Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 28.08.1987, Az.: BVerwG 4 N 3.86
Normenkontrollantrag; Bebauungsplan; Unanfechtbare Baugenehmigung; Rechtsschutzbedürfnis; Verbesserung der Rechtsstellung; Nichtigerklärung
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 28.08.1987
- Aktenzeichen
- BVerwG 4 N 3.86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 12773
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VGH Baden-Württemberg - 29.08.1986 - AZ: 3 S 2276/85
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BVerwGE 78, 85 - 93
- BauR 1987, 661
- DVBl 1987, 1276-1278 (Volltext mit amtl. LS)
- DÖV 1988, 32
- NJW 1988, 839-841 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1988, 348 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Wer geltend macht, durch eine Baugenehmigung, die ihm zwar nicht vorschriftsmäßig bekanntgegeben worden ist, von der er aber in anderer Weise sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, in seinen Rechten verletzt zu sein, verliert nach Maßgabe der im Urteil vom 25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - (BVerwGE 44, 294) aufgestellten Grundsätze seine Anfechtungsbefugnis, wenn er nicht innerhalb der Frist des § 70 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO Widerspruch einlegt; dies gilt nicht nur für den unmittelbaren Grenznachbarn.
- 2.
Richtet sich ein Normenkontrollantrag gegen Festsetzungen eines Bebauungsplans, zu deren Verwirklichung schon eine unanfechtbare Genehmigung erteilt worden ist, so fehlt dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antragsteller dadurch, daß der Bebauungsplan für nichtig erklärt wird, seine Rechtsstellung derzeit nicht verbessern kann.
Redaktioneller Leitsatz
Dem Normenkontrollantrag gegen die Festsetzung eines Bebauungsplans, der durch unanfechtbare Baugenehmigung zugelassen und tatsächlich verwirklicht ist, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine Verbesserung der Rechtsstellung des Antragstellers durch die Nichtigkeit des Bebauungsplan ausgeschlossen ist.
Tenor:
- 1.
Wer geltend macht, durch eine Baugenehmigung, die ihm zwar nicht vorschriftsmäßig bekanntgegeben worden ist, von der er aber in anderer Weise sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, in seinen Rechten verletzt zu sein, verliert nach Maßgabe der im Urteil vom 25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - (BVerwGE 44, 294) aufgestellten Grundsätze seine Anfechtungsbefugnis, wenn er nicht innerhalb der Frist des § 70 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO Widerspruch einlegt; dies gilt nicht nur für den unmittelbaren Grenznachbarn.
- 2.
Richtet sich ein Normenkontrollantrag gegen Festsetzungen eines Bebauungsplans, zu deren Verwirklichung schon eine unanfechtbare Genehmigung erteilt worden ist, so fehlt dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antragsteller dadurch, daß der Bebauungsplan für nichtig erklärt wird, seine Rechtsstellung derzeit nicht verbessern kann.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren mit ihrem am 3. September 1985 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Normenkontrollantrag, den Bebauungsplan der Antragsgegnerin "K... ... (ehemaliges Gelände der Stadtwerke)" vom 15. Mai 1984 insoweit für nichtig zu erklären, als er auf dem genannten Grundstück im Rahmen eines Stadtteilparks einen Bolzplatz festsetzt. Sie sind Eigentümer von Wohnungen in dem achtzehngeschossigen Wohnhaus K... ... und ... und befürchten übermäßige Lärmbelästigungen durch den Bolzplatz. Die Antragsgegnerin habe ihre Belange bei der Festsetzung des Bolzplatzes nicht genügend berücksichtigt.
Bereits am 3. Mai 1985 hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe der Antragsgegnerin die Baugenehmigung zur Anlegung des Stadtteilparks einschließlich des Bolzplatzes erteilt und hiervon mit Schreiben vom 6. Mai 1985 auch der Hausverwalterin des Wohnhauses K... ... und ... Mitteilung gemacht. Diese hatte die Erteilung der Genehmigung am 21. Mai 1985 auf einer Eigentümerversammlung bekanntgegeben. Die Antragsteller haben gegen die Baugenehmigung keinen Widerspruch eingelegt.
Mit Beschluß vom 29. August 1986 hat der Verwaltungsgerichtshof die Sache dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung der Fragen vorgelegt,
- 1.
ob die für den unmittelbaren Grenznachbarn entwickelten Grundsätze im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 1974 (BVerwGE 44, 294) auch für andere, von den zu erwartenden Einwirkungen des Bauvorhabens ähnlich betroffene Nachbarn gelten, und
- 2.
ob ein Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan auch dann zulässig ist, wenn er sich allein gegen die unanfechtbar genehmigte Nutzung eines benachbarten Grundstücks richtet.
Der Verwaltungsgerichtshof möchte die erste Frage bejahen und die zweite verneinen. Auf ihre Beantwortung, die im Interesse einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Verwaltungsprozeßrechts und des Baunachbarrechts erforderlich sei, komme es für die Entscheidung an, auch wenn sich der Normenkontrollantrag bereits jetzt als unbegründet erweise. Denn die Frage, ob der Normenkontrollantrag zulässig sei, könne grundsätzlich nicht offengelassen werden. Die zweite Vorlagefrage stelle sich allerdings nur, wenn die erste - mit dem vorlegenden Gericht - bejaht werde.
Die der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung zur Errichtung und Nutzung des Stadtteilparks einschließlich des Bolzplatzes könne mangels amtlicher Bekanntgabe gegenüber den Antragstellern nur dann unanfechtbar geworden sein, wenn diese sich bezüglich der Einlegung des Widerspruchs nach Treu und Glauben so behandeln lassen müßten, als wenn ihnen die Baugenehmigung in dem Zeitpunkt amtlich bekanntgegeben worden wäre, in dem sie von ihr sichere Kenntnis erlangt hätten oder hätten erlangen müssen. Sichere Kenntnis von der Baugenehmigung hätten die Antragsteller hier entweder durch Teilnahme an der Eigentümerversammlung vom 21. Mai 1985 erlangt, auf der die Hausverwaltung die Erteilung der Baugenehmigung bekanntgegeben habe, oder aber durch Erhalt des Protokolls über diese Versammlung im Mai, spätestens Juni 1985 erlangen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 44, 294) habe für den Verlust der Widerspruchsbefugnis in Fällen dieser Art auf die Besonderheiten des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zwischen "unmittelbaren Grenznachbarn" abgestellt und offengelassen, ob die von ihm aufgestellten Grundsätze auch für solche Nachbarschaftsverhältnisse gelten, die - wie hier bezüglich derjenigen Wohnungen, deren Wohnräume Fenster in Richtung auf den Bolzplatz haben - der Grenznachbarschaft wesentlich ähnlich seien. Zwischen diesen Gruppen von Betroffenen hinsichtlich der Anwendung von Treu und Glauben bei späterer Einlegung des Widerspruchs zu unterscheiden, sei jedoch nicht gerechtfertigt. Das Vertrauen des Bauherrn in den Bestand der Baugenehmigung sei gegenüber sonstigen - nicht unmittelbar angrenzenden - Nachbarn ebenfalls, wenn nicht sogar erst recht, schutzwürdig. Auch dem nichtangrenzenden Nachbarn obliege es, im Rahmen des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" Rücksicht auf den Bauherrn zu nehmen und nach Erkennen einer Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen oder gar durch deren Genehmigung seine Einwendungen ungesäumt geltend zu machen.
Richte sich der Normenkontrollantrag allein gegen die Nutzung eines benachbarten Grundstücks, die durch eine unanfechtbare und nicht nichtige Baugenehmigung gedeckt sei, so sei die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verneinen. Der erlittene oder zu erwartende Nachteil beruhe nicht mehr auf der Rechtsvorschrift (hier: dem Bebauungsplan), wenn sich zwischen sie (ihn) und den Nachteil (hier: eine bekämpfte Grundstücksnutzung) schon eine unanfechtbare - nicht nichtige - Baugenehmigung geschoben habe. Die aus der Unanfechtbarkeit folgende Bestandskraft der Baugenehmigung verleihe dem durch sie Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition. Die unanfechtbare Genehmigung baulicher Anlagen genieße auch bei materieller Baurechtswidrigkeit Bestandsschutz. Für die rechtliche Beurteilung der unanfechtbar genehmigten Nutzung komme es also nicht mehr auf den Bebauungsplan und dessen Gültigkeit an, sondern nur noch auf die Baugenehmigung. Ein Normenkontrollinteresse, das letztlich allein darauf abziele, eine bereits unanfechtbare Baugenehmigung zu beseitigen oder deren Ausnutzung zumindest nachträglich zu verhindern, sei nicht schutzwürdig.
An dieser rechtlichen Beurteilung ändere es nichts, daß hier die auf den angegriffenen Bebauungsplan gestützte Baugenehmigung erst im Laufe des Normenkontrollverfahrens unanfechtbar geworden sei. Die Antragsbefugnis richte sich bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung nach dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Die Einleitung des Normenkontrollverfahrens habe die Antragsteller nicht von der Notwendigkeit entbunden, gegen die Baugenehmigung Widerspruch einzulegen. Sie hätten die Genehmigung der von ihnen bekämpften Nutzungen unanfechtbar werden lassen, obwohl sie durch das Vorbringen der Antragsgegnerin und des Vertreters des öffentlichen Interesses im Verfahren sogar auf die Bedeutung der Unanfechtbarkeit der Genehmigung für die Zulässigkeit ihres Normenkontrollantrages hingewiesen worden seien.
II.
1.
Die Vorlage ist nach § 47 Abs. 5 Nr. 1 VwGO zulässig. Die Vorlagefragen betreffen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrages. Sie haben grundsätzliche Bedeutung für die Auslegung des (revisiblen) Verfahrensrechts. Ihre Beantwortung ist, auch wenn - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - der Normenkontrollantrag jedenfalls unbegründet sein sollte, im Interesse einer einheitlichen und prozessual ordnungsgemäßen Handhabung des Normenkontrollverfahrens geboten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 12. März 1982 - BVerwG 4 N 1.80 - BVerwGE 65, 131 <132> und vom 2. September 1983 - BVerwG 4 N 1.83 - Buchholz 406.11 § 14 Nr. 9).
Die vorgelegten Fragen sind für die Entscheidung über den Normenkontrollantrag auch erheblich. Für die Zulässigkeit dieses Antrages kommt es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts als verwaltungsprozeßrechtliche Vorfrage von allgemeiner Tragweite darauf an, ob sich die Antragsteller, deren Wohngrundstück nicht unmittelbar an den Bolzplatz grenzt, nach Treu und Glauben so behandeln lassen müssen, als ob ihnen gegenüber die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 i.V.m. § 70 Abs. 2 VwGO in Lauf gesetzt worden wäre. Der Verwaltungsgerichtshof ist dabei zu Recht davon ausgegangen, daß mangels formgerechter amtlicher Bekanntgabe der Baugenehmigung für die Anlegung des Stadtteilparks einschließlich des Bolzplatzes an die Antragsteller bzw. an ihre Hausverwaltung eine Frist zur Einlegung des Widerspruchs nicht schon unmittelbar gemäß § 70 i.V.m. § 58 VwGO ausgelöst worden ist. Die Mitteilung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 6. Mai 1985 an die Hausverwaltung über die Erteilung der Baugenehmigung an die Antragsgegnerin, mit der es zugleich die von der Hausverwalterin mit Schreiben vom 19. März 1985 namens der Eigentümer erhobenen Einwendungen gegen die Anlegung des Spielplatzes beantwortet hat, entsprach nicht den Anforderungen des § 59 Abs. 1 Satz 5 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) in der Fassung vom 28. November 1983 (GBl. S. 770). Hiernach ist Angrenzern und Nachbarn, deren Einwendungen gegen das Vorhaben nicht entsprochen wird, eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen.
Das ist nicht geschehen. Da es überdies auch an einer den Antragstellern erteilten Rechtsmittelbelehrung fehlt, kommt von vornherein nur der Lauf einer Jahresfrist entsprechend § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO in Betracht.
Nach der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts ist ferner nicht auszuschließen, daß die Durchführung des Normenkontrollverfahrens auch die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage nach der Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan im Fall einer bereits unanfechtbar genehmigten Nutzung erfordert (vgl. Beschluß des Senats vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87 <94>). Die Frage, ob ein Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan zulässig ist, wenn bereits eine auf ihn gestützte Baugenehmigung oder ein anderer Verwaltungsakt ergangen und unanfechtbar geworden ist, ist ebenfalls von grundsätzlicher Bedeutung. Sie wird in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und im Schrifttum im einzelnen nicht einheitlich beantwortet (vgl. einerseits: OVG Lüneburg, Urteil vom 12. März 1980 - 6 C 12/78 - DVBl. 1980, 962; OVG Berlin, Urteil vom 10. Juli 1980 - 2 A 3/79 - Baurecht 1980, 536 und Beschluß vom 10. Juli 1981 - 2 A 2/80 - NVwZ 1983, 164; VGH Mannheim, Beschluß vom 9. Februar 1982 - 5 S 1421/81 - NVwZ 1983, 163; Kopp, VwGO <7. Aufl. 1986>, § 47 Rz. 30, 34; Stüer, DVBl. 1985, 469 <478>; vgl. auch BVerwGE 56, 172 <175>; andererseits: OVG Koblenz, Urteil vom 19. Januar 1982 - 10 C 23/81 - NJW 1982, 1170; VGH Mannheim, Urteil vom 3. März 1983 - 5 S 1751/82 - NVwZ 1984, 44; Papier, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes <Festschrift Menger>, S. 517, 525 f.).
2.
a)
Die Frage, ob die zum Verlust der Anfechtungsbefugnis eines Nachbarn im Urteil des Senats vom 25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - (BVerwGE 44, 294) aufgestellten Grundsätze auch für andere als unmittelbare (Grenz-)Nachbarn gelten, ist zu bejahen. Das räumliche Aneinandergrenzen der Grundstücke des Inhabers einer Genehmigung und desjenigen, der sich durch diese Genehmigung in seinen Rechten beeinträchtigt sieht und deshalb gegen sie vorgehen will, ist nicht ausschlaggebend dafür, daß die Ausübung von verfahrensrechtlichen Rechten (hier: des Widerspruchsrechts) durch Treu und Glauben nach Maßgabe der in dem genannten Urteil des Senats entwickelten Grundsätze begrenzt ist.
Der Senat hat in BVerwGE 44, 294 ff. die Obliegenheit eines Nachbarn, gegen eine ihm nicht vorschriftsmäßig bekanntgegebene Baugenehmigung, von der dieser in anderer Weise sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, innerhalb der Frist des § 70 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO Widerspruch einzulegen, aus den Besonderheiten des durch nachbarliches Zusammenleben begründeten "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" abgeleitet. Dieses verpflichte den Nachbarn, "durch zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst gering zu halten"; der Nachbar müsse dieser "Verpflichtung dadurch nachkommen, daß er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen gehalten werden soll, weil er ohne zureichenden Grund mit seinen Einwendungen länger als notwendig zugewartet hat". Dieser Grundsatz gelte neben der Möglichkeit der Verwirkung von verfahrensrechtlichen Rechten. In bezug auf den Zeitraum für die Widerspruchseinlegung hat der Senat ausgeführt, der Grenznachbar müsse sich trotz fehlender amtlicher Bekanntgabe der Baugenehmigung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt zuverlässiger Kenntniserlangung (oder der zumutbaren Möglichkeit hierzu) amtlich bekanntgegeben worden. Der Senat hatte dies für einen Fall unmittelbarer Grenznachbarschaft zu entscheiden und konnte deshalb offenlassen, ob das Dargelegte über den Kreis der unmittelbaren Grenznachbarn hinaus auch für Nachbarschaftsverhältnisse gilt, die der Grenznachbarschaft wesentlich ähnlich sind (vgl. im einzelnen BVerwGE 44, 294<299 bis 301>).
Die dargelegte Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben mit den daraus folgenden Rechtswirkungen auf den Lauf von Fristen für die Anfechtung von Genehmigungen gilt nicht nur für Fälle unmittelbarer Grenznachbarschaft. Dies ergibt sich aus folgendem:
Der Drittschutz im Baurecht wurzelt im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. Er leitet sich daraus her, daß bestimmte Vorschriften des öffentlichen Baurechts "auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienen" (vgl. Urteil des Senats vom 19. September 1986 - BVerwG 4 C 8.84 - Buchholz 406.19 Nr. 71 = DÖV 1987, 296).
Dies gilt für den Drittschutz unmittelbarer Grenznachbarn und für den Drittschutz anderer Nachbarn gleichermaßen. Auf das Kriterium räumlicher Nähe kommt es nicht entscheidend an. Hiervon ausgehend entbehrte es nicht nur eines rechtfertigenden Grundes, sondern könnte sogar widersprüchlich erscheinen, an die Verhaltenspflichten, die dem Nachbarn bei der Verfolgung seiner Rechte aus gebotener und zumutbarer Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Bauherrn nach Treu und Glauben aufzuerlegen sind, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen je nach dem, ob es sich um einen unmittelbaren Grenznachbarn oder um einen anderen Nachbarn handelt. Für die Frage, ob der Nachbar sich bei vorhandener oder ihm in zumutbarer Weise möglicher Kenntnis von der Baugenehmigung hinsichtlich des Laufs der Widerspruchsfrist nach Treu und Glauben ebenso behandeln lassen muß, als sei ihm die Genehmigung amtlich bekanntgegeben worden, spielt die Art des Nachbarschaftsverhältnisses folglich keine Rolle. So wäre es im Ausgangsfall mit dem Grundsatz von Treu und Glauben schwerlich vereinbar, wenn von den Antragstellern, sofern sie alle in gleicher Weise von der Baugenehmigung für den Stadtteilpark einschließlich des Bolzplatzes Kenntnis erlangt haben, nur diejenigen, deren Wohnungen Wohnräume mit Fensteröffnungen zum Bolzplatz hin aufweisen, ihre Anfechtungsbefugnis nach Ablauf der Frist des § 70 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO verloren hätten, andere, die sich ebenfalls durch den vom Bolzplatz ausgehenden Lärm beeinträchtigt fühlen, hingegen nicht. Die jeweilige örtliche Situation und damit auch das unmittelbare Aneinandergrenzen der Grundstücke kann wesentlich dafür sein, ob im Einzelfall davon ausgegangen werden darf, "daß der Nachbar von der Baunehmigung zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen mußte und es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber - etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde - Gewißheit zu verschaffen" (BVerwGE 44, 294 <300>). Dies ändert aber nichts daran, daß die in BVerwGE 44, 294 ff. aufgestellten Grundsätze prinzipiell nicht nur für unmittelbare Grenznachbarschaftsverhältnisse Geltung beanspruchen.
Der Ausgangsfall veranlaßt den Senat zu dem Hinweis, daß für den Verlust des Widerspruchsrechts nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die jeweiligen Umstände des Einzelfalles entscheidend sind:
Die Antragsteller haben zwar, obwohl sie nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs spätestens im Juni 1985 von der Baugenehmigung sichere Kenntnis erlangt haben, keinen Widerspruch eingelegt. Sie haben dies auch nicht nachgeholt, nachdem die sich hieraus ergebenden Zweifel an der Zulässigkeit ihres Normenkontrollantrages im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erörtert worden waren und obwohl die Anlegung des Stadtteilparks offensichtlich schon weit fortgeschritten ist. Sie haben aber noch innerhalb eines nach § 70 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO zu bemessenden Zeitraums, nämlich am 3. September 1985, den Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan anhängig gemacht. Auch wenn dies einen Widerspruch gegen die Baugenehmigung nicht ersetzt, so war doch hierdurch der Antragsgegnerin im Normenkontrollverfahren, die zugleich Inhaberin der Baugenehmigung ist, jedenfalls bekannt, daß die Antragsteller als Nachbarn Einwendungen gegen die Nutzung des Grundstücks als Bolzplatz erhoben hatten. Die Antragsgegnerin konnte jedenfalls nicht ohne weiteres darauf vertrauen, daß die ihr erteilte Baugenehmigung Bestand behalten würde und sie ihr Vorhaben entsprechend dem Bebauungsplan und der Genehmigung ausführen könnte. Sie ist nicht erst nach Ablauf der Jahresfrist erstmals mit Einwendungen der Nachbarn konfrontiert und dadurch "überrascht" worden. Das Prinzip von Treu und Glauben, aus dem sich die Regeln für einen Verlust der Anfechtungsbefugnis ableiten, wurzelt - wie ausgeführt - im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. Die aus ihm abzuleitenden rechtlichen Folgerungen richten sich demgemäß nach den Gegebenheiten auf beiden Seiten dieses Verhältnisses.
b)
Können die Antragsteller die Baugenehmigung nicht mehr anfechten, so stellt sich die vom Verwaltungsgerichtshof in zweiter Linie vorgelegte Frage nach der Zulässigkeit des Normenkontrollantrages. Die Antragsteller haben durch den Bebauungsplan im Hinblick auf die Lärmeinwirkungen, die von dem danach zulässigen Bolzplatz ausgehen werden, zwar einen Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erlitten (vgl. BVerwGE 59, 87<100 ff.>). Ist zur Verwirklichung einer mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen Festsetzung eines Bebauungsplans aber schon eine Genehmigung erteilt worden, welche die Antragsteller nicht mehr anfechten können, so hängt das für die Zulässigkeit des Normenkontrollantrages - neben dem fortbestehenden Nachteil - erforderliche und auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung notwendige allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (vgl. zum Unterschied zwischen Nachteil und Rechtsschutzbedürfnis Schenk, DVBl. 1976, 198 <201>; OVG Berlin, Baurecht 1980, 536 <537 ff.>) davon ab, ob sie dadurch, daß der Bebauungsplan (ganz oder teilweise) für nichtig erklärt wird, derzeit ihre Rechtsstellung verbessern können.
Das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO ist - wie sich auch aus Abs. 2 der Vorschrift ergibt - jedenfalls, soweit es auf Antrag einer natürlichen oder juristischen Person eingeleitet wird, kein rein objektives Prüfungsverfahren, sondern weist - insbesondere bei Bebauungsplänen - auch Elemente des Individualrechtsschutzes auf (vgl. Beschluß des Senats vom 17. Februar 1984 - BVerwG 4 B 191.83 - BVerwGE 69, 30 <33>; Kopp, VwGO <7. Aufl. 1986>, § 47 Rz. 3 m.w.N.). Das hiernach jedenfalls für den Antrag natürlicher oder juristischer Personen erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu auch Beschluß des Senats vom 2. September 1983 - BVerwG 4 N 1.83 - BVerwGE 68, 12<13>) ist nicht gegeben, wenn eine Inanspruchnahme des Gerichts sich als für die subjektive Rechtsstellung des Antragstellers zur Zeit nutzlos darstellt. Wann dies der Fall ist, richtet sich indes im wesentlichen nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall.
Für eine mit dem Normenkontrollantrag begehrteÜberprüfung eines Bebauungsplans fehlt das Rechtsschutzbedürfnis nicht notwendigerweise schon dann, wenn der Antragsteller eine Baugenehmigung, die eine Nutzung entsprechend den von ihm bekämpften Festsetzungen des Bebauungsplans gestattet, hinnehmen muß, weil er sie nicht mehr anfechten kann. Generell gilt, daß - anders als bei einer Abgabensatzung und einem auf sie gestützten Abgabenbescheid (vgl. hierzu BVerwGE 56, 172) - eine Baugenehmigung sich nicht einfach als Vollzug eines Bebauungsplans darstellt und die von einem Bebauungsplan ausgehenden Belastungen nicht notwendig vollständig in sich aufnimmt (vgl. BVerwGE 59, 87 <97>). Hiervon abgesehen kann die Aufhebung eines Bebauungsplans den von ihm ausgehenden Nachteil im Einzelfall auch dann noch in rechtserheblicher Weise mindern, wenn eine - unanfechtbar gewordene - Baugenehmigung vom Bauherrn noch nicht ausgenutzt ist. Zwar könnte die Feststellung der Nichtigkeit des Bebauungsplans nichts an der Bestandskraft der Baugenehmigung ändern (vgl. § 47 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 183 VwGO). Jedoch tritt die Baugenehmigung außer Kraft, wenn das genehmigte Vorhaben nicht innerhalb bestimmter, landesrechtlich geregelter Fristen begonnen oder weitergeführt wird (vgl. hier § 62 LBO). Ist bei einer solchen Sachlage zwischenzeitlich der Bebauungsplan durch gerichtliche Entscheidung für nichtig erklärt worden, so kann dies die Rechtslage zugunsten des Antragstellers verändern, wenn nunmehr ein für das Vorhaben notwendiger neuer Bauantrag etwa nach § 34 BBauG (§ 34 BauGB) zu beurteilen ist. Auch sonst kann im Einzelfall - etwa durch verbindliche Erklärung - die Ausführung des Bebauungsplans trotz bereits unanfechtbar erteilter Baugenehmigung vom Ausgang eines Normenkontrollverfahrens abhängig gemacht worden sein (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 19. Mai 1981 - 6 C 16/80 - NVwZ 1982, 254).
Ist der Bebauungsplan oder die mit dem Antrag bekämpfte einzelne Festsetzung durch genehmigte (oder genehmigungsfreie) Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können. Allerdings veränderte sich durch einen Wegfall des Bebauungsplans oder der einzelnen Festsetzung die materielle Rechtsgrundlage für die vorhandene Nutzung. Hieran anknüpfende Ansprüche des Antragstellers, etwa auf ermessensgerechte Entscheidung der Behörde über einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens oder auf Rücknahme der unanfechtbar erteilten Baugenehmigung, liegen indes bei Beachtung des Vertrauensschutzes des Bauherrn regelmäßig so fern, daß mit ihrer Möglichkeit allein ein Rechtsschutzbedürfnis für den Normenkontrollantrag in der Regel nicht begründet werden kann. - Änderungen oder Erweiterungen der vorhandenen Nutzung oder der Wiederbeginn einer beendeten oder durch tatsächliche Ereignisse untergegangenen Nutzung wären bei zwischenzeitlicher Aufhebung der sie stützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans auf veränderter, dem Antragsteller möglicherweise günstigerer Rechtsgrundlage zu beurteilen. Auch eine solche nicht hinreichend konkrete Möglichkeit genügt aber in der Regel - vorbehaltlich etwaiger Zusagen oder anderer Besonderheiten - nicht, um derzeit ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag gegen die durch unanfechtbare Baugenehmigung zugelassene und tatsächlich verwirklichte Festsetzung eines Bebauungsplans zu bejahen. Der Antragsteller ist übrigens nicht daran gehindert, die nicht fristgebundene Normenkontrolle nach § 47 VwGO - erneut - einzuleiten, sobald nach Änderung der Sach- oder Rechtslage die Aufhebung des Bebauungsplans für ihn einen greifbaren Vorteil in seiner subjektiven Rechtsstellung verspricht.
Dr. Niehues
Dr. Kühling
B. Sommer
Dr. Gaentzsch