Bundessozialgericht
Beschl. v. 27.01.2025, Az.: B 8 SO 3/24 BH
Antrag auf Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen); Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags
Bibliographie
- Gericht
- BSG
- Datum
- 27.01.2025
- Aktenzeichen
- B 8 SO 3/24 BH
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 12789
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:BSG:2025:270125BB8SO324BH0
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Berlin - 13.08.2018 - AZ: S 184 SO 578/16
- LSG Berlin-Brandenburg - 23.11.2023 - AZ: L 15 SO 233/18
Rechtsgrundlage
Redaktioneller Leitsatz
Für die vor dem 1.7.2017 geltende Rechtslage ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten der Unterkunft insbesondere bei gemeinsamer Nutzung einer Wohnung im Familienverbund die Kosten gehören, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstehen und von diesem faktisch (mit-)getragen werden, auch ohne dass ein förmlicher Mietvertrag vorliegen muss.
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 27. Januar 2025 durch die Vorsitzende Richterin Krauß sowie die Richter Prof. Dr. Luik und Stäbler
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Der Antrag der Klägerin, ihr für das beabsichtigte Verfahren der Beschwerde einen Notanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Streitig sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) von Mai 2015 bis April 2016 unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung für eine zweite Wohnung.
Bei der 1997 geborenen, alleinstehenden und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Klägerin sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen B, aG, H und T festgestellt. Sie leidet an einer kombinierten Entwicklungsstörung mit Verhaltensauffälligkeiten sowie motorischen Defiziten bei spastischer Diplegie; 2009 wurde die Pflegestufe III festgestellt. Sie bewohnt mit ihren Eltern sowohl eine rund 68qm große 3-Zimmer-Wohnung, die von den Eltern angemietet ist (Wohnung 1), als auch im selben Wohnblock (anderer Eingang) eine rund 48qm große 2-Zimmer-Wohnung, die der Mutter gehört, die auch die Lasten trägt (Wohnung 2). Ein (Unter)Mietvertrag mit der Klägerin besteht weder für die eine noch die andere Wohnung. Der Beklagte bewilligte der Klägerin Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 20.5.2015 bis 30.4.2016 (Bescheid vom 5.11.2015; Widerspruchsbescheid vom 15.3.2016) und berücksichtigte ein Drittel der Aufwendungen für Miete und Heizung der Wohnung 1 als Bedarf. Mit der Klage, gerichtet auf höhere Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung auch für die Wohnung 2, hat die Klägerin vorgebracht, aufgrund des Krankheitsbilds und der Betreuungssituation sei eine Reduzierung nur auf die Wohnfläche der Wohnung 1 nicht gerechtfertigt. Die Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts <SG> Berlin vom 13.8.2018; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Berlin-Brandenburg vom 23.11.2023). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die Aufwendungen für die Wohnung 2 seien vollständig von der Mutter der Klägerin als Wohnungseigentümerin gedeckt worden, ohne dass die Klägerin dieser hieran einen Anteil geschuldet habe. Zudem habe sie ihren Lebensmittelpunkt im streitigen Zeitraum überwiegend in Wohnung 1 gehabt, in der das Grundbedürfnis Wohnen gesichert gewesen sei; auch ein der Eingliederungshilfe zuordenbarer zusätzlicher Unterkunftsbedarf bestehe nicht.
Die Klägerin hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil sowie die Beiordnung eines "Notanwalts" beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Für die vor dem 1.7.2017 geltende Rechtslage ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bereits geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten der Unterkunft insbesondere bei gemeinsamer Nutzung einer Wohnung im Familienverbund die Kosten gehören, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstehen und von diesem faktisch (mit-)getragen werden, auch ohne dass ein förmlicher Mietvertrag vorliegen muss (zusammenfassend BSG vom 17.12.2015 - B 8 SO 10/14 R - SozR 4-3500 § 35 Nr 4 RdNr 16). Die Frage, ob wegen der Wohnung 2 die ernsthafte Erwartung einer Beteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung bestand, obliegt nach dieser Rechtsprechung allein der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall. Es ist nicht erkennbar, dass sich ausgehend von den Feststellungen des LSG, es fielen keine Kosten für die Wohnung 2 an, vorliegend weitere entscheidungserhebliche Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung stellen könnten, zumal die Rechtslage sich zum 1.7.2017 maßgeblich geändert hat. Aus den vorstehenden Gründen ist auch eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin meint, das LSG habe bei der Frage, ob ihr Kosten tatsächlich entstanden sind, das Recht fehlerhaft angewandt, kann das die Revision nicht eröffnen.
Es ist auch nicht erkennbar, dass ein zugelassener Rechtsanwalt mit Erfolg einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend machen könnte. Soweit die Klägerin vorbringt, sie habe in der mündlichen Verhandlung einen Ortstermin vorgeschlagen, um dem LSG einen Eindruck davon zu ermöglichen, wie die Klägerin in den beiden Wohnungen lebe, behauptet sie sinngemäß die Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG. Auf die Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann sich in einer Nichtzulassungsbeschwerde nur stützen, wer sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG; zu den Anforderungen an die Rüge vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Ein solcher Antrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Es kann dahinstehen, ob aus dem Vortrag der nicht rechtskundig vertretenen Klägerin deutlich geworden ist, dass sie noch Aufklärungsbedarf sieht (dazu BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 96/17 B - RdNr 6; BSG vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B - RdNr 10; BSG vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - RdNr 8 mwN). Jedenfalls müsste ein zugelassener Rechtsanwalt zudem darlegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann, wobei die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG zugrunde zu legen ist (vgl BSG vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Es ist aber nicht erkennbar, welche Erkenntnisse ein Ortstermin hätte liefern können, die aus Sicht des LSG entscheidungserheblich hätten sein können; denn die Klägerin war nach den Feststellungen des LSG hinsichtlich ihres Aufenthalts in Wohnung 2 keinen Kosten ausgesetzt. Auf seine weiteren Ausführungen, der Unterkunftsbedarf werde abschließend durch die Wohnung 1 gedeckt und ein Mehrbedarf an Wohnfläche bestehe nicht, kam es damit (auch) ausgehend von seiner Rechtsauffassung nicht an.
Auch soweit die Klägerin wegen der Verhandlungsführung des LSG einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 Grundgesetz <GG>) geltend macht, ist nicht erkennbar, dass ein entsprechender Verstoß von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sowie zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn die Entscheidung auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen die Beteiligten sich nicht äußern konnten (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> <Kammer> vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - RdNr 21, 28 mwN) oder wenn das LSG seine Pflicht verletzt hat, das Vorbringen der Beteiligten in seine Erwägungen miteinzubeziehen (vgl BVerfG <Kammer> vom 20.5.2022 - 2 BvR 1982/20 - RdNr 40 mwN). Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Es ist auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht erkennbar, dass das LSG gegen diese Pflichten verstoßen hat. Ihr Betreuer ist im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesend gewesen und gehört worden. Art 103 Abs 1 GG schützt aber nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (vgl BSG vom 24.8.2018 - B 13 R 174/18 B - RdNr 7; BSG vom 15.12.2016 - B 5 RE 28/16 B - RdNr 9). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen könnte nur dann anzunehmen sein, wenn das Gericht etwa auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht (vgl BSG vom 24.8.2018 - B 13 R 174/18 B - RdNr 7; BVerfG vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133). Das ist hier erkennbar nicht der Fall.
Mit der Ablehnung der Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG i.V.m. § 121 Abs 1 ZPO).
Auch der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts hat keinen Erfolg. Nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht einem Beteiligten auf seinen Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist aber aus den dargestellten Gründen ohne Aussicht auf Erfolg.