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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 25.03.1992, Az.: 1 BvR 1859/91

Verfassungsbeschwerde; Subsidiarität; Auslegung einfachen Rechts; Vermögensfragen

Bibliographie

Gericht
BVerfG
Datum
25.03.1992
Aktenzeichen
1 BvR 1859/91
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1992, 12621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BVerfGE 86, 15 - 27
  • DZWIR 1992, 238-242 (Volltext mit amtl. LS)
  • LKV 1992, 263 (amtl. Leitsatz)
  • NJ 1992, 259-262 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1992, 1676-1677 (Volltext mit red./amtl. LS)
  • NVwZ 1992, 766 (amtl. Leitsatz)
  • SGb 1992, 502 (amtl. Leitsatz)
  • ZIP 1992, 1025-1028 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Einer Entscheidung des BVerfG vor Erschöpfung des Rechtswegs kann entgegenstehen, daß die einfachrechtliche Lage nicht hinreichend geklärt ist. Das gilt besonders dann, wenn der Streit in erster Linie die Auslegung einfachen Rechts betrifft und das BVerfG Aussagen über den Inhalt einer Regelung treffen müßte, zu der sich noch keine gefestigte Rechtsprechung der Fachgerichte entwickelt hat.

2. Zur Auslegung des § 1 VI, VIII lit. a VermG.

Gründe

1

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anwendung des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1991 (BGBl. I S. 957) in Fällen, in denen Verfolgte des nationalsozialistischen Regimes Vermögenswerte verloren hatten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Gebiet der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands beim neuen Inhaber auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sind.

2

I.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG sind Vermögenswerte, die Maßnahmen im Sinne des § 1 VermG unterlagen und in Volkseigentum überführt oder an Dritte veräußert wurden, auf Antrag an die Berechtigten zurückzuübertragen, soweit dies nicht nach diesem Gesetz ausgeschlossen ist. Die Entscheidung über die Rückübertragung obliegt den Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen (§§ 30 ff. VermG). Gegen deren Entscheidung kann Widerspruch erhoben und gegen den Widerspruchsbescheid der (Verwaltungs-)Rechtsweg beschritten werden (§§ 36, 37 VermG).

3

Sobald eine Anmeldung nach der Verordnung über die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche (inzwischen gültig in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Oktober 1990, BGBl. I S. 2162) vorliegt, ist der Verfügungsberechtigte verpflichtet, den Abschluß dinglicher Rechtsgeschäfte oder die Eingehung langfristiger vertraglicher Verpflichtungen ohne Zustimmung des Berechtigten zu unterlassen (§ 3 Abs. 3 VermG). Diese Pflicht ist nicht als gesetzliches Verbot, sondern als schuldrechtliche Verpflichtung des Verfügungsberechtigten gegenüber dem Anspruchsteller ausgestaltet (vgl. die Erläuterung durch die Bundesregierung, BTDrucks. 11/7831, S. 5). Zu ihrer Durchsetzung ist nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur der Zivilrechtsweg gegeben. Der dieser Verpflichtung korrespondierende Unterlassungsanspruch kann im Wege der einstweiligen Verfügung gesichert werden (vgl. BezG Erfurt, DtZ 1991, S. 252; KG, DtZ 1991, S. 191; Kohler, NJW 1991, S. 465 (470)).

4

§ 1 VermG regelt den Geltungsbereich des Gesetzes. Absatz 6 dieser Vorschrift lautet:

5

Dieses Gesetz ist entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben.

6

Nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG gilt das Gesetz nicht für Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage. Damit wiederholt das Vermögensgesetz die Regelung des Art. 41 Abs. 1 des Einigungsvertrages in Verbindung mit Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (Anlage III des Einigungsvertrages, BGBl. 1990 II S. 1237).

7

Zu der Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG, insbesondere auf die Fälle, in denen ein Vermögenswert sowohl von einer Zwangsmaßnahme des nationalsozialistischen Regimes als auch von einer Enteignung unter sowjetischer Besatzungshoheit (1945 bis 1949) betroffen war, heißt es in der Erläuterung der Bundesregierung zum Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vom 12. September 1990 (BTDrucks. 11/7831, S. 3):

8

Absatz 6 dehnt den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus. Die hier erfaßten Vermögensverluste sind nach Maßgabe dieses Gesetzes rückgängig zu machen. Dies gilt auch, wenn der betreffende Vermögenswert später unter sowjetischer Besatzungshoheit (d. h. zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 7. Oktober 1949) dem neuen Eigentümer (z. B. dem sog. Ariseur) oder - nach vorübergehender Rückerstattung des Vermögens nach dem 8. Mai 1945 - dem Verfolgten des NS-Regimes bzw. seinen Erben erneut entzogen wurde. Darin liegt kein Widerspruch zu Absatz 8 Buchstabe a, weil die Regelung des Absatzes 6 in diesen Fällen nicht auf die Korrektur einer Maßnahme unter sowjetischer Besatzungshoheit, sondern auf die Korrektur nationalsozialistischen Unrechts abzielt. Erstere ist lediglich mittelbare Folge der letzteren. Artikel 41 Absatz 1 und 3 des Einigungsvertrages in Verbindung mit der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen beider deutschen Staaten zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (Anlage III des Vertrages) stehen gleichfalls nicht entgegen, weil die Gemeinsame Erklärung zu den in Absatz 6 behandelten Fällen keine Aussage trifft.

9

II.

1. a) Die Beschwerdeführerinnen - sämtlich Kapitalgesellschaften - erstreben die Rückübertragung von Grundstücken und darauf befindlichen Gebäuden und Warenhausbetrieben in Gera und Plauen. Sie und ihre Gesellschafter - Mitglieder der jüdischen Familie Tietz - haben unter Berufung auf § 1 Abs. 6 VermG Ansprüche auf Rückübertragung der Grundstücke, Gebäude und Warenhausbetriebe gemäß § 3 Abs. 1 VermG angemeldet.

10

Dazu tragen sie folgenden Sachverhalt vor:

11

Die Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) seien Eigentümerinnen der Warenhausgrundstücke gewesen. Die Warenhäuser seien von der Beschwerdeführerin zu 3) betrieben worden. Ursprünglich seien die Mitglieder der Familie Tietz Alleinaktionäre der Beschwerdeführerin zu 1) und der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin zu 2) gewesen. Die Geschäftsanteile der Beschwerdeführerin zu 3) hätten zum Vermögen einer offenen Handelsgesellschaft gehört, deren Gesellschafter ebenfalls die Familienmitglieder gewesen seien. Unter dem Druck der Nationalsozialisten habe die Familie 1934 den Geschäftsbetrieb der oHG sowie die Aktien der Beschwerdeführerin zu 1) und der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin zu 2) zum Zweck der "Arisierung" auf eine GmbH übertragen.

12

b) Im Jahre 1946 wurden die Grundstücke einschließlich der Gebäude und Betriebseinrichtungen enteignet und in Volkseigentum übergeführt. Der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens wurde zunächst die "Rechtsträgerschaft" daran übertragen. Im Jahre 1967 wurden ihr die Gebäude übereignet. An den Grundstücken wurde ihr ein unbefristetes und unentgeltliches Nutzungsrecht verliehen.

13

Am 16. April 1991 schlossen die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens und ein westdeutsches Kaufhausunternehmen einen Vertrag zur Gründung einer gemeinsamen Betriebsgesellschaft, in die die Grundstücke und Warenhäuser "einbezogen" werden sollten. Durch die dabei vorgesehenen Maßnahmen (insbesondere Vermietungen, Investitionen, Umbauten) sehen die Beschwerdeführerinnen die von ihnen in Anspruch genommenen Rechte nach § 3 Abs. 1 VermG gefährdet.

14

2. Auf Antrag der Beschwerdeführerinnen untersagte das Landgericht der Antragsgegnerin durch einstweilige Verfügung, ohne Erteilung einer Investitionsbescheinigung nach dem Investitionsgesetz in der Fassung vom 22. März 1991 über die in Frage stehenden Grundstücke, Gebäude und Unternehmen oder Warenhausbetriebe zu verfügen oder langfristige Verpflichtungsgeschäfte, zum Beispiel Betriebsüberlassungs- und/oder Miet- oder Pachtverträge abzuschließen oder bereits abgeschlossene Verpflichtungen zu erfüllen; ferner untersagte es der Antragsgegnerin, die Warenhäuser in eine gemeinsam mit dem westdeutschen Unternehmen gegründete oder zu gründende Betriebsgesellschaft einzubringen.

15

Auf die Berufung der Antragsgegnerin änderte das Kammergericht die Entscheidung des Landgerichts mit dem hier angegriffenen Urteil (ZIP 1992, S. 130) ab und wies den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:

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Die Beschwerdeführerinnen hätten keinen Sachverhalt vorgetragen, der den Erlaß der erwirkten einstweiligen Verfügung rechtfertige. Als Anspruchsgrundlage komme allein § 3 Abs. 3 VermG in Betracht. Diese Vorschrift sei hier jedoch nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nicht anwendbar. Die hier betroffenen Vermögenswerte seien auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden. § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG schließe die Anwendung des Vermögensgesetzes auch für solche Ansprüche aus, die sich auf Vermögenswerte bezögen, die zunächst durch Maßnahmen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Sinne von Absatz 6 verloren und sodann weiter durch Enteignungen im Sinne von Absatz 8 Buchst. a betroffen worden seien. Die Erläuterung der Bundesregierung zum Vermögensgesetz sei nicht geeignet, die gegenteilige Auffassung zu stützen. Sie enthalte nicht mehr als eine Interpretation der gesetzlichen Bestimmung.

17

Darüber hinaus berücksichtige sie nicht die historischen Grundlagen von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG. Der Restitutionsausschluß für die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage sei von der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag und zum Zwei-plus-Vier-Vertrag zur Vorbedingung gemacht worden. Diese Ausgangslage habe Ausdruck und Bestätigung durch die Gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990 gefunden. Die Gemeinsame Erklärung habe durch Art. 41 Abs. 1 des Einigungsvertrages in Verbindung mit dem Einigungsvertragsgesetz Gesetzeskraft und nach Art. 143 Abs. 3 GG Verfassungsrang erlangt.

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Selbst wenn die Erläuterung der Bundesregierung als von den gesetzgebenden Körperschaften gebilligte Grundlage ihrer Beschlußfassung anzusehen sein sollte, führe dies nicht zur Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG. Denn dies setze voraus, daß das Gesetz selbst, wenn auch möglicherweise unvollkommen, einen Anhaltspunkt für ein Verständnis und eine Auslegung auf dieser Grundlage biete. Einen solchen gebe es hier nicht.

19

III.

1. a) Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor:

20

Der Verfassungsbeschwerde stehe der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen. Ohne verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz sei die Aushöhlung ihrer Rückübertragungsansprüche zu besorgen. Eine abschließende Entscheidung über die von ihnen und von den Mitgliedern der Familie Tietz angemeldeten Rückübertragungsansprüche sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.

21

Die Auslegung von § 1 Abs. 6 und Abs. 8 Buchst. a VermG durch das Kammergericht verstoße gegen das Willkürverbot. Für die unter § 1 Abs. 6 VermG fallende Personengruppe bestimme diese Vorschrift die uneingeschränkte Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes ohne einen Vorbehalt hinsichtlich des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG.

22

Ferner sei Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Der in Verwirklichung der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 in § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG vorgesehene Restitutionsausschluß dürfe nicht weiter gehen, als dies zur Erreichung des außenpolitischen Ziels der Wiedervereinigung Deutschlands erforderlich gewesen sei. Die von der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion bei den Vertragsverhandlungen verfolgten Ziele seien durch die Einschränkung des Restitutionsausschlusses hinsichtlich der Opfer des Nationalsozialismus nicht gefährdet gewesen. Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts sei im übrigen ein Gebot der Gerechtigkeit.

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b) Mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehren die Beschwerdeführerinnen, daß die Wirkung des angegriffenen Urteils bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt und dadurch die von dem Landgericht erlassene einstweilige Verfügung zunächst wieder wirksam wird.

24

Ohne den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung werde die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens die in dem Rahmenvertrag vereinbarte langfristige Kooperation verwirklichen. Dies schließe den Abschluß langfristiger Mietverträge sowie erhebliche bauliche Umgestaltungen der beiden Warenhäuser ein. Mit den Umbauarbeiten sei teilweise bereits begonnen worden. In dem Warenhaus in Gera seien seit 1990 Baumaßnahmen mit einem Aufwand von bislang sieben bis acht Millionen DM durchgeführt worden. Für das Kaufhaus in Plauen seien Investitionen in Höhe von fünf bis neun Millionen DM beabsichtigt. Die Durchsetzung ihrer Rückübertragungsansprüche könnte daher durch etwaige Verwendungsersatzansprüche der Bauherren erschwert werden. Auch sei nicht auszuschließen, daß die Liegenschaften durch langfristige Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte derart eng in die Unternehmenseinheit des westdeutschen Unternehmens einbezogen würden, daß ihre Rückgabe im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG unmöglich werde.

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2. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Für die Beschwerdeführerinnen bestehe die Möglichkeit, den Hauptsacherechtsweg zu beschreiten. Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet. Ob der generelle Ausschluß der Restitution des auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteigneten Vermögens durch die Anordnung der Wiedergutmachung von Vermögensverlusten für Opfer des Nationalsozialismus durchbrochen werde, sei eine Frage des einfachen Rechts.

26

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihr steht der aus § 90 Abs. 2 BVerfGG folgende Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe entgegen. Die Beschwerdeführerinnen sind gehalten, das im Verfahren der einstweiligen Verfügung geltend gemachte Unterlassungsbegehren zunächst im Zivilrechtsweg mit einer Hauptsacheklage zu verfolgen.

27

1. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann allerdings selbständig Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Insoweit ist hier der Rechtsweg erschöpft (§ 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt jedoch, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken. Für Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes folgt daraus, daß die Erschöpfung des Rechtswegs im Eilverfahren nicht ohne weiteres ausreicht, um die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zu begründen, wenn das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der Grundrechtsverletzung abzuhelfen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen. Allerdings muß die Beschreitung und Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs im Einzelfall für den Beschwerdeführer zumutbar sein. Das Bundesverfassungsgericht behandelt deshalb Verfassungsbeschwerden gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in den genannten Fällen dann als zulässig, wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 (279) [BVerfG 01.02.1989 - 1 BvR 1290/85] m.w.N.).

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2. Nach diesen Grundsätzen können die Beschwerdeführerinnen nicht auf das Verwaltungsverfahren und das anschließende verwaltungsgerichtliche Verfahren über die von ihnen angemeldeten Rückgabeansprüche verwiesen werden. Dem steht entgegen, daß der im Ausgangsverfahren geltend gemachte Unterlassungsanspruch den Anmeldern von Rückübertragungsansprüchen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG als eigenständiges Sicherungsmittel schon vor der Entscheidung darüber zusteht, ob die angemeldeten Ansprüche bestehen. Den Beschwerdeführerinnen steht jedoch zur Durchsetzung des Unterlassungsbegehrens das Hauptsacheverfahren vor den Zivilgerichten offen. Die von ihnen gerügten Grundrechtsverletzungen beziehen sich ausschließlich auf die Begründung des Kammergerichts zur Nichtanwendbarkeit des Vermögensgesetzes im Ausgangsfall, also auf eine Frage, die nicht im besonderen die vorläufige Sicherung des Unterlassungsanspruchs betrifft, sondern diesen Anspruch selbst. Dessen Geltendmachung mit einer Hauptsacheklage bietet danach die Möglichkeit, die Korrektur einer etwaigen verfassungsrechtlichen Beschwer durch eine andere Auslegung des § 1 Abs. 6 und Abs. 8 Buchst. a VermG zu erreichen.

29

Die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegen nicht vor. Allerdings fällt der Gesichtspunkt der weiteren tatsächlichen Aufklärung im Hauptsacheverfahren, dem im allgemeinen bei der Überprüfung von Entscheidungen, die im Eilverfahren ergangen sind, besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 53, 30 (52 f.) [BVerfG 20.12.1979 - 1 BvR 385/77]), hier nicht entscheidend ins Gewicht; denn das Kammergericht hat seiner Entscheidung die Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerinnen zugrunde gelegt und deren Verfügungsbegehren allein aufgrund einer rechtlichen Beurteilung abgewiesen. Die zusätzlichen Erfordernisse einer Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, die auch im Rahmen des Subsidiaritätsgrundsatzes zu verlangen sind (vgl. BVerfGE 84, 90 (116)), sind jedoch nicht erfüllt.

30

a) Eine allgemeine Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Es ist nicht ersichtlich, daß die Auffassung des Kammergerichts Unsicherheit in einer so großen Zahl von Fällen geschaffen hat, daß eine sofortige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unerläßlich ist. Außerdem hat die Sache jedenfalls derzeit keine allgemeine Bedeutung, weil nicht feststeht, daß sich die Rechtsauffassung des Kammergerichts allgemein durchsetzen wird. Unabhängig davon, ob die von den Beschwerdeführerinnen erhobenen verfassungsrechtlichen Rügen begründet sind, kann die Auffassung des Kammergerichts nicht als die allein mögliche Auslegung angesehen werden. Das zeigt schon die entgegengesetzte Auffassung, die die Bundesregierung in ihrer Erläuterung zum Vermögensgesetz im Rahmen der Gesetzesberatungen vertreten hat (BTDrucks. 11/7831, S. 3; vgl. oben A I a.E.). Die Literatur ist dieser Auffassung bisher gefolgt (vgl. etwa: Säcker/Hummert in MünchKomm, Ergänzungsband, Zivilrecht im Einigungsvertrag Rdnr. 1120; Lorff, Offene Vermögensfragen nach der Einigung Deutschlands, Abschnitt II 5, § 1 VermG Rdnr. 8; Fieberg/Reichenbach, NJW 1991, S. 321 (323); ebenso Barkam in Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, § 1 VermG Rdnr. 53 ff., für den Fall, daß die Nachenteignung beim "Ariseur" erfolgt ist). Die Möglichkeit, daß ihr auch die Rechtsprechung letztlich folgt, ist daher weder ausgeschlossen noch fernliegend. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Auslegung sind nicht erkennbar.

31

b) Die Nachteile, die den Beschwerdeführerinnen durch die Verweisung auf den Hauptsacherechtsweg entstehen können, rechtfertigen unter Berücksichtigung aller Umstände eine Vorabentscheidung nicht.

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aa) Die Befürchtung, die begehrte Rückübertragung könne durch die zwischenzeitliche Verwirklichung des Ausschlußtatbestandes des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG (Einbeziehung der Grundstücke und Gebäude in eine Unternehmenseinheit) beeinträchtigt werden, ist offensichtlich unbegründet. Eine Rückübertragung von Eigentumsrechten ist nach dieser Vorschrift nur dann ausgeschlossen, wenn die maßgeblichen tatsächlichen Umstände am 29. September 1990 vorgelegen haben (vgl. § 5 Abs. 2 VermG). Der Rahmenvertrag zwischen der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens und dem westdeutschen Unternehmen wurde hingegen erst am 16. April 1991 geschlossen.

33

bb) Ein schwerer Nachteil im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kann nicht darin gesehen werden, daß die Beschwerdeführerinnen infolge der Verweigerung einer Vorabentscheidung bei einem späteren Erfolg ihres Rückgabebegehrens Verwendungsansprüchen in erheblicher Höhe wegen der inzwischen durchgeführten Instandsetzungs- und Umbauarbeiten ausgesetzt sein könnten.

34

Es ist schon zweifelhaft, ob mit einer (stattgebenden) Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde dieser Gefahr überhaupt vorgebeugt werden könnte. Die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung, um deren Aufrechterhaltung es in der angegriffenen Entscheidung allein ging, untersagte der Antragsgegnerin nur, über die Grundstücke, Gebäude und Warenhausbetriebe zu verfügen, langfristige Verpflichtungsgeschäfte wie etwa Betriebsüberlassungs- oder Miet- und Pachtverträge darüber abzuschließen, solche Verpflichtungen zu erfüllen oder die Warenhäuser in die Betriebsgesellschaft mit dem westdeutschen Unternehmen einzubringen. Dagegen ist ein Verbot von Instandsetzungs- und Umbaumaßnahmen darin - jedenfalls ausdrücklich - nicht ausgesprochen worden. Wenn auch § 3 Abs. 3 VermG dahin ausgelegt wird, daß der Unterlassungsanspruch werterhöhende Baumaßnahmen an einem beanspruchten Objekt umfaßt (vgl. etwa Barkam, a.a.O., § 3 VermG Rdnr. 34), besagt dies noch nicht, daß ein solches Verbot unausgesprochen Inhalt der erlassenen einstweiligen Verfügung war.

35

Davon abgesehen würden die befürchteten Verwendungsersatzansprüche die Beschwerdeführerinnen auch nicht so schwer belasten, daß eine Vorabentscheidung gerechtfertigt wäre. Die Beschwerdeführerinnen haben dem Vortrag der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens nicht widersprochen, daß sie im Falle der Rückgabe der Objekte selbst beabsichtigten, die Investitionen vorzunehmen, die für den Betrieb moderner Kaufhäuser erforderlich seien. Danach wären die Investitionen, die nach dem Vorbringen im Ausgangsverfahren von der Antragsgegnerin beabsichtigt sind, für die Beschwerdeführerinnen nicht nutzlos. Selbst wenn diese später die Warenhausbetriebe veräußern wollten, würden sich die Maßnahmen wertsteigernd auswirken.

36

cc) Ein ins Gewicht fallender Nachteil könnte für die Beschwerdeführerinnen allerdings entstehen, wenn die Warenhausbetriebe im Zuge des beabsichtigten gemeinschaftlichen Betriebs langfristig an die Beteiligungsgesellschaft oder an das westdeutsche Partnerunternehmen gebunden würden. Zwar ist nicht dargetan, daß eine Veräußerung der Betriebe an diese Gesellschaften droht. Auch eine langfristige schuldrechtliche Bindung, insbesondere im Wege eines Mietvertrages, könnte die wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführerinnen jedoch empfindlich beeinträchtigen. Weder die einfachrechtliche Gesetzeslage (§ 16 Abs. 2 und 3, § 17 VermG) noch die im Verfahren vorgelegten Verträge bieten eine sichere Gewähr, daß sich die Beschwerdeführerinnen im Falle der Rückübertragung der Objekte von solchen Bindungen vorzeitig lösen könnten. Ihrer Befürchtung, daß die Antragsgegnerin langfristige mietvertragliche Bindungen eingehen werde, ist diese nicht entgegengetreten. Während der Laufzeit solcher Bindungen wären die Beschwerdeführerinnen im Falle der Rückgabe der Objekte gehindert, die Warenhäuser selbst zu nutzen. Auch im Falle der Veräußerung der Objekte könnten sich solche Bindungen erlösmindernd auswirken.

37

Ob die danach drohenden Auswirkungen, für sich allein betrachtet, bereits so schwerwiegend wären, daß sie als schwerer Nachteil im Sinne von § 90 Abs. 2 BVerfGG einzustufen wären, kann offenbleiben. Auch beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ist das Bundesverfassungsgericht nicht stets verpflichtet, vor Erschöpfung des Rechtswegs - und dementsprechend hier vor Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs - zu entscheiden; es hat vielmehr auch andere für und gegen eine vorzeitige Entscheidung sprechende Umstände zu berücksichtigen und alle Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 8, 222 (226 f.) [BVerfG 23.10.1958 - 1 BvR 458/58]; st. Rspr.). Gegen eine Vorabentscheidung kann dabei auch sprechen, daß es an einer hinreichenden Vorklärung der einfachrechtlichen Lage fehlt. Das ergibt sich aus dem Sinn des Subsidiaritätsgrundsatzes, der vor allem sichern soll, daß durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte dem Bundesverfassungsgericht nicht nur ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird, sondern daß ihm auch die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden. Das Bundesverfassungsgericht soll nicht genötigt werden, auf ungesicherten Grundlagen weitreichende Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus wird damit der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz (auch gegen Verfassungsverletzungen) gewähren (vgl. BVerfGE 77, 381 (401) [BVerfG 26.01.1988 - 1 BvR 1561/82]).

38

Diese Gesichtspunkte fallen hier entscheidend ins Gewicht. Die Streitfrage betrifft in erster Linie die Auslegung einfachen Rechts. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie nach den dafür geltenden Auslegungsgrundsätzen im Sinne der Beschwerdeführerinnen entschieden wird. Eine gefestigte Rechtsprechung hat sich noch nicht gebildet; die Entwicklung der Rechtsprechung zu der einschlägigen Problematik steht vielmehr erst am Anfang. In einer solchen Lage würde es in die Funktion der Fachgerichte erheblich eingreifen, wenn das Bundesverfassungsgericht vorweg - und aufgrund einer wesentlich weniger umfassenden Beurteilungsgrundlage - Aussagen über den Inhalt der in Frage stehenden einfachrechtlichen Regelung treffen und damit den Raum für die weitere Entwicklung der fachgerichtlichen Rechtsprechung beschneiden würde. Das öffentliche Interesse daran, eine solche Lage zu vermeiden, wiegt so schwer, daß die entgegengesetzten Interessen der Beschwerdeführerinnen demgegenüber zurücktreten müssen.

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(gez.) Herzog

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