Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 03.03.1992, Az.: BVerwG 4 B 70.91
Wohngebiet; Zulassung von Bolzplätzen
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 03.03.1992
- Aktenzeichen
- BVerwG 4 B 70.91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 12674
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 12.09.1988 - AZ: 2 VG A 127/87
- OVG Niedersachsen - 30.11.1990 - AZ: 6 OVG A 216/88
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BRS 1992, 128-130
- BRS 1992, 494
- BRS 43, 54
- BWGZ 1994, 798-799
- BauR 1992, 340-342 (Volltext mit amtl. LS)
- BayVBl 1992, 411-412
- DVBl 1992, 1110 (amtl. Leitsatz)
- DokBer A 1992, 219-221
- DÖV 1992, 709-710 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1993, 151 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ 1992, 884-885 (Volltext mit amtl. LS)
- NuR 1992, 378-379 (Volltext mit amtl. LS)
- UPR 1992, 270-271
- ZfBR 1992, 143-144
Amtlicher Leitsatz
Bolzplätze dürfen - unter dem Vorbehalt einer Beurteilung nach § 15 I BauNVO - neben reinen Wohngebieten zugelassen werden.
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. März 1992
durch
den Vizepräsidenten Prof. Dr. Schlichter,
den Richter Dr. Lemmel und
die Richterin Heeren
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 30. November 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Kläger sind Erbbauberechtigte eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen reinen Wohngebiet. Ihr Grundstück grenzt im Südwesten unmittelbar an einen Bolzplatz. Er ist auf einer im Bebauungsplan als Bolzplatzgelände festgesetzten Fläche auf der Grundlage einer Baugenehmigung der Beklagten errichtet worden. Auf die Nachbarklage der Kläger hat das Berufungsgericht die Genehmigung des Bolzplatzes aufgehoben, weil sie gegen das bebauungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten bleibt erfolglos. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Die Beschwerde macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung,
"weil die Zulässigkeit von Bolzplätzen neben reinen Wohngebieten und die Maßstäbe, die an das Gebot der Rücksichtnahme bei einem Nebeneinander von reiner Wohnnutzung und Bolzplatznutzung anzulegen sind",
höchstrichterlich nicht geklärt seien.
Zur Klärung der hierin enthaltenen Frage, ob Bolzplätze neben reinen Wohngebieten zugelassen werden können, bedarf es keines Revisionsverfahrens.
Sie wäre zum einen nicht entscheidungserheblich. Zwar mag das Berufungsurteil so verstanden werden können, daß das Berufungsgericht die Festsetzung eines Bolzplatzes unmittelbar neben einem reinen Wohngebiet im Hinblick auf die Anforderungen des Abwägungsgebotes des § 1 Abs. 7 BBauG/§ 1 Abs. 6 BauGB regelmäßig für bedenklich hält. Es hat jedoch die Gültigkeit der Bolzplatzausweisung ausdrücklich offengelassen und ist damit zugunsten der Beklagten davon ausgegangen, daß ein generelles Verbot, Bolzplätze neben reinen Wohngebieten anzulegen, nicht besteht.
Die Frage wäre zum anderen nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig, weil sie im Grundsatz ohne weiteres zu bejahen ist. Denn Bolzplätze sind zumindest in allgemeinen Wohngebieten, an die reine Wohngebiete typischerweise angrenzen - und auch angrenzen dürfen -, nicht allgemein unzulässig. Zwar wird man Bolzplätze nicht in jeder Hinsicht mit Kinderspielplätzen gleichsetzen können. Diese sind auf die unmittelbare Nähe zur Wohnbebauung angewiesen und als deren sinnvolle Ergänzung sowohl im allgemeinen als auch im reinen Wohngebiet grundsätzlich zulässig (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 4 C 5.88 -). Dagegen dienen Bolzplätze auch und vor allem der spielerischen und sportlichen Betätigung Jugendlicher und junger Erwachsener; aus diesem Grund und wegen der von ihnen ausgehenden stärkeren Auswirkungen auf ihre Umgebung unterscheiden sie sich von Kinderspielplätzen und erfordern deshalb eine andere bauplanungsrechtliche Beurteilung. Sie müssen aber jedenfalls wie Anlagen für sportliche Zwecke behandelt werden, die allgemein (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO 1990) oder zumindest ausnahmsweise (§ 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO 1977; nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990 ausnahmsweise sogar in einem reinen Wohngebiet) - unter dem Vorbehalt des § 15 Abs. 1 BauNVO - in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sind und als Bestandteil dieses Baugebiets im Grundsatz auch an ein reines Wohngebiet angrenzen können. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, daß sogar ein Sportplatz und ein reines Wohngebiet in einem Bebauungsplan nebeneinander festgesetzt werden dürfen (BVerwG, Urteil vom 24. April 1991 - BVerwG 7 C 12.90 - ZfBR 1991, 219; vgl. auch Urteil vom 19. Januar 1989 - BVerwG 7 C 77.87 - BVerwGE 81, 197). Das gilt in gleicher Weise auch für Bolzplätze.
Andererseits kann das Nebeneinander von Wohnen und Bolzplatznutzung im Einzelfall zu Problemen führen, die die Zulassung eines Bolzplatzes entweder ganz ausschließen oder zumindest Auflagen zum Schutz der Nachbarschaft erforderlich machen können. Auf diesen Fragenbereich zielt die Beschwerdefrage mit ihrem zweiten Teil ab. Insoweit ist die Frage jedoch einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich, weil das Maß der nach § 15 Abs. 1 BauNVO gebotenen Rücksichtnahme, wie sich schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt, gerade von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt. Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (BVerwG, Urteil vom 5. August 1983 - BVerwG 4 C 96.79 -, BVerwGE 67, 334 <339>; Urteil vom 6. Oktober 1989 - BVerwG 4 C 14.87 -, ZfBR 1990, 34 <35>). Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Maßgebend sind vielmehr die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls (so auch der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 24. April 1991, a.a.O.). Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (Urteil vom 5. August 1983, a.a.O., S. 340).
Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat eine Verletzung des hier auch den Klägern zugute kommenden Rücksichtnahmegebotes aus der besonderen örtlichen Situation abgeleitet. Ausschlaggebend ist nach der Auffassung des Berufungsgerichts die geringe Entfernung zwischen der befestigten Spielfläche und dem Garten (7 m) und der Terrasse vor den Wohnräumen und dem Arbeitszimmer (11 m) sowie das Fehlen von Lärmschutzvorkehrungen, die nach der Beurteilung des Berufungsgerichts in einer für die Kläger zumutbaren Weise auch nicht nachträglich auf dem städtischen Grünstreifen errichtet werden können. Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es begründet, daß die von dem streitigen Bolzplatz ausgehenden Beeinträchtigungen (Lärm der Spieler, Klappergeräusche am Ballfangzaun, in den Garten geschossene Fußbälle u.a.) für die Kläger nicht zumutbar seien, halten sich im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Wertungen und geben zu weiterführenden Ausführungen keinen Anlaß.
Mit ihrer Frage, ob die Grundzüge, die der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 19. Januar 1989 (a.a.O.) für die Beurteilung von Sport- und Freizeitlärm aufgestellt hat, ohne weiteres auf die rechtliche Beurteilung von Bolzplätzen anzuwenden sind, die an ein reines Wohngebiet angrenzen, oder ob diese Grundsätze sogar noch verschärft werden können, verkennt die Beschwerde den Gehalt der genannten Entscheidung. Der unmittelbaren Rechtsanwendung zugängliche konkrete Rechtssätze für die Handhabung des Rücksichtnahmegebotes beim Zusammentreffen von Wohn- und Sportplatznutzung enthält sie nämlich nicht. In ihr wird - beispielsweise - nicht, wie die Beschwerde anzunehmen scheint, der abstrakte Rechtssatz aufgestellt, daß unmittelbar neben einem reinen Wohngebiet werktags bis 19.00 Uhr Fußball gespielt werden dürfe. Vielmehr ist lediglich die tatrichterliche Bewertung des (damaligen) Berufungsgerichts, daß der Klägerin die vom Fußballspiel ausgehenden Beeinträchtigungen nach 19.00 Uhr nicht zumutbar seien, revisionsgerichtlich gebilligt worden. Abgesehen davon, daß sich der 7. Senat zur Zulässigkeit des Fußballspiels vor 19.00 Uhr gar nicht äußern konnte - dieser Zeitraum war nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens; auf eine umfassende Untersagung des Sportbetriebs war die Klage überhaupt nicht gerichtet gewesen -, geht der 7. Senat ebenfalls davon aus, daß sich nicht nach einem festen und einheitlichen Maßstab bestimmen lasse, wann erhebliche Belästigungen und damit schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne der §§ 3 Abs. 1 und 22 BImSchG vorliegen. Für die Frage, ob Geräuschimmissionen billigerweise hinzunehmen und deshalb unerheblich seien, komme es auf eine situationsbezogene Abwägung und auf einen Ausgleich widerstrebender Interessen an (a.a.O., S. 200; vgl. auch Urteil vom 24. April 1991, a.a.O.). Daß diese allgemeinen Grundsätze auch bei der Bewertung, ob ein Bolzplatz mit einer bestimmten Wohnnutzung vereinbar ist, heranzuziehen sind, liegt auf der Hand. Im übrigen kann der Beschwerde jedoch nicht entnommen werden, welche grundsätzlichen Fragen im Hinblick auf das Urteil vom 19. Januar 1989 (a.a.O.) geklärt werden könnten.
Die Frage, ob dem Nachbarn eines Bolzplatzes, der sein Grundstück in Kenntnis einer entsprechenden Ausweisung im Bebauungsplan bebaut hat, weitergehende Duldungspflichten auferlegt sind, mag zu bejahen sein. Ebenso wie eine örtliche Situation in einer für die Abwägung der widerstreitenden Interessen wesentlichen Weise durch eine vorhandene Bebauung geprägt sein kann, kann sich auch eine plangegebene Vorbelastung auf die Schwelle der Zumutbarkeit auswirken. Die Frage rechtfertigt gleichwohl nicht, die Revision zuzulassen. Denn das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß aufgrund der Bolzplatzausweisung vorhersehbar war, daß neben dem Grundstück der Kläger eine derartige Anlage errichtet werden würde (vgl. BU S. 15 f.). Seine Entscheidung beruht deshalb nicht auf einer von der Rechtsauffassung der Beschwerde abweichenden Rechtsansicht. Die - von der Beschwerde offenbar auch nicht in Frage gestellte - Auffassung, daß die Kläger ihre Abwehrrechte allein durch den Bau ihres Hauses in Kenntnis der übrigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht verwirkt haben, steht mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang (vgl. Beschluß vom 9. Februar 1989 - BVerwG 4 NB 1.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37; Beschluß vom 23. Januar 1992 - BVerwG 4 NB 2.90 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, [...].
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.000 DM festgesetzt. [D]ie Festsetzung des Streitwertes [beruht] auf den §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Lemmel
Heeren