Bundesverfassungsgericht
Urt. v. 21.06.1977, Az.: 1 BvL 14/76
Lebenslange Freiheitsstrafe; Mord; Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe; Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes; Gnadenpraxis; Schäden psychischer oder physischer Art; Würde des Menschen; Begnadigung; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Bibliographie
- Gericht
- BVerfG
- Datum
- 21.06.1977
- Aktenzeichen
- 1 BvL 14/76
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1977, 10989
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 05.03.1976 - AZ: 3 Ks 3/75
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BVerfGE 45, 187 - 271
- MDR 1977, 906-908 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1977, 1525-1534 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
1. Mit dem Grundgesetz vereinbar ist die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord (§ 211 Abs. 1 StGB) nach Maßgabe der folgenden Leitsätze.
2. Der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Gnadenpraxis führt nicht zwangsläufig zu irreperablen Schäden psychischer oder physischer Art. Die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) ist somit nicht verletzen.
3. Menschenwürdiger Strafvollzugs bedeutet, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder in Freiheit zu gelangen. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend; vielmehr fordert das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren, durch Gesetze zu regeln.
4. Bei einer an dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten restriktiven Auslegung verletzt die Qualifikation der heimtückischen und der zur Verdeckung einer anderen Straftat begangenen Tötung eines Menschen als Mord gemäß § 211 Abs. 2 StGB nicht das Grundgesetz.