Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Beschl. v. 29.04.2013, Az.: VII ZR 37/12
Anspruch auf Zahlung einer Werklohnforderung i.R.d. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.04.2013
Referenz: JurionRS 2013, 35785
Aktenzeichen: VII ZR 37/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Mainz - 17.12.2010 - AZ: 9 O 343/09

OLG Koblenz - 26.01.2012 - AZ: 1 U 56/11

Rechtsgrundlage:

Art. 103 Abs. 1 GG

BGH, 29.04.2013 - VII ZR 37/12

Redaktioneller Leitsatz:

Wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet verstößt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Durch die Zurückverweisung wird dem Berufungsgericht Gelegenheit gegeben, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen des Klägers in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinander zusetzen.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2013 durch den Richter Dr. Eick, die Richterin Safari Chabestari und die Richter Halfmeier, Kosziol und Dr. Kartzke

beschlossen:

Tenor:

Der Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Januar 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 48.570 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung von Werklohn.

2

Er hat gegen die Beklagte am 6. September 1996 einen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts M. über eine Werklohnforderung in Höhe von 94.992,90 DM nebst Zinsen erwirkt. Ob dieser Vollstreckungsbescheid der Beklagten wirksam zugestellt worden ist, ist zwischen den Parteien streitig.

3

Am 22. Januar 1997 hat das Amtsgericht B. einen weiteren Vollstreckungsbescheid bezüglich der Forderung, die Gegenstand des Vollstreckungsbescheids vom 6. September 1996 ist, erlassen. Gegen diesen Vollstreckungsbescheid hat die Beklagte Einspruch eingelegt. Mit Versäumnisurteil des Landgerichts D. vom 15. Februar 2002 ist der Vollstreckungsbescheid vom 22. Januar 1997 aufgehoben und die Klage abgewiesen worden.

4

Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2009 hat die Beklagte gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts M. vom 6. September 1996 Einspruch eingelegt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. Mit Versäumnisurteil vom 26. Februar 2010 hat das Landgericht M. den Vollstreckungsbescheid vom 6. September 1996 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit Urteil vom 17. Dezember 2010 hat das Landgericht M. das Versäumnisurteil vom 26. Februar 2010 aufrechterhalten und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 26. Februar 2010 der Vollstreckungsbescheid vom 6. September 1996 aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.

5

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, der seine Klageansprüche nach Zulassung der Revision weiterverfolgen möchte.

II.

6

1. Das Berufungsgericht führt aus, die Berufung des Klägers bleibe erfolglos; das angefochtene Urteil sei lediglich dahingehend klarzustellen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen werde. Der Einspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid sei zulässig, er sei insbesondere nicht verfristet, weil die zweiwöchige Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Grundsätzlich beginne die Einspruchsfrist mit der Zustellung des Vollstreckungsbescheids. Der Kläger habe den ihm obliegenden Nachweis der Zustellung des Vollstreckungsbescheids im Parteibetrieb nicht erbracht. Zum Nachweis der Zustellung könne er sich nicht auf den auf dem Vollstreckungsbescheid angebrachten Vermerk berufen. Nach § 169 Abs. 1 ZPO entfalte dieser Vermerk des Urkundsbeamten nur Beweiskraft hinsichtlich des Zustellungszeitpunktes; er sei nicht geeignet, den Nachweis der Zustellung an die Beklagte zu erbringen. Der Nachweis der Zustellung könne regelmäßig durch eine Postzustellungsurkunde geführt werden. Der Kläger habe diesen Urkundenbeweis nicht durch Vorlage der Urkunde, sei es im Original oder in beglaubigter Abschrift, angetreten. Die Faxkopie einer Postzustellungsurkunde erbringe vorliegend keinen Beweis für die Zustellung an die Beklagte. Trotz der gerichtlichen Hinweise, zur Zustellung im Parteibetrieb vorzutragen, habe der Kläger keinen Zustellvorgang in nachvollziehbarer Weise dargelegt. Es fehle an einem zureichenden Vortrag, der die Behauptung des Klägers zu belegen geeignet wäre, der Vollstreckungsbescheid sei durch einen Gerichtsvollzieher, der seinerseits die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragt habe, an die Beklagte zugestellt worden. Die vorgelegte Kopie einer Postzustellungsurkunde lasse sich nicht mit einem Zustellungsauftrag eines Gerichtsvollziehers an die Post zum Zwecke der Zustellung an die Beklagte in Verbindung bringen.

7

Die von dem Kläger erhobene Leistungsklage gegen die Beklagte auf Zahlung des Werklohns sei unzulässig, weil über den Streitgegenstand bereits rechtskräftig entschieden worden sei.

8

2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, § 544 Abs. 7 ZPO. Das Berufungsurteil verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, Art. 103 Abs. 1 GG.

9

a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerfG, NJW 2009, 1585 [BVerfG 10.02.2009 - 1 BvR 1232/07]; BGH, Beschluss vom 8. November 2012 VII ZR 199/11, [...] Rn. 8 m.w.N.). Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein Gericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missachtet, wonach die Ablehnung eines Beweisantrags für eine erhebliche Tatsache nur zulässig ist, wenn diese so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie ins Blaue hinein aufgestellt worden ist (vgl. BVerfG, ZIP 1996, 1761, 1762 [BVerfG 30.07.1996 - 1 BvR 634/94]). Die der Beweiserhebung vorgeschaltete Handhabung der Substantiierungsanforderungen verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (BGH, Beschlüsse vom 8. November 2012 VII ZR 199/11, [...] Rn. 8; vom 22. August 2012 VII ZR 2/11, BauR 2012, 1822 Rn. 14; vom 16. November 2010 VIII ZR 228/08, [...] Rn. 14).

10

b) Eine derartige Verletzung des Rechts des Klägers auf rechtliches Gehör liegt hier vor.

11

Das Berufungsgericht hat die Behauptung des Klägers (Schriftsatz vom 24. Oktober 2011, Seite 1 f., GA III 524 f.), die ehemalige Justizangestellte R. habe den Vermerk auf dem Vollstreckungsbescheid vom 6. September 1996 "Der Vollstreckungsbescheid wurde dem Antragsgegner am 24.04.97 zugestellt" aufgrund einer ihr vorliegenden Originalzustellungsurkunde, die denselben Inhalt wie die vorgelegte Faxkopie der Zustellungsurkunde gehabt habe, angefertigt, für unzureichend erachtet und die für diese Behauptung angebotene Zeugin R. (Schriftsatz vom 24. Oktober 2011, Seite 2, GA III 525) nicht vernommen.

12

Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör außerdem verletzt, indem es dessen Behauptung (Schriftsatz vom 8. Dezember 2011, Seite 4-6, GA III 540-542), die Zustellung sei von seinen damaligen anwaltlichen Vertretern veranlasst worden, die nach der am 24. April 1997 erfolgten Zustellung das Original der Postzustellungsurkunde dem Amtsgericht M. zur Bestätigung der Zustellung übersandt hätten, für unzureichend erachtet und die von ihm für diese Behauptung angebotenen Zeugen (Schriftsatz vom 8. Dezember 2011, Seite 5 unten/6 oben, GA III 541 f.) nicht vernommen hat.

13

Die vorstehend genannten Behauptungen betreffen erhebliche Tatsachen, aus denen sich die behauptete Wirksamkeit der Zustellung des Vollstreckungsbescheids vom 6. September 1996 ergeben kann. Soweit das Berufungsgericht den klägerischen Vortrag als unzureichend eingestuft und von einer Vernehmung der genannten Zeugen abgesehen hat, stellt dies eine unzulässige, gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende vorweggenommene Beweiswürdigung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2008 - II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 Rn. 7).

14

c) Auf dem Verfahrensverstoß kann das Urteil des Berufungsgerichts auch beruhen; denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Erhebung des genannten Zeugenbeweises eine wirksame Zustellung des Vollstreckungsbescheids angenommen und zu Gunsten des Klägers entschieden hätte.

15

3. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen des Klägers in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass bei einander widersprechenden rechtskräftigen Entscheidungen die Rechtskraft der älteren vorgeht (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1981 - V ZR 115/80, NJW 1981, 1517, 1518; BAG, NJW 1986, 1831, 1832 [BAG 12.09.1985 - 2 AZR 324/84]). Das Berufungsgericht wird auch zu berücksichtigen haben, dass die Zustellungsvorschriften in der damals gültigen Fassung anzuwenden sind.

Eick

Safari Chabestari

Halfmeier

Kosziol

Kartzke

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.