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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 08.03.2017, Az.: XII ZB 516/16
Ersetzen der Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger als notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 08.03.2017
Referenz: JurionRS 2017, 12176
Aktenzeichen: XII ZB 516/16
ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:080317BXIIZB516.16.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Schmallenberg - 12.09.2016 - AZ: 2 XVII 76/16

LG Arnsberg - 21.10.2016 - AZ: I-5 T 66/16

Fundstellen:

BtPrax 2017, 163

FamRZ 2017, 911

FGPrax 2017, 126

FuR 2017, 390

JZ 2017, 357

MDR 2017, 662

NJW-RR 2017, 644-645

NZFam 2017, 475

Rpfleger 2017, 394-395

BGH, 08.03.2017 - XII ZB 516/16

Amtlicher Leitsatz:

FamFG §§ 317, 319, 321, 325 Abs. 1

In einem Betreuungs- oder Unterbringungsverfahren ersetzt die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger nicht die notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg vom 21. Oktober 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.

1

Die 44jährige Betroffene leidet an Alkoholismus, wegen dessen sie bereits durch einstweilige Anordnung gemäß §§ 10 ff. PsychKG NW geschlossen untergebracht war. Nach ihrer Entlassung wurde sie mehrfach hilfebedürftig aufgefunden. Auf Antrag ihres Betreuers, des Beteiligten zu 1, hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die geschlossene Unterbringung der Betroffenen für die Dauer eines Jahres genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

3

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei der Betroffenen liege eine psychische Erkrankung in Form einer schweren Alkoholabhängigkeit mit einer organischen Persönlichkeitsstörung bei gestörtem Realitätsbezug vor. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Betroffene ohne die Unterbringungsmaßnahme erhebliche gesundheitliche Schäden zufüge. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung vermöge die Betroffene die Notwendigkeit einer stationären Behandlung nicht zu erkennen. Sie sei nicht mehr in der Lage, ihre eigene Lebenssituation realistisch einzuschätzen, und habe auch schon suizidale Gedanken geäußert.

4

2. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts sind verfahrensfehlerhaft ergangen.

5

a) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 mwN).

6

Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, wird das vorliegende Verfahren diesen Anforderungen nicht gerecht. Aus der Gerichtsakte lässt sich nicht ersehen, dass der Inhalt des Gutachtens der Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist, so dass diese zu den festgestellten Indikationen und möglichen Behandlungsalternativen keine Nachfragen stellen konnte und keine ausreichende Möglichkeit hatte, durch die Erhebung von Einwendungen und Vorhalte an die Sachverständige eine andere Einschätzung zu erreichen. Ebenso wenig enthält das Sachverständigengutachten einen Hinweis darauf, dass die Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.

7

Die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger ersetzt eine Bekanntgabe an die Betroffene nicht, denn der Verfahrenspfleger ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen (Senatsbeschluss vom 11. Februar 2015 - XII ZB 48/14 - FamRZ 2015, 918 Rn. 6 mwN). Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Betreuungsgericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG (vgl. auch § 288 Abs. 1 FamFG) absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 - XII ZB 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 8 mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

8

b) Weiterhin rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass auch das Landgericht es dem Verfahrenspfleger nicht ermöglicht hat, an einer - erneut durchzuführenden - persönlichen Anhörung der Betroffenen teilzunehmen.

9

aa) Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszuges zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 21. September 2016 - XII ZB 57/16 - FamRZ 2016, 2092 Rn. 13 mwN).

10

bb) Die - im Wege der Rechtshilfe erfolgte - Anhörung durch das Amtsgericht ist verfahrensfehlerhaft erfolgt, weil sie stattgefunden hat, ohne dass der erst nach dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung bestellte Verfahrenspfleger Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen.

11

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in Unterbringungssachen regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 21. September 2016 - XII ZB 57/16 - FamRZ 2016, 2092 Rn. 10 mwN).

12

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die fehlerhaften Verfahrenshandlungen nicht selbst nachholen und die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Dose

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling

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