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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 06.07.1988, Az.: BVerwG 1 B 61.88

Erkennungsdienst; Unterlagen; Aufhebung

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
06.07.1988
Aktenzeichen
BVerwG 1 B 61.88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 12370
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OVG Nordrhein-Westfalen - 11.03.1988 - AZ: 5 A 434/85

Fundstelle

  • NJW 1989, 2640-2641 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung und zur Aufhebung erkennungsdienstlicher Unterlagen.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Juli 1988
durch
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Meyer, Dr. Diefenbach und Gielen
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. März 1988 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.000 DM festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1.

Die Sache hat nicht die ihr von der Beschwerde zugemessene grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, deren zu erwartende revisionsgerichtliche Klärung der Einheit oder der Fortbildung des Rechts dienen kann. Eine solche Rechtsfrage läßt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

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Die Frage,

4

"ob nicht einerseits die Beendigung gerichtlich geführter Strafverfahren durch Freispruch, andererseits der wiederholt erbrachte Nachweis der Unschuld des Beschuldigten in den gegen ihn durchgeführten Ermittlungsverfahren und schließlich die graduell zurücktretende Gemeinschädlichkeit der dem erkennungsdienstlich Erfaßten durchgängig zur Last gelegten Delikte"

5

rechtliche Auswirkungen auf die Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nach § 81 b 2. Alt. StPO hat, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt. Nach dieser Rechtsprechung werden erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81 b 2. Alt. StPO nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung vielmehr der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der Aufnahme und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nach § 81 b 2. Alt. StPO besteht nicht. Daß eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, daß die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern daß sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muß. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die gesetzlichen Zwecke dieser Anordnung und der durch sie vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Behandlung außerhalb des Strafverfahrens liegen, das Anlaß zur Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschuldigten gibt, und daß somit der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freisprechung als solcher die Rechtmäßigkeit der gegen den Betroffenen als Beschuldigten des inzwischen abgeschlossenen Strafverfahrens getroffenen Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung unberührt läßt (BVerwGE 66, 192 <196>). Aus der unterschiedlichen Zweckbestimmung von strafrechtlichen Verfahren einerseits und Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StGB andererseits folgt zugleich, daß entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerde bei der Beendigung eines Strafverfahrens durch Freispruch nicht notwendig ein im Rahmen des § 81 b 2. Alt. StPO zu berücksichtigender Wertungswiderspruch entsteht.

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Die Notwendigkeit der Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemißt sich danach, ob der anläßlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlaßverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, daß der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und daß die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (ständige Rechtsprechung; BVerwGE 66, 192 <199>; 202 <205>; Beschluß vom 13. Mai 1988 - BVerwG 1 B 7.88 -). Ob wegen der Einstellung von Strafverfahren, die gegen den Betroffenen gerichtet waren, die Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nach den dargelegten Maßstäben nicht mehr notwendig ist, hängt von einer Würdigung der gesamten Umstände des einzelnen Falls ab (BVerwGE 66, 202 <205 f.>). Die vom Berufungsgericht in der vorliegenden Sache bejahten Voraussetzungen des § 81 b 2. Alt. StPO betreffen eine grundsätzlicher Klärung nicht zugängliche Frage des konkreten Falls.

7

Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

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"ob der durchgängige Vorwurf exhibitionistischer Handlungen überhaupt als Delikt von so hoher Gemeinschädlichkeit anzusehen ist, daß im Rahmen der anzustellenden Abwägung mit den dem Erfaßten zur Seite stehenden geschützten Rechtsgütern eine Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen gerechtfertigt ist",

9

ist durch die angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls hinreichend geklärt. Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO setzen nicht voraus, daß die Delikte, die der Betroffene wirklich oder möglicherweise begangen hat, ein besonders hohes Maß der Gemeinschädlichkeit aufweisen. Auch das von der Beschwerde herangezogene Urteil des Senats vom 25. Oktober 1960 - BVerwG 1 C 63.59 - (BVerwGE 11, 181) hat die Notwendigkeit der Fertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nicht - wie die Beschwerde meint - mit der hohen Gemeinschädlichkeit einer strafbaren homosexuellen Betätigung, sondern allein mit kriminalistischen Erfahrungen und Erkenntnissen begründet, wonach "bei Personen, die zu homosexueller Betätigung neigen, in besonderem Maße die Gefahr von Wiederholungen besteht und ihre erkennungsdienstliche Erfassung zum Schutz der Allgemeinheit notwendig ist" (a.a.O. S. 183). Demgemäß ist die von der Beschwerde "in Anbetracht der seit 1961 zu beobachtenden sozialen Liberalisierung auch im Bereich des Sexualschutzes" aufgeworfene Frage nach den Auswirkungen eines Anschauungswandels hinsichtlich der Beurteilung des Exhibitionismus auf Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, weil exhibitionistische Handlungen nach § 183 StGB weiterhin unter Strafe stehen und ein dieser Straftat Beschuldigter somit erkennungsdienstlichen Maßnahmen unterworfen werden kann.

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2.

Die Revision kann auch nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Der in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe bei seiner Entscheidung wesentliche Bekundungen des Klägers nicht berücksichtigt und damit § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verletzt. Es habe nicht in seine Erwägungen einbezogen, daß der Kläger in zwei Verfahren seine Unschuld habe nachweisen können. Aus diesen Darlegungen ergibt sich der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel nicht. Zwar gebietet § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, daß das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat. Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO genügt aber das Urteil den verfahrensrechtlichen Vorschriften dann, wenn es die die Entscheidung tragenden Gründe vollständig wiedergibt. Das Gericht muß sich nicht mit jedem einzelnen Vorbringen der Beteiligten auseinandersetzen, insbesondere nicht, wenn es offensichtlich unerheblich ist (BVerwG, Beschluß vom 3. März 1975 - BVerwG 7 B 118.74 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 78 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, daß die Bewertung der Verfahren betreffend die Vorfälle seit 1975 den Schluß rechtfertige, daß eine weitere Aufbewahrung der Unterlagen zu erkennungsdienstlichen Zwecken notwendig sei. Der Ausgang der Strafverfahren betreffend die Vorfälle vom 8. November 1982, 24. März 1983 und 7. Juni 1984 rechtfertige keine für den Kläger günstige Entscheidung, weil die in diesen Verfahren verbliebenen Zweifel an der Täterschaft des Klägers die sich schon aus früheren Vorfällen ergebenden Anhaltspunkte verstärkten. Der Zusammenhang dieser Ausführungen ergibt zweifelsfrei, daß das Berufungsgericht die näheren Umstände der zwei weiteren Verfahren, deren Nichtberücksichtigung der Kläger rügt, als unerheblich angesehen hat.

11

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; [...].

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.000 DM festgesetzt, [...] die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 GKG.

Meyer
Dr. Diefenbach
Gielen