Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.10.2022, Az.: VI ZR 258/21
Zulässigkeit der Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 25.10.2022
Referenz: JurionRS 2022, 41520
Aktenzeichen: VI ZR 258/21
ECLI: ECLI:DE:BGH:2022:251022UVIZR258.21.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Delbrück - 16.03.2021 - AZ: 2 C 106/20

LG Paderborn - 14.07.2021 - AZ: 5 S 10/21

Fundstellen:

GRUR 2023, 1130-1131 "WhatsApp-Chatverlauf"

ITRB 2023, 65-66

MDR 2023, 297-298

MMR 2023, 191-192

WRP 2023, 635

ZUM 2023, 144-145

BGH, 25.10.2022 - VI ZR 258/21

Amtlicher Leitsatz:

§ 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW unterfallen nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben, sondern nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2022 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richter Offenloch, Dr. Klein und Dr. Allgayer sowie die Richterin Dr. Linder
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 14. Juli 2021 sowie das Urteil des Amtsgerichts Delbrück vom 16. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Amtsgericht Delbrück zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Beklagte verschaffte sich Zugang zum WhatsApp-Chatverlauf zwischen seiner von ihm jetzt getrenntlebenden Ehefrau und der Klägerin. Er überließ diesen zumindest zwei Personen zum Lesen. Die Klägerin ist der Ansicht, es handele sich um einen höchstpersönlichen Austausch zwischen zwei Freundinnen, dessen Weitergabe ihre Intimsphäre berühre. Mit ihrer Klage verlangt sie eine Geldentschädigung in Höhe von 3.200 €.

2

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da sie unzulässig sei. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

4

Die Klage sei unzulässig, da kein Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden sei. Ein solches schreibe § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW für Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden seien, zwingend vor. Unter den Anwendungsbereich dieser Regelungen fielen alle Ansprüche, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten, ohne dass es auf die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage ankomme. Auch wenn die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes und nicht die Beseitigung oder Unterlassung der Ehrverletzung verlange, sei die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Zulässigkeitsvoraussetzung. Zwar habe der Bundesgerichtshof für den Nachbarstreit entschieden, dass Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung unterfielen, da der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen alle Geldforderungen ohne Ausnahme habe schlichtungsfrei stellen wollen (BGH, Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 169/11, NZM 2012, 435 Rn. 11). Zur Begründung berufe sich der Bundesgerichtshof auf die Entstehungsgeschichte der Norm, die im Bereich der Verletzung der persönlichen Ehre diesen Schluss aber nicht zulasse.

II.

5

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage zulässig. Vor Klageerhebung war kein Streitschlichtungsverfahren durchzuführen, da es sich im Streitfall nicht um eine Streitigkeit über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW handelt.

6

1. Nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW ist die Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Erfasst sind von § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW allerdings nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2002, Rn. 198).

7

a) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW, da dort nur von "Verletzungen der persönlichen Ehre" die Rede ist. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW lehnt sich eng an den Wortlaut der bundesgesetzlichen Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO an (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, NRW LT-Drucks. 12/4614, S. 34). Mit diesem Wortlaut nicht vereinbar ist die Auffassung, es seien alle Ansprüche erfasst, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre (so aber Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 8). Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht nur die persönliche Ehre, sondern umfassend das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner individuellen Persönlichkeit (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12).

8

b) Die Entstehungsgeschichte der § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW spricht ebenfalls für einen beschränkten Anwendungsbereich der Normen.

9

Der Rechtsausschuss des Bundestages hielt die Einbeziehung von Ehrschutzklagen in den Anwendungsbereich des § 15a Abs. 1 Satz 1 EGZPO für sachgerecht, weil für die strafrechtliche Verfolgung ebenfalls ein Sühneverfahren (§ 380 StPO) vorgeschaltet sei und damit eine gewisse Gleichwertigkeit des zivil- und strafprozessualen Vorgehens erreicht werde (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/11042, S. 33; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 14/980, S. 6). Nach § 380 StPO ist die Erhebung einer Privatklage u.a. bei Beleidigung erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist. Unter "Beleidigung" im Sinne des § 380 StPO sind die in §§ 185 bis 189 StGB geregelten Straftatbestände zu verstehen, wie sich aus § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO ergibt.

10

Da der Anwendungsbereich der Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO beschränkt ist, fallen auch unter § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB, also solche, die sich auf herabwürdigende unwahre Tatsachenbehauptungen und herabsetzende Werturteile stützen (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 6; BeckOK GVG/van der Grinten, Stand: 15. Februar 2022, § 53 JustG NRW, Rn. 23; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2002, Rn. 198 ff.; Schwarzmann/Walz, Das Bayerische Schlichtungsgesetz, 2000, S. 50; LG Osnabrück, BeckRS 2018, 34801; LG Frankfurt, NJW-RR 2016, 302 [BGH 27.08.2015 - I ZR 148/14]).

11

2. Von einem in dieser Weise beschränkten Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW ist im Grundsatz auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, dass unter den Anwendungsbereich der Regelung alle Ansprüche fielen, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten. Im Weiteren hat es aber nur festgestellt, dass sich die Klägerin darauf berufe, der Beklagte habe den höchstpersönlichen Chatverlauf, wie er im Tatbestand des Berufungsurteils mit Verweis auf Blatt 2 bis 6 der Gerichtsakte konkret in Bezug genommen wird, Dritten offenbart, um die Klägerin in ihrem Ansehen oder ihrem Ruf zu diskreditieren. Die Klägerin macht damit eine ungenehmigte Weitergabe vertraulicher, nur an einen bestimmten Empfänger gerichteter Nachrichten geltend, also eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG, NJW 1991, 2339, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 25. Mai 1954 - I ZR 211/53, BGHZ 13, 334, 338 f., juris Rn. 22; Senatsurteile vom 30. September 2014 - VI ZR 490/12, VersR 2015, 115 Rn. 15; vom 26. November 2019 - VI ZR 20/19, NJW-RR 2020, 367 Rn. 24 f.; Erman/Klass, BGB, 16. Aufl., Anhang zu § 12 Rn. 117 f.). Gegenstand der Klage ist jedoch kein nach §§ 185 ff. StGB strafbares Handeln.

12

3. Es kann daher dahinstehen, ob Ehrschutzklagen, die auf einen Zahlungsanspruch gerichtet sind, überhaupt von § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW erfasst sind (verneinend BGH, Urteil vom 2. März 2012 - V ZR 169/11, NZM 2012, 435 Rn. 8 ff.; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 35; aA BeckOK GVG/van der Grinten, Stand: 15. Februar 2022, § 53 JuStG NRW Rn. 16; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 19).

13

4. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da sich das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - mit dem geltend gemachten Anspruch in der Sache nicht befasst hat. Aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

Die Sache ist nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre und eine Partei die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht in der Berufungs- oder Revisionsinstanz beantragt hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 aE ZPO; BGH, Urteil vom 27. Januar 2017 - V ZR 120/16, NJW-RR 2017, 443 Rn. 15 mwN). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat im Revisionsverfahren die Zurückverweisung an das Amtsgericht beantragt. Es ist daher ermessensgerecht, um den Parteien die erste Instanz nicht zu nehmen, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Seiters

Offenloch

Klein

Allgayer

Linder

Von Rechts wegen

Verkündet am: 25. Oktober 2022

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.