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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 03.04.2023, Az.: 1 BvR 2353/22
Verfassungsbeschwerde bzgl. des längerfristigen Ausschlusses des Umgangsrechts des Vaters wegen Gefährdung des Wohls aller drei Kinder; Sexueller Missbrauch der ältesten Tochter durch den Kindesvater
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 03.04.2023
Referenz: JurionRS 2023, 39347
Aktenzeichen: 1 BvR 2353/22
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20230403.1bvr235322

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Schleswig-Holstein - 22.11.2022 - AZ: 8 UF 110/22

Fundstelle:

FamRZ 2023, 946

BVerfG, 03.04.2023 - 1 BvR 2353/22

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (...),
gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 22. November 2022 - 8 UF 110/22 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Ott
und die Richter Radtke,
Wolff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 3. April 2023 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den längerfristigen Ausschluss des Umgangsrechts.

I.

2

Der Beschwerdeführer ist Vater von drei im Oktober 2010, im März 2012 sowie im Dezember 2017 geborenen Kindern, die aus der mittlerweile geschiedenen Ehe mit deren Mutter hervorgegangen sind.

3

Ende März 2019 hatte der Beschwerdeführer sein ältestes, damals 9-jähriges Kind erheblich sexuell missbraucht. Das auf eine Selbstanzeige des Beschwerdeführers eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, weil nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit (vgl. § 20 StGB) des Beschwerdeführers bei Begehung der Tat nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Mutter verließ nach der Tat mit den Kindern den Beschwerdeführer. Seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu diesen.

4

Im hier zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hatte das Familiengericht den Umgang des Beschwerdeführers mit seinen beiden älteren Kindern bis zum 31. Juli 2023 ausgeschlossen und für das jüngste Kind eine befristete Umgangspflegschaft sowie einen monatlich stattfindenden zweistündigen Umgang des Beschwerdeführers in Anwesenheit der Umgangspflegerin angeordnet. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers, der Mutter und der für die Kinder bestellten Verfahrensbeiständin hin änderte das Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Entscheidung unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen mit angegriffenem Beschluss vom 22. November 2022 ab und schloss den Umgang des Beschwerdeführers mit allen drei Kindern auf der Grundlage von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB bis zum 31. Dezember 2024 aus. Ohne den Ausschluss wäre die geistig-seelische Entwicklung der Kinder konkret gefährdet. Für die beiden älteren Kinder ergebe sich dies vor allem daraus, dass sie seit längerer Zeit Umgangskontakte nachhaltig ablehnten. Der entsprechende Wille sei auch beachtlich. Insbesondere bei dem ältesten Kind sei angesichts dessen mit der Person des Beschwerdeführers verbundener Traumafolgenstörung besonders wichtig, selbst über Kontakte entscheiden zu können, weil anderenfalls Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle drohten. Für das jüngste Kind würden allein von ihm wahrzunehmende Umgangskontakte bei vehementer Ablehnung solcher durch die älteren Geschwister eine sehr schwierige Situation herbeiführen. Es sei zu erwarten, dass er die von seinen Geschwistern kommunizierten Ängste vor Umgängen mit dem Beschwerdeführer übernehmen und dadurch ganz erheblich belastet würde. Da die beiden älteren Kinder zudem auch Umgänge des jüngsten Kindes mit dem Beschwerdeführer ablehnten und deren eventuelle Durchführung bei ihnen große Ängste und Sorgen verursache, wirkten sich solche Umgänge auch auf ihr Wohl erheblich nachteilig aus.

5

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

7

Der angeordnete längerfristige Umgangsausschluss hält trotz des bereits seit Ende März 2019 fehlenden Kontakts des Beschwerdeführers zu seinen Kindern den verfassungsrechtlichen Anforderungen (zu diesen BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juni 2021 - 1 BvR 709/21 -, Rn. 9 f. und vom 25. Mai 2022 - 1 BvR 326/ 22 -, Rn. 13; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2022 - 1 BvR 1943/22 -, Rn. 13 ff. und vom 20. Januar 2023 - 1 BvR 2345/22 -, Rn. 10 jeweils m.w.N.) auch unter Berücksichtigung der aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgenden Gewährleistungen (vgl. dazu EGMR, H. v. Deutschland, Entscheidung vom 17. Mai 2011, Nr. 9732/10, §§ 27 ff.) noch stand. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

8

Ausgehend von den dem Verfassungsrecht entsprechenden Voraussetzungen von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Mai 2022 - 1 BvR 326/22 -, Rn. 13) hat das Oberlandesgericht den längerfristigen Umgangsausschluss auf eine bei Durchführung von Umgängen eintretende Gefährdung des Wohls aller drei Kinder gestützt. Die drohenden Kindeswohlgefährdungen hat es dabei zwischen den Kindern differenzierend nach Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit noch hinreichend konkret benannt. Für die entsprechenden Feststellungen kann es sich vor allem mit dem bereits durch das Familiengericht eingeholten psychologischen Sachverständigengutachten, der mündlichen Erläuterung dieses Gutachtens vor dem Oberlandesgericht selbst sowie der Anhörung der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes auf eine hinreichend zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung stützen (vgl. BVerfGE 55, 171 [BVerfG 05.11.1980 - 1 BvR 349/80] <182>).

9

Die Ausgestaltung des fachgerichtlichen Verfahrens durch das Oberlandesgericht lässt auch ansonsten keine Mängel erkennen, die an der Eignung und Angemessenheit zur wirkungsvollen Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen (vgl. BVerfGE 84, 34 <49>) zweifeln ließen und insoweit zu einer Verletzung des Elternrechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG führen könnten. So dürfte bereits fachrechtlich nicht grundsätzlich zu beanstanden sein, dass das Oberlandesgericht unter Berufung auf § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG von einer Anhörung der betroffenen Kinder im Beschwerdeverfahren abgesehen hat. Die Vorschrift gilt auch dort (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 411/18 -, Rn. 15). Seine Anwendung ist nach zum Fachrecht vertretener Auffassung nicht durch § 68 Abs. 5 FamFG ausgeschlossen, vielmehr ist es Aufgabe des Beschwerdegerichts, das Vorliegen der Voraussetzungen von § 159 Abs. 2 FamFG in der Beschwerdeinstanz zu beurteilen (vgl. Witt, FamRZ 2021, S. 1510 <1512>). Ob das Oberlandesgericht fachrechtlich ohne Rechtsfehler von einer eigenen Anhörung der Kinder aus § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG abgesehen hat, ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht zu entscheiden. Wegen der erstinstanzlich durchgeführten und dokumentierten Kindesanhörungen sowie der vom Oberlandesgericht selbst vorgenommenen Sachverhaltsaufklärung einschließlich der Anhörung der Sachverständigen stand dem Gericht eine zuverlässige Tatsachengrundlage für die nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB maßgebliche Beurteilung von Kindeswohlgefährdungen zur Verfügung. Damit ist den aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anforderungen an die Verfahrensgestaltung genügt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2022 - 1 BvR 1655/21 -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2022 - 1 BvR 580/22 -, Rn. 19 jeweils m.w.N.).

10

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ott

Radtke

Wolff

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