Bundessozialgericht
Beschl. v. 09.04.2025, Az.: B 5 R 13/25 B
Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung; Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde
Bibliographie
- Gericht
- BSG
- Datum
- 09.04.2025
- Aktenzeichen
- B 5 R 13/25 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 14185
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:BSG:2025:090425BB5R1325B0
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Ulm - 17.05.2023 - AZ: S 6 R 2555/18
- LSG Baden-Württemberg - 17.12.2024 - AZ: L 13 R 1713/23
Rechtsgrundlagen
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Auf eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung im Sinne des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
- 2.
Auf eine Verletzung des § 103 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Im Übrigen ist das Tatsachengericht, wenn -wie hier - bereits mehrere, sich teilweise widersprechende Gutachten vorliegen, nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebung verpflichtet. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen.
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat am 9. April 2025 durch die Richterin Prof. Dr. Körner als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Hannes und den Richter Dr. Uyanik
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2024 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, der inzwischen eine Altersrente für langjährig Versicherte bezieht, begehrt in der Hauptsache die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für den Zeitraum von Februar 2018 bis Oktober 2021.
Der 1958 geborene Kläger, der keinen Beruf erlernte und zuletzt als angelernter Schleifer tätig war, beantragte am 3.1.2018 erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Diese lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 14.3.2018; Widerspruchsbescheid vom 1.8.2018). Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört und von Amts wegen Gutachten des Neurologen und Psychiaters S, des Neurologen und Psychiaters D sowie auf Antrag des Klägers des Psychiaters und Psychotherapeuten P eingeholt. Die Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 17.5.2023). Das LSG hat nach Einholung eines Gutachtens des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten W die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 17.12.2024). Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen führten nicht zu einer rentenbegründenden Leistungsreduzierung in quantitativer Hinsicht. Der Kläger sei auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufungsunfähigkeit.
Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die allein geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die sich daraus ergebenden Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Ausdrücklich bezeichnet der Kläger keinen Verfahrensmangel. Er rügt sinngemäß eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), indem er vorbringt, das LSG habe die vorliegenden, sich teilweise widersprechenden ärztlichen Einschätzungen nicht ausreichend differenziert gewürdigt. Das gelte insbesondere, soweit sich daraus Indizien für eine weitergehende Leistungsminderung ergeben würden. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden, wie sich aus § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ergibt.
Mit seinem Vorbringen, wegen der uneinheitlichen medizinischen Beurteilung sei eine weitere Beweisaufnahme erforderlich gewesen, um insbesondere die Wechselwirkung zwischen seinen Gesundheitsstörungen weiter zu untersuchen, rügt der Kläger zudem sinngemäß eine Verletzung der tatrichterlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG). Die Beschwerdebegründung erfüllt aber auch nicht die Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Ihr lässt sich schon nicht hinreichend entnehmen, ob und ggf mit welchem Inhalt der bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und bis zuletzt gegenüber dem LSG aufrechterhalten hat (vgl hierzu im Einzelnen BSG Beschluss vom 13.3.2025 - B 5 R 160/24 B - juris RdNr 5 mwN). Sein Vorbringen, er habe ein weiteres Gutachten in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG beantragt, ist schon deshalb nicht schlüssig, weil das Berufungsurteil mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen ist.
Dessen unbesehen legt der Kläger nicht hinreichend dar, inwiefern sich das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen. Liegen wie hier bereits mehrere, sich teilweise widersprechende Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebung verpflichtet. Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 2.10.2024 - B 5 R 11/24 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 24.5.2017 - B 3 P 6/17 B - juris RdNr 13). Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit den vorliegenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.7.2023 - B 5 R 216/22 B - juris RdNr 12 mwN). Zu weiteren Beweiserhebungen ist das Tatsachengericht nur verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.7.2023 - B 9 SB 4/23 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 9). Solche Fehler hat der Kläger nicht aufgezeigt. Die Beschwerde richtet sich insbesondere gegen die Bewertung seiner Leistungsfähigkeit durch W und dabei vor allem gegen die Schlussfolgerungen, die der Sachverständige aus der von ihm festgestellten Diskrepanz zwischen den klinischen Befunden und den Testergebnissen gezogen hat. Dass das vom LSG eingeholte Gutachten schwerwiegende Mängel im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufweisen könnte, geht daraus nicht hervor.
Falls der Kläger mit seinem Vorbringen, "man" habe ihn der Aggravation und der Simulation überführen wollen, eine Verletzung des aus Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG abgeleiteten Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren rügen will (vgl auch Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention; Art 47 Satz 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union), hat er ebenso wenig einen Verfahrensmangel anforderungsgerecht bezeichnet. Aus seinem Vorbringen ergibt sich nicht, inwiefern durch die Verfahrensführung des LSG rechtsstaatlich unverzichtbare Verfahrenserfordernisse nicht gewahrt worden sein könnten. Das gilt auch für den vom Kläger angedeuteten, nicht näher substantiierten Vorwurf, das LSG habe dem Sachverständigen W einen "intendierten Untersuchungsauftrag" erteilt.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.