Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 26.07.2024, Az.: BVerwG 8 BN 2.23

Beschluss einer Haushaltssatzung im Wege der Ersatzvornahme; Festlegung der Höhe des Kreisumlagesatzes in einer Haushaltssatzung

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
26.07.2024
Aktenzeichen
BVerwG 8 BN 2.23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 21702
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:BVerwG:2024:260724B8BN2.23.0

Verfahrensgang

vorgehend
OVG Thüringen - 15.06.2023 - AZ: 3 N 822/20

Redaktioneller Leitsatz

Der Verzicht auf eine Wendeanlage im Rahmen eines qualifizierten Bebauungsplanverfahrens kann in Ausnahmesituationen nach den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht von der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde gedeckt sein und demzufolge einen Mangel im Abwägungsergebnis begründen.

Ob bei einem gemeindlichen Verzicht auf eine Wendeanlage die Belange des Verkehrs in unvertretbarer Weise zu kurz kämen, ist nach den konkreten Umständen in der jeweiligen Planungssituation zu beurteilen und keiner verallgemeinerungsfähigen Klärung zugänglich.

In der Normenkontrollsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juli 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen und des Beteiligten, die diese jeweils selbst tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 75 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Beigeladene beschloss im Wege der Ersatzvornahme eine Haushaltssatzung für den Antragsgegner für das Jahr 2012. Darin sah er unter anderem einen Umlagesatz von 49,513 % für die Kreisumlage vor. Das Oberverwaltungsgericht erklärte die Satzung mit Urteil vom 21. März 2018 für unwirksam. Auf die Revision des Antragsgegners hat der Senat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Mit dem nunmehr angegriffenen Urteil vom 15. Juni 2023 hat das Oberverwaltungsgericht die Satzung erneut für unwirksam erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung der Kreisumlage entspreche nicht den Anforderungen, die auch an das im Wege der kommunalaufsichtlichen Ersatzvornahme durchgeführte Verfahren zur Festlegung des Umlagesatzes zu stellen seien. Der Beigeladene habe einen nicht sachgerechten Abwägungsmaßstab angewendet. Er sei seiner Ermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen, weil die Daten, die er seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, nicht aussagekräftig genug und nicht hinreichend aktuell gewesen seien. Außerdem habe er seine Dokumentations- und Offenlegungspflicht nicht erfüllt. Dies führe zur Unwirksamkeit der Satzungsnorm über die Festsetzung des Kreisumlagesatzes. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen.

2

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Ist die angefochtene Entscheidung, wie vorliegend, auf mehrere Begründungen gestützt, ist die Revision nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. November 2021 - 8 B 33.21 - juris Rn. 4). Das Oberverwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Kreisumlagesatzes mit drei selbständig tragenden Begründungen verneint. Jedenfalls hinsichtlich der entscheidungstragenden Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beigeladene habe seine Ermittlungspflicht nicht erfüllt, weil die Daten, die er seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, nicht aussagekräftig genug und nicht hinreichend aktuell gewesen seien, greift keiner der von der Beschwerde vorgetragenen Zulassungsgründe durch.

3

1. Der Rechtssache kommt nicht die insoweit geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Dies würde voraussetzen, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

4

a) Die Fragen,

ob aus Art. 28 GG bei der Festlegung der Höhe des Kreisumlagesatzes in einer Haushaltssatzung zu entnehmen ist, dass ein Fehler im Abwägungsvorgang (also in der Willensbildung) zur Unwirksamkeit der Satzung führt, ohne dass es darauf ankommt, ob das Ergebnis der Abwägung fehlerhaft ist,

und

ob eine Haushaltssatzung als untergesetzliche Rechtsvorschrift, wie ein Verwaltungsakt auf Fehler im Abwägungsvorgang (also in der Willensbildung) überprüft wird und allein dieser Fehler zur Unwirksamkeit der Satzung führen kann, ohne dass es darauf ankommt, ob überhaupt das Ergebnis der Abwägung fehlerhaft ist,

sind bereits geklärt, soweit sie sich auf die das Urteil tragende Erwägung beziehen, der Beigeladene habe seine Ermittlungspflicht nicht erfüllt. Die Beachtung der aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden Ermittlungs- und Offenlegungspflicht des Kreises stellt eine verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Festsetzung des Kreisumlagesatzes dar, deren Verletzung von Verfassungs wegen zur Unwirksamkeit der Satzungsnorm führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2021 - 8 C 29.20 - juris Rn. 18). Weitergehenden oder erneuten Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde insoweit nicht auf.

5

b) Die Frage,

ob sich aus Art. 28 Abs. 2 GG ergibt, dass aktuelle Finanzdaten der kreisangehörigen Gemeinden in Form von beschlossenen Haushaltsplänen der Gemeinden aus dem aktuellen vom Satzungsbeschluss des Landkreises betroffenen Haushaltsjahr vorliegen müssen,

ist nicht klärungsfähig. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, dass der Kreis seiner Ermittlungspflicht nur dann genügt, wenn er seiner Entscheidung über den Kreisumlagesatz aktuelle Finanzdaten seiner kreisangehörigen Gemeinden in Form von beschlossenen Haushaltsplänen aus dem aktuellen vom Satzungsbeschluss des Landkreises betroffenen Haushaltsjahr zugrunde legt. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat es lediglich verlangt, dass bezifferte Bedarfsansätze vorliegen müssen und weiter ausgeführt, die von dem Beigeladenen verwendeten Zahlen seien nicht aussagekräftig genug, weil keine absoluten Zahlen zum Bedarf erhoben worden seien, sondern nur Angaben zu "freier Spitze", Fehlbetrag, allgemeiner Rücklagenbestand und Belastung durch die Kreisumlage.

6

Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG nicht zu entnehmen ist, in welcher Art und Weise die Landkreise den Finanzbedarf ihrer Gemeinden zu ermitteln und offenzulegen haben, weil die Institutsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung bedarf (BVerwG, Urteil vom 27. September 2021 - 8 C 29.20 - juris Rn. 15). Ebenso ist geklärt, dass dem Kreistag für das von seinem Satzungsbeschluss betroffene Haushaltsjahr aktuelle Informationen und nicht lediglich Daten zum Finanzbedarf des Vorjahres vorliegen müssen (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 19).

7

c) Die Frage,

ob sich aus Art. 28 GG ergibt, dass eine lückenlose und fehlerfreie Niederlegung der Erwägungen zur Festsetzung des Umlagesatzes notwendig ist und ein Verstoß hiergegen zur Unwirksamkeit des festgesetzten Umlagesatzes führt,

betrifft nicht die entscheidungstragende Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, der Beigeladene habe seine Ermittlungspflicht verletzt. Sie wäre zudem nicht klärungsfähig, soweit sie sich auf eine lückenlose und fehlerfreie Niederlegung der Erwägungen bezieht. Ein derartiges Erfordernis hat das Oberverwaltungsgericht nicht aufgestellt, sondern lediglich - im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats - verlangt, dass die der Beschlussfassung zugrunde gelegten Bedarfsansätze in der Beschlussvorlage oder, falls die Festsetzung davon abweicht, in anderer Weise dokumentiert werden. Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Offenlegungspflicht, ist die Frage, wie ausgeführt, bereits geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2021 - 8 C 29.20 - juris Rn. 18). Erneuten oder weiteren Klärungsbedarf zeigt der Antragsgegner nicht auf.

8

2. Die gegen die selbständig tragende Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, der Beigeladene habe seine Ermittlungspflicht verletzt, vorgebrachten Divergenzrügen greifen ebenfalls nicht durch. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 10. August 2023 - 8 B 24.23 - juris Rn. 7).

9

a) Das Oberverwaltungsgericht ist nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. September 2021 - 8 C 29.20 - abgewichen. Es hat den von der Beschwerde formulierten Rechtssatz, für die Festsetzung der Kreisumlage eines Haushaltsjahres müssten bereits beschlossene Haushaltspläne vorliegen, nicht aufgestellt.

10

b) Das Oberverwaltungsgericht ist auch nicht von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1969 - 4 C 105.66 -, vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - und vom 10. Januar 2007 - 6 BN 3.06 - abgewichen. Soweit es aus der von ihm angenommenen Verletzung der Ermittlungspflicht durch den Beigeladenen die Unwirksamkeit der Festsetzung des Kreisumlagesatzes abgeleitet hat, ist es, wie ausgeführt, der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 27. September 2021 - 8 C 29.20 - Rn. 18) gefolgt.

11

c) Soweit die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht sei von Rechtssätzen in den Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. März 2020 - 4 L 14.19 - und - 4 L 184.18 - abgewichen, kann die Rüge schon deswegen keinen Erfolg haben, weil das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt nicht zu den in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Divergenzgerichten gehört.

12

3. Die geltend gemachten Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen ebenfalls nicht durch.

13

a) Das Oberverwaltungsgericht hat seine gerichtliche Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht dadurch verletzt, dass es nicht aufgeklärt hat, ob die Höhe des von der Kommunalaufsicht festgelegten Kreisumlagesatzes auch im Ergebnis in das Recht der Antragstellerin aus Art. 28 Abs. 2 GG eingreift. Denn auf diesen Gesichtspunkt kam es nach der insoweit allein maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht an. Es hat die Unwirksamkeit der Festsetzung des Kreisumlagesatzes selbständig tragend aus der Verletzung der Verfahrenspflicht zur Ermittlung des gemeindlichen Finanzbedarfs abgeleitet.

14

b) Es stellt auch keinen Verfahrensfehler dar, dass das Oberverwaltungsgericht keine Ermittlungen hinsichtlich der in den Hinweisen des Senats in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2020 - 8 C 20.19 - (Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 202 Rn. 18) genannten Gesichtspunkte angestellt hat. Auf diese kam es nach der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht an. Im Übrigen sind solche Hinweise nicht von der Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erfasst (vgl. Eichberger/Bier in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 144 VwGO Rn. 120).

15

c) Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht dadurch gegen Verfahrensrecht verstoßen, dass es nicht ausgeführt hat, welche Daten der Beigeladene noch hätte ermitteln müssen, um seiner Ermittlungspflicht zu genügen. Die darin liegende Beschränkung auf die Rechtmäßigkeitskontrolle des angegriffenen Kreisumlagebescheids entspricht den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

16

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.

Dr. Keller
Hoock
Dr. Seegmüller