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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 10.04.1996, Az.: BVerwG 4 NB 8/96

Normenkontrolle; Drei-Monats-Frist; Antragsbefugnis; Antragsbefristung; Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz; Bebauungsplan; Bekanntmachung; Inkrafttreten; Inzidentprüfung; Vorlageverfahren; Verfassungsmäßigkeit

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
10.04.1996
Aktenzeichen
BVerwG 4 NB 8/96
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1996, 12640
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OVG Frankfurt (Oder) 07.12.1995 - OVG 3 D 9/95.NE

Fundstellen

  • DÖV 1996, 701-702 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJ 1996, 605-606 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 1996, 999 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Die Drei-Monats-Frist des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG wird auch durch eine fehlerhafte Bekanntmachung der Rechtsvorschrift in Lauf gesetzt.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtvorlage der Rechtssache in dem Normenkontrollverfahren, in dem das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 7. Dezember 1995 ergangen ist, wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin hat im Normenkontrollverfahren beantragt, den Bebauungsplan Nr. 11 der Antragsgegnerin, einer Gemeinde im Lande Brandenburg, für nichtig zu erklären. Das Normenkontrollgericht hat den Antrag als unzulässig abgelehnt, weil er erst nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des Art. 13 Nr. 1 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. April 1993 (BGBl I S. 466) - InvWoBauLG - gestellt worden sei. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der Nichtvorlagebeschwerde.

2

Die nach § 47 Abs. 7 Satz 1 bis 3 VwGO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, daß das Normenkontrollgericht seine Vorlagepflicht nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO verletzt hat. Die Rechtssache hat aus den geltend gemachten Gründen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO.

3

Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage, ob der in Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG benutzte Begriff des Inkrafttretens allein im Hinblick auf den mit der Vorschrift verfolgten Zweck der Rechtssicherheit zu verstehen ist oder ob er systematisch auf das Inkrafttreten im Sinne des § 12 Satz 4 BauGB zu beziehen ist, ferner die Frage, ob es für das Inkrafttreten im Sinne des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG allein auf den formellen Geltungsanspruch der Rechtsvorschrift ankommt. Diese Fragen bedürfen zunächst einer Einschränkung. Eine Vorlagepflicht nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO kann nämlich nur wegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage bestehen. Entscheidungserheblich war hier jedoch allein die Frage, ob ein Bebauungsplan, dessen Genehmigung nicht im Sinne von § 12 Satz 1 BauGB ortsüblich bekanntgemacht worden ist, weil bei der Bekanntmachung gegen eine ortsrechtliche Bekanntmachungsvorschrift verstoßen worden ist, auch nicht im Sinne von Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG in Kraft getreten ist. Das Normenkontrollgericht hat nämlich zugunsten der Antragstellerin unterstellt, daß der Antragsgegnerin bei der Bekanntmachung der Genehmigung des Bebauungsplans ein Fehler unterlaufen sei. Denn nach seinen Ausführungen hätte die Bekanntmachung möglicherweise nicht durch Aushang in den amtlichen Aushängekästen vorgenommen werden dürfen, sondern im Amtsblatt erfolgen müssen.

4

Zur Klärung der Frage, ob ein fehlerhaft bekanntgemachter Bebauungsplan im Sinne von Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG nicht in Kraft getreten ist und deshalb noch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein kann, bedarf es jedoch nicht erst einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Vorlageverfahren. Der klare Sinn des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG besteht darin, in den in Art. 13 InvWoBauLG genannten fünf neuen Bundesländern die Zulässigkeit von Normenkontrollverfahren wegen Bebauungsplänen und anderen Satzungen nach dem Baugesetzbuch auf den Zeitraum von drei Monaten nach ihrem förmlichen Inkrafttreten zu beschränken. Ob der Bebauungsplan dagegen auch wirksam in Kraft getreten ist, ist eine Frage der Begründetheit des Normenkontrollantrages, wie das Normenkontrollgericht zutreffend ausgeführt hat.

5

Zu Unrecht entnimmt die Beschwerde dem "eindeutigen Wortlaut" des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG, daß nur ein korrekt bekanntgemachter Plan im Sinne dieser Vorschrift in Kraft getreten sei. Einen derartigen Zusatz enthält die Vorschrift nicht. Vielmehr genügt es, daß der Bebauungsplan - wie das Normenkontrollgericht zutreffend formuliert - als Rechtsnorm mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht worden ist. Mit der Beschränkung der Antragsbefugnis auf den Zeitraum von drei Monaten nach dem "Inkrafttreten" gemäß Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG hat der Gesetzgeber eine Überprüfung der materiellen Gültigkeit von Satzungen nach dem Baugesetzbuch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist innerhalb eines Normenkontrollverfahrens ausgeschlossen. Er hat damit zugleich deutlich gemacht, daß es hier nicht auf das wirksame Inkrafttreten ankommen kann. Denn auch ein mit einem anderen als einem Bekanntmachungsfehler behafteter Plan ist - sofern der Fehler gemäß §§ 214 f. BauGB beachtlich ist - unwirksam und kann selbst durch eine ordnungsgemäße Bekanntmachung nicht - wirksam - in Kraft gesetzt werden. Deshalb führt auch der Hinweis der Beschwerde auf § 12 Satz 4 BauGB nicht weiter: Wenn es in dieser Vorschrift heißt, mit der Bekanntmachung trete der Bebauungsplan in Kraft, so gilt auch diese Aussage nur für den Regelfall des ordnungsgemäßen Planaufstellungsverfahrens; § 12 Satz 4 BauGB stellt nicht in Abrede, daß ein an formellen oder materiellen Mängeln leidender Plan unwirksam ist und bleibt und deshalb materiell nicht in Kraft treten kann.

6

Richtig ist allerdings, daß die Antragsbefristung des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG durch einen Bebauungsplan, der überhaupt nicht veröffentlicht worden ist, nicht in Lauf gesetzt werden kann. Das Tatbestandsmerkmal des "Inkrafttretens" in dieser Vorschrift setzt ebenso wie das "Erlassen" der Satzung in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO eine förmliche "Verkündung" oder eine sonstige tatsächliche Handlung voraus, aus der sich ergibt, daß die Satzung als Rechtsnorm gelten soll. Dies folgt jedoch entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerde nicht aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen, sondern allein daraus, daß es andernfalls schon an einem Objekt, das Gegenstand einer Normenkontrolle sein könnte, fehlen würde. Ist dagegen - wie im vorliegenden Verfahren - eine Rechtsnorm "erlassen" oder "in Kraft getreten", so hängt weder die allgemeine Zulässigkeit der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO noch ihre zeitliche Beschränkung gemäß Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG davon ab, daß der Vorgang der Inkraftsetzung den einschlägigen Rechtsvorschriften entspricht. Die Rechtsauffassung der Beschwerde, daß allein das wirksame Inkrafttreten der Norm (im Sinne einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung) eine qualifizierte Prozeßvoraussetzung im Normenkontrollverfahren und nicht ebenfalls eine Frage ihrer Gültigkeit und damit ein Element der Begründetheitsprüfung sei, ist nicht nachvollziehbar.

7

Auch aus § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB läßt sich nicht ableiten, daß eine fehlerhafte Bekanntmachung zur Unbeachtlichkeit der Drei-Monats-Frist des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG führt. Aus § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB folgt nur, daß Bekanntmachungsfehler, die bewirken, daß der verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht wird, zur Nichtigkeit des Bebauungsplans führen; zudem ergibt sich aus § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, daß dieser Fehler so schwer wiegt, daß er auch durch Zeitablauf nicht unbeachtlich werden kann. Diese materiellrechtliche Regelung wird jedoch durch Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG nicht in Frage gestellt. Ein an einem derartigen Bekanntmachungsfehler leidender Bebauungsplan bleibt auch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist materiell nichtig; seine Nichtigkeit ist weiterhin zu beachten. Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG schränkt lediglich die Zulässigkeit des Normenkontrollverfahrens ein, nicht jedoch die der Incident-Prüfung innerhalb eines baurechtlichen Verwaltungsrechtsstreits.

8

Die Auslegung des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG durch das Normenkontrollgericht wirft auch keine verfassungsrechtlichen Fragen auf, die das Gericht zu einer Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht hätten veranlassen müssen. Die Beschwerde verkennt, daß das Normenkontrollgericht keineswegs von der Wirksamkeit der Bekanntmachung des streitigen Bebauungsplans ausgegegangen ist, sondern im Gegenteil unterstellt, daß die Antragsgegnerin gegen § 16 Abs. 3 ihrer Hauptsatzung verstoßen hat; denn es hält einen solchen Bekanntmachungsmangel für jedenfalls nicht ausgeschlossen. Daß Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG auch für den Fall einer zwar vorgenommenen, jedoch mit Fehlern behafteten Bekanntmachung gilt, hat das Normenkontrollgericht im einzelnen begründet; der Vorwurf einer gegen das Willkürverbot verstoßenden Rechtsanwendung geht schon deshalb ins Leere. Auch Art. 19 Abs. 4 GG zwingt nicht zu der von der Beschwerde für zutreffend erachteten Auslegung der Vorschrift. Denn eine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit des Bebauungsplans einschließlich der hierzu gehörenden Frage, ob er wirksam bekanntgemacht worden ist, bleibt auch dann möglich, wenn sie nicht mehr innerhalb eines Normenkontrollverfahrens vorgenommen werden kann. Die Antragstellerin braucht - beispielsweise - nur eine mit den Festsetzungen des Bebauungsplans unvereinbare Bauvoranfrage zu stellen; wird sie abgelehnt, so kann sie innerhalb des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens die Nichtigkeit des Planes geltend machen.

9

Soweit die Beschwerde schließlich die Verfassungsmäßigkeit des Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG anzweifelt, macht sie auch hiermit keinen Vorlagegrund nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO geltend. Denn die Entscheidung über die Vereinbarkeit von Bundesgesetzen mit dem Grundgesetz ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Wenn das Normenkontrollgericht die Bedenken der Beschwerde geteilt hätte, so hätte es das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen müssen; eine Vorlage gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO an das Bundesverwaltungsgericht wäre unzulässig gewesen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 3. September 1990 - BVerwG 4 N 1 und 2.88 - BVerwGE 85, 332).

10

Die weitere als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, ob es sich bei der in Art. 13 Nr. 1 Satz 1 InvWoBauLG genannten Frist um eine Ausschlußfrist handelt, die der Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO nicht zugänglich ist, ist nicht entscheidungserheblich. Denn das Normenkontrollgericht führt aus, daß die Antragstellerin (jedenfalls) die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO versäumt habe. Zwar hält die Beschwerde diese Feststellung für unzutreffend. Das Beschwerdegericht ist jedoch gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die tatsächlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts gebunden.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.

12

Gaentzsch

13

Lemmel

14

Halama