Bundesverfassungsgericht
Urt. v. 09.03.1994, Az.: 2 BvL 43/92
Strafvorschriften des BtMG; Cannabisprodukte; Freiheitsentziehung; Umgang mit Drogen; Recht auf Rausch; Gleich schädliche Drogen; Alkohol oder Nikotin; Gelegentlicher Eigenverbrauch; Fremdgefährdung; Übermaßverbot; Schuldgehalt; Vorbereitung; Mittel zur Erreichung des erstrebten Zwecks; Einschätzung und Prognose; Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers; Grenze der Zumutbarkeit; Beeinträchtigungen der Grundrechte
Bibliographie
- Gericht
- BVerfG
- Datum
- 09.03.1994
- Aktenzeichen
- 2 BvL 43/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 13045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BVerfGE 90, 145 - 226
- DVBl 1994, 773 (amtl. Leitsatz)
- JZ 1994, 852-863 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- JuS 1994, 1067-1069 (Volltext mit amtl. LS)
- Kriminalistik 1994, 422
- MDR 1994, 813-814 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1994, 334-335 (amtl. Leitsatz)
- NJ 1994, 265 (Kurzinformation)
- NJW 1995, 2471-2475 (Urteilsbesprechung von Wiss. Mitarbeiter Georg Zimmermann)
- NJW 1994, 2400-2402 (Urteilsbesprechung von Professor Dr. Arthur Kreuzer)
- NJW 1994, 1577-1590 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1994, 366-370 (Urteilsbesprechung von Prof. Dr. Ursula Nelles und Wiss. Ass. Dr. Petra Velten)
- NStZ 1994, 397 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
1. Die Strafvorschriften des BtMG, die den unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten mit Strafe bedrohen, sind im strafbewehrten Verbot am Maßstab des Art. 2 I, in der angedrohten Freiheitsentziehung an Art. 2 II 2 GG zu messen.
2. Für den Umgang mit Drogen gelten die Schranken des Art. 2 I GG. Ein "Recht auf Rausch", das diesen Beschränkungen entzogen wäre, gibt es nicht.
3. Der Gleichheitssatz gebietet nicht, alle potentiell gleich schädlichen Drogen gleichermaßen zu verbieten oder zuzulassen. Der Gesetzgeber konnte ohne Verfassungsverstoß den Umgang mit Cannabisprodukten einerseits, mit Alkohol oder Nikotin andererseits unterschiedlich regeln.
4. Soweit die Strafvorschriften des BtMG Verhaltensweisen mit Strafe bedrohen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, verstoßt sie deshalb nicht gegen das Übermaßverbot, weil der Gesetzgeber es den Strafverfolgungsorganen ermöglicht, durch das Absehen von Strafe (vgl. § 29 V BtMG) oder Strafverfolgung (vgl. §§ 153 ff. StPO, § 31a BtMG) einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen.
5. In Fällen der Vorbereitung des gelegentlichen Eigenverbrauchs geringer Mengen von Cannabisprodukten ohne Fremdgefährdung werden die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen haben.
6. Bei der vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geforderten Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung des erstrebten Zwecks sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom BVerfG nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann.
7. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt wreden (Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).
8. Die Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann dazu führen, daß ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel des Rechtsgüterschutzes nicht angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Beeinträchtigungen der Grundrechte des Betroffenen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz deutlich überwiegen, so daß der Einsatz des Schutzmittels als unangemessen erscheint.