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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 25.04.1994, Az.: BVerwG 1 B 69.94

Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung; Verpflichtung eines Gerichts zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Klägers; Beginn der Berufungsfrist durch Fiktion der Zustellung

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
25.04.1994
Aktenzeichen
BVerwG 1 B 69.94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 13644
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VGH Hessen - 21.01.1994 - AZ: 8 UE 1928/93

Fundstellen

  • Buchholz 340 § 15 VwZG Nr. 2
  • SGb 1995, 544 (amtl. Leitsatz)

Redaktioneller Leitsatz

Gem. § 15 Abs. 1 a VwVZG kann der Aufenthaltsort eines Empfängers erst nach gründlicher und sachdienlicher Bemühungen über die Aufklärung des Aufenthaltsortes als unbekannt angesehen werden. Dies gilt sowohl für die Zustellung durch Behörden, als auch für die durch Gerichte.

In der Verwaltungssache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. April 1994
durch
den Vorsitzenden Richter Meyer und
die Richter Dr. Hahn und Groepper
beschlossen:

Tenor:

Der Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Januar 1994 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren sowie - unter Änderung der vorinstanzlichen Wertfestsetzungen - für den ersten und den zweiten Rechtszug auf je 25.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Kläger erhob am 22. März 1989 Klage gegen eine Gewerbeuntersagungsverfügung. Als seine Anschrift war "H. Straße ..., M." angegeben. Im Juli 1990 wurde dem Verwaltungsgericht als Anschrift des Klägers "S. straße M." bekannt. Im Dezember 1990 erfuhr das Gericht als Anschrift der Ehefrau "A., M.".

2

Das Verwaltungsgericht erließ am 4. Juni 1991 eine Verfügung, durch die der Kläger zur erwogenen Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört werden sollte. Diese Verfügung konnte dem Kläger nicht unter der zuletzt bekannten Anschrift (S. straße) zugestellt werden. Das Verwaltungsgericht führte daraufhin bei der Stadtverwaltung M. und bei dem Regierungspräsidium Darmstadt ergebnislose Nachforschungen über die ladungsfähige Anschrift des Klägers durch. Das Regierungspräsidium Darmstadt teilte im September 1991 mit, der Kläger sei zusammen mit den Kindern aus der Wohnung in der S. straße ausgezogen, eine Befragung der Ehefrau sei "nicht tunlich", diese sei "wegen Alkoholkonsums kaum ansprechbar". Das Verwaltungsgericht beschloß am 7. Oktober 1991 die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Hinweises vom 4. Juni 1991, die sodann durch Anheftung an die Gerichtstafel bewirkt wurde.

3

Am 28. August 1992 wies das Verwaltungsgericht die Klage durch Gerichtsbescheid ab. Es wandte sich an das Einwohnermeldeamt M., das am 29. Oktober 1992 als "Einfache Grundauskunft aus dem Melderegister" mitteilte, der Kläger sei "Abgemeldet nach Unbekannt, von Amts wegen". Zuvor hatte das Verwaltungsgericht am 11. September 1992 die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheids angeordnet, die sodann Anfang 1993 bewirkt wurde. Am 8. März 1993 teilte das Regierungspräsidium Darmstadt als Anschrift des Klägers "A. Weg., B." mit.

4

Der Kläger meldete sich mit Schreiben vom 30. Juni 1993 und legte Berufung gegen den Gerichtsbescheid ein. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat durch Beschluß vom 21. Januar 1994 die Berufung als unzulässig, weil verspätet, verworfen.

5

Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluß des Berufungsgerichts und legt eine Ablichtung einer Meldebestätigung der Meldebehörde B. vor, derzufolge er sich am 25. November 1991 als in B. wohnhaft gemeldet hat.

6

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

7

Gemäß § 125 Abs. 2 Satz 3, § 132 Abs. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann.

8

Der angefochtene Beschluß leidet an einem von dem Kläger geltend gemachten und genügend dargelegten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hätte die Berufung nicht als verspätet verwerfen dürfen, da der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 28. August 1992 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist.

9

Nach § 56 VwGO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG kann durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Diese Voraussetzung ist nicht notwendig schon dann erfüllt, wenn der Aufenthaltsort dem Gericht nicht bekannt ist. Vielmehr sind gründliche und sachdienliche Bemühungen um Aufklärung des gegenwärtigen Aufenthaltsorts erforderlich (vgl. auch § 15 Abs. 5 VwZG). Diese Erfordernisse gelten nicht nur für die Zustellung durch Behörden (vgl.Urteil vom 28. Februar 1979 - BVerwG 8 C 56.77 - Buchholz 448.5 § 13 MustV Nr. 15 <S. 11>; auch BFHE 102, 20 <22>), sondern auch für die durch Gerichte. Dies alles folgt daraus, daß die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen ist, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist, und daß eine vorschnelle öffentliche Bekanntmachung im gerichtlichen Verfahren zu einer Versagung des rechtlichen Gehörs führen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluß vom 26. Oktober 1987 - 1 BvR 198/87 - NJW 1988, 2361 ).

10

Das Verwaltungsgericht hat entgegen diesen Erfordernissen die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Gerichtsbescheids am 11. September 1992 beschlossen, ohne zeitnah davor überhaupt Erkundigungen über den Aufenthaltsort des Klägers anzustellen. Die letzte vor dem genannten Beschluß liegende Ermittlung erfolgte Ende September 1991. Daß in der Zwischenzeit Änderungen eingetreten und erneute Nachforschungen erfolgversprechend sein könnten, lag nicht so fern, daß das Gericht überhaupt nichts veranlassen mußte. Dies gilt auch in Ansehung des Umstandes, daß der Kläger ohne weiteres von sich aus eine Wohnsitzverlegung hätte anzeigen können und sollen. Eine Verletzung dieser Obliegenheit enthebt das Gericht nicht seiner Pflicht zur eigenen Ermittlung. Auch wenn die nach dem Beschluß vom 11. September 1992 und vor der Bewirkung der öffentlichen Zustellung des Gerichtsbescheids im Januar 1993 gestellte Antrage an das Einwohnermeldeamt M. vom 27. Oktober 1992 berücksichtigt wird, genügte diese nicht den dargelegten Erfordernissen. Nach Lage der Dinge hätten erneute Antragen an die Postdienststellen, die Gewerbeaufsichtsbehörden und die Finanzbehörden sowie evtl. den dem Gericht bekannten Steuerberater des Klägers gerichtet werden müssen. Ob darüber hinaus auch die geschiedene Ehefrau hätte kontaktiert werden sollen, mag auf sich beruhen; immerhin hätte es nahegelegen, daß sie die Anschrift ihrer Kinder und damit auch diejenige des Klägers hätte benennen können; daß die angebliche Unansprechbarkeit wegen Alkoholkonsums etwa ein Jahr angedauert haben könnte, war nicht von vornherein selbstverständlich. Von alledem abgesehen hatte das Verwaltungsgericht am 27. Oktober 1992 das Einwohnermeldeamt um Ermittlung des Aufenthalts und der jetzigen Wohnung des Klägers gebeten und ausgeführt, daß eine Auskunft aus dem Melderegister nicht genüge. Gleichwohl hat es sich aber mit einer "einfachen Grundauskunft" aus dem Melderegister begnügt. Dies alles zeigt, daß das Verwaltungsgericht auch vor der Bewirkung der öffentlichen Zustellung nicht alle zumutbaren und erfolgversprechenden Ermittlungen durchgeführt hat. Damit konnte die Fiktion der Zustellung nicht bewirkt werden, so daß die Berufungsfrist nicht lief (§ 57 VwGO).

11

Es liegt demnach ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht. Da die Entscheidung sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist mit der Folge, daß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO zurückzuweisen wäre, macht der beschließende Senat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.

12

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Streitwertbeschluss:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 3 GKG. Das Interesse des Klägers wird durch den Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns des untersagten Gewerbes bestimmt, mindestens jedoch mit 15.000,00 DM bewertet. Hinzu kommt das wirtschaftliche Interesse an der Aufhebung der erweiterten Gewerbeuntersagung, das der Senat wegen der geringeren Verfestigung der entsprechenden Gewinnerwartung hier auf 10.000,00 DM veranschlagt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren sowie - unter Änderung der vorinstanzlichen Wertfestsetzungen - für den ersten und den zweiten Rechtszug auf je 25.000,00 DM festgesetzt.

Meyer
Hahn
Groepper