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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.12.2012, Az.: 2 StR 170/12
Berücksichtigung einer depressiven Episode bei der Strafzumessung hinsichtlich eines Totschlags durch Unterlassen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.12.2012
Referenz: JurionRS 2012, 31930
Aktenzeichen: 2 StR 170/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Erfurt - 26.08.2011

Fundstellen:

NStZ 2013, 6

NStZ 2013, 340-341

Verfahrensgegenstand:

Totschlag

BGH, 06.12.2012 - 2 StR 170/12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Die Frage, ob eine Milderung gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist, muss das Tatgericht in einer wertenden Gesamtwürdigung - vor allem - der wesentlichen unterlassungsbezogenen Gesichtspunkte prüfen und seine Auffassung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise darlegen.

  2. 2.

    Das Fehlen einer Überwindung von Antriebshemmungen (hier: zur Wärmeversorgung eines Neugeborenen u.a.) kann anders zu bewerten sein als die aktive Tötungshandlung eines Säuglings.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 6. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 26. August 2011 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen sowie die Sachbeschwerde gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit es den Strafausspruch betrifft; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete die Angeklagte ihren Sohn, indem sie ihn unmittelbar nach der von ihr alleine durchstandenen Geburt nicht abtrocknete, nur in ein Handtuch wickelte und im Übrigen unversorgt im Bett liegen ließ. Daraufhin verstarb der Säugling nach einer Überlebenszeit von sechs bis zwölf Stunden, wahrscheinlich aufgrund von Unterkühlung.

II.

3

1. Darin hat das Landgericht ohne Rechtsfehler einen Fall des Totschlags durch Unterlassen gesehen (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

4

Die Ausschlussdiagnose eines "plötzlichen Kindstods" war - entgegen einer Angriffsrichtung der Revision - schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil so genannte "Wischnewskizeichen" festgestellt wurden, die in der Rechtsmedizin als typische Hinweise auf erhebliche Unterkühlung gelten. Auch aufgrund der örtlichen und situativen Gegebenheiten lag Unterkühlung als Todesursache nahe. "Plötzlicher Kindstod" wird dagegen nur angenommen, wenn alle medizinisch nachvollziehbaren Todesursachen auszuschließen sind.

5

2. Der Strafausspruch des Landgerichts kann keinen Bestand haben.

6

Die Schwurgerichtskammer hat im Anschluss an eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 213 (2. Alternative) StGB eine weitere Milderung gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt. Die Frage, ob von dieser Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung Gebrauch zu machen ist, muss das Tatgericht indes in einer wertenden Gesamtwürdigung - vor allem - der wesentlichen unterlassungsbezogenen Gesichtspunkte prüfen und seine Auffassung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise darlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - 4 StR 241/11, NStZ-RR 2011, 334). Daran fehlt es hier.

7

Das Landgericht hat angenommen, das pflichtwidrige Unterlassen der Angeklagten sei einem aktiven Handeln gleich zu stellen, weil ihr ein Abtrocknen des Säuglings und bessere Wärmeversorgung unschwer möglich gewesen wäre. Dies ist jedoch angesichts der Erschöpfung der Angeklagten durch die Geburt einerseits sowie zusätzlich im Hinblick auf ihre vom Landgericht nicht ausgeschlossene Depression andererseits nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Das Fehlen einer Überwindung dieser Antriebshemmungen kann anders zu bewerten sein als eine aktive Tötungshandlung (vgl. zum Fall einer Persönlichkeitsstörung bei der Nichtversorgung von Kindern BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1997 - 4 StR 487/97, NStZ 1998, 245). Das Landgericht hat zwar die Belastung der Angeklagten durch Anstrengungen und Beschwerden vor, während und nach der Geburt berücksichtigt, aber nicht die zusätzlich mögliche depressive Episode, welche durch die über Jahre andauernden schwierigen Lebensumstände mit ausgelöst worden sein konnte.

8

Der Senat kann auch nicht sicher ausschließen, dass das Landgericht ohne diesen Erörterungsmangel die Strafrahmenmilderung vorgenommen und eine geringere Strafe verhängt hätte.

Becker

Schmitt

Berger

Eschelbach

Ott

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