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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 16.07.2013, Az.: VIII ZR 384/12
Berücksichtigung des Sachvortrags für einen schadensrechtlichen Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns wegen Nichtlieferung von PP-Ordnern an einen Kunden
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.07.2013
Referenz: JurionRS 2013, 43489
Aktenzeichen: VIII ZR 384/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Frankfurt am Main - 02.11.2011 - AZ: 3-13 O 93/10

OLG Frankfurt am Main - 20.11.2012 - AZ: 5 U 129/11

Rechtsgrundlagen:

Art. 103 Abs. 1 GG

Art. 1 Abs. 1 Buchst. a) CISG

Art. 45 Abs. 1 Buchst. b) CISG

Art. 74 CISG

§ 287 Abs. 1 ZPO

Fundstellen:

ELF 2014, 162

IHR 2014, 58-60

BGH, 16.07.2013 - VIII ZR 384/12

Redaktioneller Leitsatz:

Das rechtliche Gehör einer Partei ist verletzt, erheblichen, unter Beweis gestellten Sachvortrag, als unsubstantiiert übergeht und dabei die Anforderungen an die Substantiierung offenkundig überspannt hat.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Hessel, den Richter Dr. Schneider und die Richterin Dr. Fetzer

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. November 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben als hinsichtlich des Klagantrags Ziffer 1 in Höhe eines Teilbetrags von 22.880 € nebst 0,05 % Zinsen pro Tag aus 19.047,88 € seit 15. Mai 2010 und aus weiteren 3.752,12 € seit 16. Mai 2010 zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die weitergehende Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 377.284,86 € festgesetzt (Klageforderung von 213.626,86 € nebst Hilfsaufrechnung mit Gegenforderung in Höhe von 163.658 €).

Gründe

I.

1

Die Klägerin, eine in Tschechien ansässige Herstellerin von Büroartikeln, und die Beklagte, eine Großhändlerin mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, standen ab dem Jahr 2008 in ständiger Geschäftsbeziehung. Dabei belieferte die Klägerin bis zum Abbruch der Geschäftsbeziehung im Jahr 2010 auf Bestellung der Beklagten deren Kunden mit von ihr gefertigten Büroordnern. Grundlage der Bestellungen und Lieferungen war zunächst eine am 28. April 2008 abgeschlossene Vereinbarung, die von einem am 13. November 2008 getroffenen Rahmenvertrag abgelöst wurde.

2

Mit Schreiben vom 28. Mai 2010 kündigte die Klägerin den Rahmenvertrag unter Verweis auf offene Kaufpreisforderungen in Höhe von 130.241,90 € und unter Berufung auf § 4 Ziffer 4.3 des Rahmenvertrags, der ein sofortiges Kündigungsrecht der Klägerin bei Verzug der Beklagten mit einem Betrag von mehr als 100.000 € vorsieht. Diese Kündigung wiederholte sie mit Anwaltsschreiben vom 11. Juni 2010; zu diesem Zeitpunkt hatten sich die offenen Kaufpreisforderungen der Klägerin auf rund 200.000 € erhöht. Die Beklagte lehnte den Ausgleich dieser Forderungen im Hinblick auf von ihr reklamierte Gegenforderungen ab, die sie auf Nicht- und Schlechtleistungen der Klägerin, auf fehlerhafte Abwicklung von Kundenreklamationen und auf die Verletzung von im Rahmenvertrag getroffenen Kundenschutzregelungen stützte.

3

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 244.216,26 €, auf Rückerstattung einer Überzahlung von 3.000 € und auf Wertersatz für nicht zurückgegebene Paletten in Höhe von 22.574,50 €, jeweils nebst Zinsen, in Anspruch genommen. Die Beklagte, die das Bestehen der Kaufpreisforderung und des Rückzahlungsanspruchs nicht bestritten hat, hat hiergegen im Wege der Primäraufrechnung mit sieben - gestaffelt geltend gemachten - Gegenforderungen in Höhe von insgesamt 258.178,32 € und hilfsweise mit zwei weiteren Gegenforderungen in Höhe von 163.558 € und von 9.500 € die Aufrechnung erklärt.

4

Der Gegenforderung Nr. 1 in Höhe von insgesamt 52.875 € liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin sollte unter Geltung der Vereinbarung vom 28. April 2008 in der zweiten Jahreshälfte 2008 für den Kunden S. sogenannte PP-Ordner aus Kunststoff mit einer Rückenschildtasche liefern. Dazu war sie nicht in der Lage, weil sie eine solche Tasche nicht oder jedenfalls nicht in der gewünschten Größe auf die Ordnerrücken schweißen konnte. Dies war erst möglich, nachdem die Beklagte der Klägerin eine gebrauchte Schweißmaschine zur Verfügung gestellt hatte. Zum Ausgleich des durch die Nichtlieferung der PP-Ordner entstandenen Schadens einigte sich die Beklagte mit dem Kunden S. auf Erstattung eines Betrags von 55.000 €. Diese Summe sollte gemäß einer von den Parteien am 7. April/24. Juni 2009 getroffenen Vereinbarung hälftig von beiden Parteien getragen werden, wobei die Beklagte den Verzicht auf hälftige Erstattung des von ihr an den Kunden ausgekehrten Betrags von 55.000 € von dem Fortbestand der Geschäftsbeziehung der Parteien bis zum 31. Dezember 2010 abhängig machte. Im Hinblick auf die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung des Vertragsverhältnisses hat die Klägerin die Beklagte auf vollständige Erstattung des an den Kunden S. geflossenen Geldbetrags abzüglich unstreitig von der Beklagten geleisteter 2.125 € in Anspruch genommen und mit dieser Forderung die Aufrechnung erklärt.

5

Zusätzlich zu der genannten Gegenforderung macht die Beklagte aus der Nichtlieferung der PP-Ordner Gewinneinbußen in Höhe von 22.880 € (Verkaufspreis von 0,805 € abzüglich Einkaufspreis von 0,74 € = 0,065 € x 352.000 Ordner) geltend. Mit diesem als Gegenforderung Nr. 2 bezeichneten Anspruch hat sie - nach Klageerhebung - mit Anwaltsschriftsatz vom 31. Januar 2011 die Aufrechnung erklärt. Das Bestehen dieser Gegenforderung hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, die Beklagte habe die von der Klägerin bestrittene Schadenshöhe nicht substantiiert dargelegt.

6

Die weiteren Gegenforderungen der Beklagten beruhen auf anderen Sachverhalten, deren Einzelheiten hier nicht von Interesse sind.

7

Das Landgericht hat die Aufrechnung der Beklagten nur in Höhe von 33.589,40 € durchgreifen lassen und die Beklagte zur Zahlung von 210.626,86 € und zur Rückerstattung von 3.000 €, jeweils nebst Zinsen, verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist vor dem Oberlandesgericht mit Ausnahme des Zinsausspruchs hinsichtlich des Rückforderungsbetrags von 3.000 € ohne Erfolg geblieben.

8

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter. Sie wendet sich dagegen, dass die Vorinstanzen von der Gegenforderung Nr. 1 nur einen Teilbetrag in Höhe von 23.375 € berücksichtigt und das Bestehen der weiteren Gegenforderungen Nr. 2, 5, 6 und 7 sowie der hilfsweise geltend gemachten Gegenforderung Nr. 8 in vollem Umfang verneint haben.

II.

9

Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist nur teilweise begründet. Sie hat lediglich insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht die Gegenforderung Nr. 2 der Beklagten auf Ersatz entgangenen Gewinns in Höhe von 22.880 € wegen Nichtlieferung von Kunststoffordnern mit Rückschildtaschen (PP-Ordner) an den Kunden S. in der zweiten Jahreshälfte 2008 nicht anspruchsmindernd berücksichtigt hat. Insoweit ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, § 544 Abs. 7 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat hierbei den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Nichtberücksichtigung weiterer Gegenforderungen richtet, liegen keine Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor. Von einer weitergehenden Begründung wird insoweit gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

10

1. Das Berufungsgericht hat das unter Beweis gestellte Vorbringen der Beklagten zu dem infolge der Nichtbelieferung ihres Kunden S. mit PP-Ordnern entstandenen Gewinnausfall (Differenz von Einkaufs- und Verkaufspreis x 352.000 Stück) deswegen als unsubstantiiert bewertet, weil die Beklagte die Stückzahl von 352.000 Ordnern den der Klägerin übermittelten "forecasts" entnommen, aber keine konkreten Bestellungen des Kunden vorgelegt habe. Die der Klägerin übermittelten "forecasts" beanspruchten als solche keine Verbindlichkeit, sondern hätten nur den Zweck gehabt, der Klägerin eine Vorstellung von der ungefähren Größenordnung der noch zu erteilenden Bestellung zu geben. Dem Vorbringen der Beklagten fehle damit jegliche Substanz; ihr Beweisantritt sei auf einen unzulässigen und nicht zu erhebenden Ausforschungsbeweis gerichtet. Daran ändere auch das Schreiben der Klägerin vom 11. Juni 2008 (Anlage B 19) nichts. Diesem sei zwar zu entnehmen, dass für den Kunden S. insgesamt 367.500 Ordner mit Rückenschildern bestellt gewesen seien; das Schreiben gebe aber keinen Aufschluss über die maßgeblichen Preise und Margen der Beklagten.

11

2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht hierbei die Substantiierungsanforderungen an die Darlegung entgangenen Gewinns offenkundig überspannt und es dadurch versäumt hat, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beklagten in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2010 - V ZR 201/09, [...] Rn. 6; vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, NJW 2012, 382 Rn. 13; vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rn. 5; vom 22. August 2012 - VII ZR 2/11, BauR 2012, 1822 Rn. 14).

12

a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (BGH, Urteile vom 12. Juli 1984 - VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888 unter II 1 a; vom 21. Januar 1999 - VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859 unter II 2 a mwN; vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 16; BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710 unter II 2 a; vom 21. Mai 2007 II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409 Rn. 8; vom 12. Juni 2008 - V ZR 223/07, [...] Rn. 6 f. mwN; vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, aaO Rn. 14; vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 124/11, aaO Rn. 6). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (Senatsbeschlüsse vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, aaO; vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 124/11, aaO; BGH, Urteile vom 12. Juli 1984 - VII ZR 123/83, aaO mwN; vom 13. Dezember 2002 - V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491 unter II 2 a; vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, aaO). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, Urteile vom 12. Juli 1984 - VII ZR 123/83, aaO unter II 1 b; vom 21. Januar 1999 - VII ZR 398/97, aaO unter II 2 b; vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, aaO; BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, aaO; vom 12. Juni 2008 - V ZR 223/07, aaO Rn. 7; vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, aaO; vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 124/11, aaO).

13

b) Den beschriebenen Anforderungen wird der Vortrag der Beklagten zur Höhe des ihr aus der Nichtlieferung von PP-Ordnern an den Kunden S. erwachsenen Gewinnausfalls gerecht. Die Beklagte macht einen schadensrechtlichen Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns nach Art. 45 Abs. 1 Buchst. b, Art. 74 CISG geltend. Diese Bestimmungen sind gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a CISG anwendbar, weil die Parteien ihre Niederlassung in zwei verschiedenen Vertragsstaaten haben. Anders als das Berufungsgericht meint, ist zweifelhaft, ob sich der - mittelbar auch für den Umfang der Darlegungslast bedeutsame - Grad der richterlichen Überzeugung bei Gewinneinbußen nach einem autonom dem UN-Kaufrecht zu entnehmenden Maßstab der "reasonableness" (vernünftiger Grad an Sicherheit) und nicht nach nationalem Prozessrecht - hier § 287 ZPO - richtet. Diese höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage ist in Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten.

14

Für die Anwendung der lex fori sprechen sich neben amerikanischen und schweizerischen Gerichten (vgl. Nachweise bei Schlechtriem/Schwenzer, CISG, 5. Aufl., Art. 74 Fn. 165) vor allem das Oberlandesgericht Koblenz (IHR 2010, 255 ff.), das Oberlandesgericht München (OLGR München 2008, 519), das Landgericht Hamburg (IPRax 1991, 400, 403 [LG Hamburg 26.09.1990 - 5 O 543/88]) und der überwiegende Anteil des Schrifttums aus (Saenger in Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/ Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl., Art. 74 CISG Rn. 18 mwN; Bamberger/Saenger, BGB, 3. Aufl., Art. 74 CISG Rn. 7; Soergel/ Lüderitz/Dettmeiner, BGB, 13. Aufl., Vor Art. 74 CISG Rn. 12; Art. 74 CISG Rn. 22; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, 1991, Art. 74 Rn. 13; Brunner, CISG, Art. 74 Rn. 56 f.). Andere Stimmen fordern die Anwendung des autonomen Standards "reasonableness", weil ansonsten die einheitliche Auslegung und Anwendung des CISG unterlaufen werde (so Schlechtriem/ Schwenzer, aaO Rn. 65 mwN; vgl. MünchKommBGB/Huber, 6. Aufl., Art. 74 Rn. 58 mwN; vgl. auch Staudinger/Magnus, BGB, Neubearb. 2013, Art. 74 CISG Rn. 61). Diese Auffassung, der auch das Berufungsgericht folgt, kann letztlich nur Zweckmäßigkeitserwägungen für die von ihr befürwortete Verdrängung des nationalen Prozessrechts durch die materiellen Regelungen des UN-Kaufrechts anführen. Die Frage, ob für die Gewinneinbußen der Beklagten der in § 287 ZPO vorausgesetzte Grad der Wahrscheinlichkeit genügt oder ein "vernünftiger Grad an Sicherheit" zu fordern ist, kann jedoch offen bleiben. Sie ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich, weil die von der Beklagten dargelegte Tatsachengrundlage - wenn sie sich im Rahmen der Beweisaufnahme bestätigen sollte - nicht nur eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO erlaubt, sondern auch einen vernünftigen Grad an Gewissheit dafür liefert, dass der geltend gemachte Gewinnausfall entstanden ist.

15

aa) Die Beklagte hat zum einen unter Berufung auf den Mitarbeiter P. des Kunden S. dargelegt, dass S. bei der Beklagten eine Bestellung über 352.000 PP-Ordner aufgegeben und die Beklagte der Klägerin dieses Budget für das zweite Halbjahr 2008 per Telefax vom 31. Mai 2008 übermittelt habe. Weiter hat sie unter Antritt von Zeugenbeweis (Mitarbeiter von S. ; Steuerberater der Beklagten) vorgetragen, dieses Budget ("forecast") sei nicht überhöht gewesen, sondern habe den tatsächlichen Bedürfnissen entsprochen; bei S. hätten sich die Verkaufszahlen im Verlaufe der Geschäftsbeziehung zudem immer nach oben und nicht nach unten entwickelt.

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bb) Dass es sich bei der nach dem Vorbringen der Beklagten bestellten Anzahl an Kunststoffordnern mit Rückenschildtasche nicht nur um unverbindliche Bestellaussichten handelte, wird indiziell durch mehrere Umstände bestätigt. So hat die Klägerin mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 6. November 2008 (Anlage B 19) um Bestätigung der Herstellung von 388.500 PP-Ordnern in verschiedenen Stückelungen und Größen für den Kunden S. gebeten. Weiter hat die Beklagte zum Ausgleich des durch die Nichtlieferung dieser Ordner dem Kunden S. entstandenen Schadens einen Betrag von 55.000 € zur Verfügung gestellt, der gemäß der Vereinbarung der Parteien vom 7. April/24. Juni 2009 unter bestimmten Voraussetzungen hälftig unter ihnen aufgeteilt werden sollte. Damit ist die von S. bestellte Stückzahl nicht nur ausreichend dargetan, sondern wird sogar ansatzweise belegt.

17

cc) Ihre Einkaufs- und Verkaufspreise hat die Beklagte ebenfalls hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt. Sie hat unter Berufung auf das Zeugnis des Mitarbeiters P. von S. und ihres Steuerberaters sowie unter Vorlage einer von ihr an S. gerichteten Auftragsbestätigung vom 3. Juli 2008 (Anlage B 22) dargelegt, der von S. für PP-Ordner zu zahlende Stückpreis habe bei 0,83 €, abzüglich 3 % Skonto, mithin bei 0,805 € gelegen. Weiter hat sie vorgetragen, sie hätte für den Bezug der PP-Ordner an die Klägerin einen Einkaufspreis von 0,74 € pro Stück bezahlen müssen, und hat hierfür Beweis durch das Zeugnis ihres Buchhalters und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.

18

3. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Anspruch allein an der vermeintlich unzureichenden Darlegung eines ersatzfähigen Schadens scheitern lassen und keine Feststellungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen getroffen. Deren Vorliegen ist zugunsten der Beklagten revisionsrechtlich zu unterstellen. Es kann folglich nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des unter Beweis gestellten Vorbringens der Beklagten zur Höhe der Gewinneinbußen zu der Überzeugung gelangt wäre, der Beklagten stehe die Gegenforderung Nr. 2 ganz oder teilweise zu. Das Berufungsurteil ist daher insoweit aufzuheben, als es die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung von 22.880 € nicht hat durchgreifen lassen.

Ball

Dr. Milger

Dr. Hessel

Dr. Schneider

Dr. Fetzer

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