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Bundessozialgericht
Beschl. v. 29.10.2015, Az.: B 9 V 11/15 BH
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.10.2015
Referenz: JurionRS 2015, 32077
Aktenzeichen: B 9 V 11/15 BH
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Baden-Württemberg - 27.08.2015 - AZ: L 6 VG 5227/14

BSG, 29.10.2015 - B 9 V 11/15 BH

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 11/15 BH

L 6 VG 5227/14 (LSG Baden-Württemberg)

S 16 VG 1437/14 (SG Freiburg)

...............................................,

Klägerin und Antragstellerin,

gegen

Land Baden-Württemberg,

vertreten durch das Regierungspräsidium, Landesversorgungsamt,

Ruppmannstraße 21, 70565 Stuttgart,

Beklagter.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. Oktober 2015 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l sowie die Richter O t h m e r und Dr. R ö h l

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. August 2015 einen Notanwalt beizuordnen sowie Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen einer zwangsweisen Unterbringung in der Psychiatrie.

2

Die Klägerin wurde am 1.6.2007 notfallmäßig stationär ins Zentrum für Psychiatrie E. - (ZfP) eingewiesen wegen des Verdachts einer akuten Psychose bei formaler Denkstörung und paranoiden Denkinhalten. Sie verblieb dort bis zum 6.7.2007 in stationärer Behandlung. Zu Beginn ihres Aufenthalts sahen es die behandelnden Ärzte als erforderlich an, die Klägerin wegen selbstgefährdendem und bedrohlichem Verhalten für rund 16 Stunden zu isolieren und zu fixieren. Die zwangsweise Unterbringung wurde vom Amtsgericht E. nach § 1 des Gesetzes für die Unterbringung psychisch Kranker genehmigt (Beschluss vom 6.6.2007). Der Entlassungsbericht des ZfP vermerkte als Diagnosen eine akute schizophrenieforme psychotische Störung, differenzialdiagnostisch eine paranoide Schizophrenie.

3

Die Klägerin beantragte im Jahr 2013 die Gewährung von Leistungen nach dem OEG, weil sie unter anderem Attentaten des Personals des ZfP ausgesetzt gewesen sei. Die Polizei, ein Klinikarzt des ZfP sowie das dortige Pflegepersonal hätten sie an Arm- und Fußgelenk schwerst verletzt. Durch die Fixierung auf der elektrischen Liege mit Arm- und Fußfesseln sei die Haut ihrer Hand- und Fußgelenke äußerst schlimm verbrannt worden.

4

Der Beklagte zog die ärztlichen Behandlungsberichte bei sowie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten über erfolglose Strafanzeigen der Klägerin gegen behandelnde Ärzte und Polizeibeamte. Zudem vernahm er die Klägerin und eine Reihe von Zeugen und lehnte dann den Antrag ab, weil die Ermittlungen keinerlei Hinweise auf ein konkretes Fehlverhalten der beschuldigten Personen ergeben hätten (Bescheid vom 29.8.2013, Widerspruchsbescheid vom 17.3.2014).

5

Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hat das SG abgewiesen, da es sich nicht davon zu überzeugen vermochte, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der stationären Unterbringung Opfer von Angriffen im Sinne von § 1 OEG geworden sei.

6

Die Klägerin hat dagegen Berufung eingelegt mit der Begründung, sie sei keine Schizophrene, nur eine Osmanin, die von Deutschen auf feige Art und Weise geschändet worden wäre.

7

Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG die Berufung nach weiterer umfangreicher Beweisaufnahme zurückgewiesen, weil sich die von der Klägerin erhobenen Vorwürfe nicht objektivieren ließen und auch nicht glaubhaft im Sinne von § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung seien (Urteil vom 27.8.2015).

II

8

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das genannte Urteil des LSG einen Notanwalt beizuordnen, ist abzulehnen.

9

Nach § 202 S 1 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht, insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Daran fehlt es.

10

Der Senat lässt dahingestellt, ob im Fall der Klägerin die von der Rechtsprechung zum Merkmal des "Nicht-Findens" entwickelten Voraussetzungen erfüllt sind (BSG Beschluss vom 18.3.2008 - B 11a AL 30/07 BH - RdNr 7 mwN Juris). Eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des LSG vom 27.8.2015 erscheint bei der gebotenen summarischen Prüfung ähnlich dem Verfahren der Prozesskostenhilfe (PKH, vgl § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 ZPO) jedenfalls aussichtslos. Im Unterschied zur PKH ist der Entscheidungsmaßstab allerdings nicht eine hinreichende Erfolgsaussicht, sondern "Aussichtslosigkeit" als solche. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann. Diese Einschränkung der gerichtlichen Beiordnung eines Notanwalts soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt, vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren. Bei einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG liegt eine solche Aussichtslosigkeit vor, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen der in § 160 Abs 2 SGG enumerativ aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - offenbar nicht vorliegen. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig und kann daher nicht deren Erfolgsaussichten begründen (BSG SozR 4-1750 § 78b Nr 1 RdNr 6 mwN).

11

Das Vorliegen eines der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision ist auch nach summarischer Prüfung des Streitstoffes offenbar nicht gegeben. Die Klägerin wendet sich vor allem gegen ihre Fixierung während einer richterlich genehmigten zwangsweisen Unterbringung im ZfP im Jahr 2007. Unter welchen engen Voraussetzungen ärztliche Maßnahmen ganz ausnahmsweise einen Angriff im Sinne von § 1 OEG darstellen können, hat die Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17), die das LSG seinem Urteil zutreffend zugrunde gelegt hat. Auch sonst ist nicht ersichtlich, welche grundsätzlichen, fallübergreifenden Rechtsfragen der Fall der Klägerin aufwerfen oder warum das LSG von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein sollte.

12

Auch ein Verfahrensfehler des LSG ist bei summarischer Prüfung nicht entfernt erkennbar. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dafür ist nichts ersichtlich. Vielmehr hat das LSG wie vor ihm der Beklagte nach umfangreicher Sachaufklärung den Anspruch der Klägerin umfassend und sorgfältig geprüft und ihre unrealistischen Tatsachenbehauptungen über die Umstände ihrer psychiatrischen Behandlung nachvollziehbar weder als glaubhaft gemacht und noch weniger als erwiesen angesehen.

13

Aus den genannten Gründen kann die Klägerin ebenso wenig die von ihr ebenfalls beantragte PKH verlangen, weil PKH nur zu bewilligen ist, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). Diese Voraussetzung ist hier aus den oben aufgezeigten Gründen erst recht nicht erfüllt, da schon die Beiordnung eines Notanwalts abzulehnen ist (vgl zum Verhältnis von § 114 und § 78b ZPO nur BGH vom 6.7.1988 - IVb ZB 147/87 - FamRZ 1988, 1152).

Prof. Dr. Schlegel
Othmer
Dr. Röhl

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