Bundesverfassungsgericht
Urt. v. 10.12.1980, Az.: 2 BvF 3/77
Zulässige Sonderabgabe; Charakter der Berufsausbildungsabgabe ; Zustimmung des Bundesrates; Prüfungsumfang des Gesetzgebers; Veränderte Umstände; Zulässigkeitskriterien; Strikte Anwendung; Anspruch gegen homogene Gruppe; Voraussetzungen; Sachnähe; Gruppennützigkeit; Außersteuerliche Geldleistungspflicht; Besonderer Zurechnungsgrund; Kompetenzrechtliche Grenzen; Grundsatz bundesstaatlicher Finanzverfassung; Begriff der Vorschriften über das Verwaltungsverfahren; Zustimmungsbedürftigkeit
Bibliographie
- Gericht
- BVerfG
- Datum
- 10.12.1980
- Aktenzeichen
- 2 BvF 3/77
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1980, 11182
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BVerfGE 55, 274 - 348
- DB 1981, 167-171 (Volltext mit amtl. LS)
- DVBl 1981, 139-147 (Volltext mit amtl. LS)
- DVBl 1981, 375-379
- DÖV 1981, 135-142 (Volltext mit amtl. LS)
- JA 1998, 373-374
- NJW 1981, 336-337
- NJW 1981, 337-339
- NJW 1981, 339
- NJW 1981, 329-336 (Volltext mit amtl. LS)
- VerwRspr 32, 129 - 155
- VwRspr 1981, 129-155 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
1. Die Berufsausbildungsabgabe nach § 3 I 1 APFG stellt sich nicht als Steuer, sondern als zulässige Sonderabgabe dar. Als solche unterfällt sie nicht den für Steuern geltenden Art. 104a ff. GG. Eine Zustimmung des Bundesrates zum Arbeitsplatzförderungsgesetz war deshalb nach Art. 105 III GG nicht erforderlich.
2. Der Gesetzgeber ist bei einer auf längere Zeit angelegten Finanzierung einer in die spezifische Verantwortung einer Gruppe fallenden Aufgabe durch Erhebung einer Sonderabgabe gehalten, stets zu überprüfen, ob seine ursprüngliche Entscheidung für eine Sonderabgabe wegen veränderter Umstände, insbesondere Wegfalls des Finanzzwecks oder Zielerreichung, zu ändern oder aufzuheben ist.
3. Die Sonderabgabe hat gegenüber der Steuer die seltene Ausnahme zu sein; daraus folgt, daß die Zulässigkeitskriterien strikt auszulegen und anzuwenden sind.
4. Eine gesellschaftliche Gruppe kann nur dann mit einer Sonderabgabe in Anspruch genommen werden, wenn sie durch eine gemeinsame in der Rechtsordnung oder gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgegebenen Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit und anderen Gruppen abgrenzbar ist (homogene Gruppe).
5. Die Erhebung einer Sonderabgabe setzt eine spezifische Beziehung (Sachnähe) zwischen Abgabepflichtigen und mit der Abgabenerhebung verfolgtem Zweck voraus. Die mit der Abgabe belastete Personengruppe muß dem verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Personengruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler.
6. Die außerordentliche Belastung von Angehörigen einer Gruppe setzt voraus, daß zwischen Belastungen und Begünstigungen, die die Sonderabgabe bewirkt, eine sachgerechte Verknüpfung besteht. Das ist der Fall, wenn das Abgabenaufkommen im Interesse der Gruppe des Abgabepflichtigen ( "gruppennützig") verwendet wird.
7. Als außersteuerliche Geldleistungspflicht der Angehörigen einzelner Gruppen stößt die Sonderabgabe auf enge kompetenzrechtliche Grenzen. Sie kann als zusätzliche Belastung einzelner nur erhoben werden, wenn sie sich auf einen besonderen Zurechnungsgrund stützen läßt, der vor dem Grundsatz der bundesstaatlichen Finanzverfassung und vor dem Gebot der Gleichheit aller Bürger vor den öffentlichen Lasten Bestand hat.
8. Sonderabgaben dürfen nicht zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben und ihr Aufkommen darf nicht zur Finanzierung allgemeiner Steueraufgaben verwendet werden. Die konkrete haushaltsmäßige Behandlung einer Abgabe hat keine konstitutive Bedeutung für ihre verfahrensrechtliche Qualifizierung als Sonderabgabe oder Steuer.
9. Die Bewahrung der bundesstaatlichen Ordnungs- und Ausgleichsfunktion macht es unabdingbar, Steuern und außersteuerliche Abgaben eindeutig abzugrenzen. Entscheidend für die Qualifizierung einer Abgabe als Sonderabgabe ist ihr materieller Gehalt. Es kommt nicht darauf an, wie das Abgabengesetz selbst eine öffentlich-rechtliche Abgabe klassifiziert.
10. Zum Begriff der Vorschriften über das Verwaltungsverfahren i. S. Art. 84 I GG.
11. Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz hätte nach Art. 84 I GG zur Zustimmung des Bundesrates bedurft, weil es jedenfalls in § 3 VI und VIII Nr. 3 APFG Vorschriften über das Verwaltungsverfahren enthält