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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 21.11.2012, Az.: XII ZB 306/12
Verpflichtung des Gerichts zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Notwendigkeit einer Unterbringungsmaßnahme bei Pflicht der zuständigen Verwaltungsbehörde zur Beifügung eines ärztlichen Gutachtens für eine öffentliche Unterbringung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.11.2012
Referenz: JurionRS 2012, 29133
Aktenzeichen: XII ZB 306/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Zwickau - 02.05.2012 - AZ: 9 T 42/12

Rechtsgrundlage:

§ 321 Abs. 1 FamFG

Fundstellen:

BtPrax 2013, 25-26

FamRB 2013, 82-83

FamRZ 2013, 211-212

FGPrax 2013, 85-86

JZ 2013, 100

MDR 2013, 159-160

NJ 2013, 5

NJW-RR 2013, 193-194

RPsych (R&P) 2013, 95-96

BGH, 21.11.2012 - XII ZB 306/12

Amtlicher Leitsatz:

FamFG § 321 Abs. 1; SächsPSychKG §§ 10 Abs. 2, 11, 13 Abs. 1

Die Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 321 Abs. 1 FamFG in der Hauptsache ein Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der Unterbringungsmaßnahme einzuholen, entfällt auch nicht in den Fällen, in denen die zuständige Verwaltungsbehörde nach den landesrechtlichen Bestimmungen für die öffentliche Unterbringung ihrem Unterbringungsantrag ein ärztliches Gutachten beifügen muss.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 2. Mai 2012 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe

1

Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das Landgericht.

I.

2

Der Beteiligte zu 2 ist zum Betreuer des Betroffenen u. a. für die Aufgabenkreise "Aufenthaltsbestimmung" und "Entscheidung über die Unterbringung" bestellt. Er wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die gerichtliche Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen nach § 10 Abs. 2 SächsPsychKG.

3

Der Betroffene wurde 2006 wegen verschiedener Sexualdelikte rechtskräftig verurteilt, wobei die strafrechtliche Unterbringung gemäß § 63 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Wegen eines weiteren Strafverfahrens war der Betroffene zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung nach § 126 a StPO vorläufig untergebracht. Da der Ausgang des Strafverfahrens ungewiss war, insbesondere im Hinblick darauf, ob eine Unterbringung des Betroffenen gemäß § 63 StGB angeordnet werden würde, hat die örtlich zuständige Verwaltungsbehörde die Unterbringung des Betroffenen gemäß § 10 Abs. 2 SächsPsychKG beantragt. Das Amtsgericht hat auf der Grundlage eines von der Verwaltungsbehörde vorgelegten amtsärztlichen psychiatrischen Gutachtens die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses gemäß § 10 Abs. 2 SächsPsychKG bis längstens 6. Februar 2013 mit der Begründung angeordnet, der Betroffene sei psychisch krank und nicht in der Lage, seine sexuellen Bedürfnisse zu steuern und das Unrecht fehlgesteuerter sexueller Handlungen einzusehen.

4

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 2 Beschwerde eingelegt, die das Landgericht nach Anhörung des Betroffenen und der im Strafverfahren bestellten Sachverständigen zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 2.

II.

5

Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

6

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf § 10 Abs. 2 SächsPsychKG gestützt und wie folgt begründet:

7

Beim Betroffenen liege eine mittelgradige Intelligenzstörung mit Verhaltensstörungen vor. Diese Erkrankung sei dauerhaft und könne nicht geheilt werden. Dies ergebe sich u. a. aus dem von der Verwaltungsbehörde vorgelegten amtsärztlichen psychiatrischen Gutachten und werde von keinem der Beteiligten in Abrede gestellt. Unstreitig sei auch, dass der Betroffene in der Vergangenheit im Zustand der Schuldunfähigkeit Sexualstraftaten begangen habe. Deshalb habe der Beteiligte zu 2 selbst noch im Schreiben vom 9. Dezember 2011 ausgeführt, auch er sehe keine Alternative zu einer geschlossenen öffentlichrechtlichen Unterbringung des Betroffenen, sofern keine strafrechtliche Unterbringung erfolge. Entgegen der im Beschwerdeverfahren vertretenen Auffassung des Beteiligten zu 2 ergebe sich auch nichts anderes im Hinblick auf die Ausführungen der Sachverständigen im Strafverfahren. Diese habe dort zwar ausgeführt, dass eine Fremdgefährdung durch den Betroffenen unter den erforderlichen Unterbringungsbedingungen nicht gegeben sei. Diese Einschätzung der Sachverständigen nehme aber ersichtlich auf ihre vorangegangenen Ausführungen Bezug, wonach der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung einer umfangreichen Betreuung, Fürsorge und Beaufsichtigung bedürfe, die nur unter den Bedingungen einer intensiv-pädagogischen Wohnform zu erreichen wäre. Derzeit könne die von der Sachverständigen für notwendig gehaltene intensive Betreuung des Betroffenen aber nur im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung gewährleistet werden.

8

2. Die angegriffenen Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Das Beschwerdegericht durfte nicht ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Beschwerde des Beteiligten zu 2 entscheiden.

9

a) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Nach § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 18). Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen, wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sachverständige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erfolgen, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 19 ff. mwN).

10

Dies gilt gemäß § 11 SächsPsychKG auch für die öffentlichrechtliche Unterbringung nach § 10 Abs. 2 SächsPsychKG.

11

Unterlässt das Erstgericht - wie im vorliegenden Fall - diese zwingend gebotene Verfahrenshandlung, ist sie vom Beschwerdegericht nachzuholen. Denn im Beschwerdeverfahren findet nicht nur eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung statt. Das Beschwerdegericht tritt vielmehr in vollem Umfang an die Stelle des Erstgerichts (vgl. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache neu (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 256/10 - FamRZ 2011, 637 Rn. 10).

12

b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall vor seiner Entscheidung ein Sachverständigengutachten zur Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Betroffenen einholen müssen. Eine erneute Begutachtung des Betroffenen war für die Entscheidung in der Hauptsache, anders als bei Erlass einer einstweiligen Anordnung, weder im Hinblick auf das von der Verwaltungsbehörde ihrem Antrag beigefügte amtsärztliche psychiatrische Gutachten noch auf die Anhörung der Sachverständigen im Termin vom 2. Mai 2012 entbehrlich.

13

aa) § 321 Abs. 1 FamFG sieht im Hinblick auf die damit einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheitsrechte des Betroffenen zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor. Dadurch soll eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung zur Feststellung der medizinischen Voraussetzungen einer Unterbringung sichergestellt werden (Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 321 Rn. 1). Lediglich bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 312 Nr. 2 FamFG kann auch in der Hauptsache an die Stelle eines Gutachtens ein ärztliches Zeugnis treten. Die Verpflichtung des Gerichts, ein Gutachten einzuholen, entfällt auch nicht in den Fällen, in denen die zuständige Verwaltungsbehörde nach den landesrechtlichen Bestimmungen für die öffentliche Unterbringung dem Unterbringungsantrag ein ärztliches Gutachten beifügen muss (vgl. § 13 Abs. 1 SächsPsychKG). Da dieses Gutachten nicht vom Gericht in Auftrag gegeben wurde, kann es nicht als das von § 321 Abs. 1 FamFG geforderte Gutachten angesehen werden (vgl. Bohnert in BeckOKFamFG [Stand: 1. September 2012] § 321 Rn. 21; Jürgens/Maschner Betreuungsrecht 4. Aufl. § 321 FamFG Rn. 4; MünchKommZPO/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 321 FamFG Rn. 9).

14

bb) Den vorstehenden Anforderungen wird auch die Anhörung der für das Strafverfahren bestellten Sachverständigen durch das Beschwerdegericht im Termin vom 2. Mai 2012 nicht gerecht.

15

Zum einen fehlt es schon an ihrer - jedenfalls ausdrücklichen - Bestellung zur Sachverständigen für das vorliegende Verfahren. Selbst wenn man eine konkludente Bestellung unterstellte, mangelte es jedenfalls an einer entsprechenden Bekanntgabe an den Betroffenen vor Beginn der Begutachtung. Außerdem fehlte es an einer Untersuchung des Betroffenen nach Bestellung der Ärztin zur Sachverständigen und vor Erteilung des Gutachtens. Die vom Gericht verwerteten Erkenntnisse, die die Sachverständige über den Betroffenen gewonnen hatte, beruhen ausschließlich auf ihrer Tätigkeit als behandelnde Ärztin in der Klinik und nicht als Sachverständige. Deshalb konnte der Betroffene keine Kenntnis davon haben, dass die von ihr durchgeführten Untersuchungen einer späteren Begutachtung dienen sollten.

16

Schließlich genügen die von der Sachverständigen in der Anhörung getätigten Äußerungen nicht den an ein Gutachten im Sinne des § 321 FamFG zu stellenden Anforderungen. Es mangelt sowohl an einer Darstellung der von ihr durchgeführten Untersuchungen als auch an einer entsprechenden wissenschaftlichen Begründung.

17

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist daher aufzuheben. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen erforderlich sind.

Dose

Vézina

Klinkhammer

Günter

Botur

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