die Abrede einer in diesem Sinne verminderten Verwertbarkeit der Information reicht für den Schutz des öffentlichen Interesses an der Pflege auswärtiger Beziehungen nicht aus. Der Antragsgegnerin kann nicht angesonnen werden, die Wahrung der Geheimhaltung zum Schutz der auswärtigen Beziehungen, nur durch eine Vertraulichkeitsabrede geschützt, in die Hand des Antragstellers zu geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2019 - 6 A 7.18 - BVerwGE 166, 303 Rn. 24).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Von der regelmäßigen Halbierung dieses Werts im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde abgesehen, weil der Antragsteller der Sache nach eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.