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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.09.2012, Az.: 5 StR 363/12
Anforderungen an eine ausdrückliche Beauftragung i.S.d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.09.2012
Referenz: JurionRS 2012, 23895
Aktenzeichen: 5 StR 363/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hamburg - 20.04.2012

Fundstellen:

BGHSt 58, 10 - 15

ArbRB 2012, 371

AuA 2013, 709

AuR 2013, 88-89

JZ 2013, 10

NJW 2012, 3385-3387

NJW-Spezial 2012, 697-698

NStZ 2013, 408-409

PStR 2013, 4-5

RÜ 2013, 94

StraFo 2012, 506-507

StV 2013, 381-382

wistra 2012, 2

wistra 2012, 468-470

Verfahrensgegenstand:

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

BGH, 12.09.2012 - 5 StR 363/12

Amtlicher Leitsatz:

StGB § 14 Abs. 2 Nr. 2

Zu den Anforderungen an eine ausdrückliche Beauftragung im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2012 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Revision des Angeklagten D. K. gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. April 2012 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

  2. 2.

    Auf die Revision der Angeklagten M. K. wird das vorbezeichnete Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO

    1. a)

      dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte wegen Beihilfe in 50 Fällen zum Vorenthalten und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt wird, und

    2. b)

      im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

      Ihre weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

  3. 3.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 50 Fällen zu Gesamtgeldstrafen von 450 Tagessätzen verurteilt und jeweils 30 Tagessätze der verhängten Geldstrafen als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als bezahlt bestimmt. Während die Revision des Angeklagten D. K. im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet ist, führt diejenige seiner Ehefrau M. K. zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist auch sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2

Nach den Feststellungen war der Angeklagte D. K. Geschäftsführer der A. I. GmbH (im Folgenden: A. ), die unter anderem vertraglich die Reinigung und Überwachung von insgesamt elf Toilettenanlagen in großen Kaufhäusern in Hamburg und Umland übernommen hatte. Der A. oblag dabei, die Toiletten in den Warenhäusern ständig in einem sauberen und hygienisch einwandfreien Zustand zu halten, auftretende Verschmutzungen unverzüglich zu beseitigen sowie die Toilettenanlagen zu desinfizieren. Eine Vergütung für die A. haben die Kaufhäuser ausdrücklich ausgeschlossen. Das von der A. eingesetzte Personal (26 Mitarbeiter) wurde zunächst nach dem für das Gebäudereinigerhandwerk geltenden Mindestlohn beschäftigt. Um allerdings Lohnkosten zu sparen, wurden später in die Arbeitsverträge Regelungen aufgenommen, wonach - obwohl die Mitarbeiter ständig vor Ort sein mussten - lediglich die tatsächliche "Putzzeit" als Arbeitszeit zählte. Diese wurde im Regelfall mit vier Stunden pro Woche pauschal bestimmt und mit 125 ? monatlich vergütet. Ab dem 1. April 2009 wurden schließlich neue Arbeitsverträge geschlossen, die Arbeitszeit unwesentlich heraufgesetzt und nunmehr als Entlohnung 128 ? pro Monat vorgesehen. Zusätzlich erhielten die Arbeitnehmer einen Anteil von dem "Tellergeld", dem von den Benutzern freiwillig hinterlassenen Trinkgeld für die Benutzung der Toilettenanlage. Die A. meldete die Beschäftigten lediglich mit der offiziell gewährten Entlohnung bei der Minijob-Zentrale an und entrichtete auf dieser Basis Beiträge. Die Einkünfte der Arbeitnehmer aus dem "Tellergeld" wurden verschwiegen.

3

Das Landgericht hat in 50 Fällen eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB angenommen, weil die Angeklagten im Zeitraum 1. Juli 2007 bis 31. Juli 2009 jeweils monatlich gegenüber der AOK und unzutreffende Meldungen abgegeben und somit Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt knapp 128.000 ? verkürzt haben. Dadurch, dass die A. dem Mindestlohn entsprechend den im Gebäudereinigungsgewerbe geltenden Tarifen unterliege, hätten sie nach diesen Regelungen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile an die für die Beschäftigten zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen entrichten müssen. Die Arbeitnehmer könnten dabei mit ihrer gesamten vor Ort eingesetzten Arbeitszeit den Mindestlohn beanspruchen, der zugleich die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge bilde. Der Angeklagte K. sei als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der A. Arbeitgeber im Sinne des § 266a StGB. Die Angeklagte M. K. treffe diese Pflicht nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB, weil sie von ihrem Ehemann beauftragt worden sei, den Personalsektor eigenverantwortlich allein abzuwickeln, wobei die Personalverhältnisse in enger Abstimmung zwischen den Eheleuten geregelt worden seien.

II.

4

Die Einwendungen gegen das landgerichtliche Urteil sind unbegründet, soweit sie die Geltung des Mindestlohns für die Arbeitsverhältnisse betreffen. Die Revision der Angeklagten M. K. hat aber insoweit Erfolg, als das Landgericht angenommen hat, diese sei Beauftragte im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Dies führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der gegen sie verhängten Strafe.

5

1. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Strafkammer ohne Rechtsverstoß angenommen, dass die Arbeitnehmer dem Mindestlohn für Gebäudereiniger unterliegen. Sie hat dabei weder die in den Verträgen vorgegebene noch die tatsächlich erbrachte Reinigungszeit, sondern die gesamte von den Arbeitnehmern vor Ort abgeleistete Zeit als unter den Mindestlohn fallende Arbeitszeit gewertet. Nach den Verträgen mit den Kaufhäusern waren nämlich die Überwachung der Toiletten und deren unverzügliche Reinigung im Falle ihrer Verschmutzung geschuldet. Diesen Aufgabenbereich hatten die von der A. Beschäftigten zu erfüllen.

6

a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die bei der A. Beschäftigten im Tatzeitraum einen Anspruch auf den Mindestlohn für gewerblich Beschäftigte im Gebäudereinigungshandwerk hatten. Grundlage für den Mindestlohn im Tatzeitraum war - wie das Landgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat - der Lohntarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung, der mit Wirkung vom 1. April 2004 für allgemeinverbindlich erklärt wurde (vgl. dazu auch BAGE 122, 244 [BAG 09.05.2007 - 4 AZR 757/06] Rn.12). Durch die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Gebäudereinigungshandwerk vom 27. Februar 2008 wurden dann der Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung vom 9. Oktober 2007 für bindend erklärt und der Mindestlohn von 7,87 ? mit Wirkung vom 1. März 2008 auf 8,15 ? erhöht (BAnZ 2008, S. 762).

7

Entgegen der Auffassung der Verteidigung unterfallen die Arbeitnehmer der A. diesen Regelungen im Gebäudereinigungshandwerk. Die Gebäudereinigung ist nach § 18 Abs. 2 HwO ein zulassungsfreies Handwerk, das unter Nr. 33 in der Anlage B genannt ist. Die A. war deshalb auch von dem vorgenannten Tarifvertrag erfasst, der von der Gebäudereinigerinnung abgeschlossen wurde (vgl. hierzu auch Kluth, GewArch 2009, 329; Schiefer/Galperin, DB 2009, 1238). Im Verhältnis zu den Kaufhäusern als den Auftraggebern der A. wurden die Reinigungsarbeiten jedenfalls handwerksmäßig ausgeübt. Danach waren die Toiletten ständig sauber zu halten und zu desinfizieren. Dies stellt - wie das Landgericht umfassend und rechtsfehlerfrei ausgeführt hat - keine Reinigungstätigkeit einfacher Art dar.

8

Damit kommt es nicht auf die Frage an, ob einfache Reinigungsarbeiten der Gebäudereinigung, die auch als "Reinigung nach Hausfrauenart" bezeichnet werden, überhaupt unter die Mindestlohnregelungen fallen (so Schiefer/Galperin, Kluth aaO; zweifelnd Rieble, DB 2009, 789). Es ist weiterhin unerheblich, dass die A. in ihren geänderten Arbeitsverträgen jeweils "Reinigung nach Hausfrauenart" als Vertragsgegenstand bezeichnet hat. Maßgeblich ist nämlich nicht die Bezeichnung der Tätigkeit in den Arbeitsverträgen, sondern ihre tatsächliche Ausgestaltung, wie sie auch vertraglich vorausgesetzt wurde (vgl. BAG, Urteil vom 20. Januar 2010 - 5 AZR 106/09, ZTR 2010, 424 Rn. 18). Hier mussten die Arbeitnehmer die gegenüber den Kaufhäusern geschuldete professionelle Reinigung der Toiletten und die Gewährleistung von Sauberkeit und Hygiene erbringen. Dieses Anforderungsprofil war - ungeachtet der individuellen Vorkenntnisse der einzelnen Arbeitnehmer - nicht mit einer "Reinigungstätigkeit nach Hausfrauenart", sondern nur handwerksmäßig zu erfüllen (vgl. auch BAG, Urteil vom 20. September 1989 - 4 AZR 377/89).

9

b) Die von den bei der A. angestellten Reinigungskräften in den Toilettenanlagen zugebrachte Zeit ist in vollem Umfang Arbeitszeit. Ihre Tätigkeit dort hat das Landgericht nicht nur als eine (unter Umständen geringer vergütbare - vgl. BAG EzA BGB 2002, § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 4) Arbeitsbereitschaft, sondern als Vollarbeit gewertet. Nach der Rechtsprechung unterscheidet sich die Arbeitsbereitschaft, die in Zeiten wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung geleistet wird (BAG, Urteil vom 17. Juli 2008 - 6 AZR 505/07, PersV 2009, 27; BAGE 109, 254, 260 [BAG 28.01.2004 - 5 AZR 530/02]) von der Vollarbeitsleistung, die von dem Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsbelastung verlangt. Letzteres trifft auf die Toilettenpflege in Warenhäusern zu. Eine bloß wache Aufmerksamkeit umschreibt das Anforderungsprofil nur unzureichend, weil die Reinigungskraft im Blick auf den in den Toilettenanlagen herrschenden erheblichen Besucherverkehr eine ständige Kontrollaufgabe zu bewältigen hat, die nach den Feststellungen des Landgerichts durch ständige Nachreinigungen immer wieder unterbrochen wurde. Mithin liegt auch keine den Arbeitnehmer weniger beanspruchende bloße Arbeitsbereitschaft vor, weil die hierfür typischen Phasen der Entspannung (vgl. BAG aaO) fehlen. Deshalb hat das Landgericht das Aufgabenfeld der Arbeitnehmer der A. rechtsfehlerfrei als der Vollarbeit "Toilettenreinigung" unterfallende Tätigkeit gewertet, zumal die Beschäftigten gerade nicht - wie von der Verteidigung behauptet - die Möglichkeit einer freien Zeiteinteilung und die Gelegenheit zur Erledigung ihrer eigenen Angelegenheiten hatten.

10

c) Das Landgericht hat die unterste Lohnstufe in Ansatz gebracht. Der dort vorgesehene Mindestlohn hätte den Arbeitnehmern jedenfalls vergütet werden müssen. Er bildet deshalb auch die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Bei Tariflohnunterschreitungen ist die Höhe der Beitragsschuld nämlich nicht nach dem vereinbarten, sondern nach dem geschuldeten Lohn zu berechnen (BSGE 93, 119 [BSG 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R]).

11

d) Es beschwert die Angeklagten nicht, dass der Anteil des den Arbeitnehmern zufließenden "Tellergeldes" vom Landgericht nicht berücksichtigt wurde, das gegenüber den Sozialversicherungsträgern jedoch gleichfalls nicht namhaft gemacht wurde. Das "Tellergeld" dürfte allerdings Lohncharakter aufweisen. Da es den von den Kaufhäusern nicht vergüteten Reinigungsbetrieben zustand, die mit den bei ihnen beschäftigten Reinigungskräften Aufteilungsvereinbarungen trafen, könnte der dem Arbeitnehmer verbleibende Anteil des "Tellergeldes" einen aus dem Arbeitsverhältnis vermittelten Vermögenszuwachs darstellen. Der Senat kann diese Frage aber offen lassen. Läge nämlich das den Arbeitnehmern zugeflossene "Tellergeld" (zusammen mit den regulär bezogenen Einkünften) unter dem Mindestlohn, bliebe dieser maßgebend. Wäre die Summe aus "Tellergeld" und Lohn für die einzelnen Arbeitnehmer höher, würde sich nur der Schuldumfang gegenüber dem vom Landgericht angenommenen erhöhen. Hierin läge dann kein Fehler zum Nachteil der Angeklagten.

12

2. Die Zurechnung der Arbeitgeberstellung nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB zu Lasten der Angeklagten M. K. hält dagegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet wurden.

13

a) Es bestehen hier schon durchgreifende Bedenken, ob das Landgericht in genügender Form dargestellt hat, dass die Angeklagte ausdrücklich beauftragt wurde. Zwar ist ein solcher Auftrag auch formfrei möglich (vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 34). Er muss jedoch zweifelsfrei erfolgen und ausreichend konkret sein, damit für den Beauftragten das Ausmaß der von ihm zu erfüllenden Pflichten eindeutig erkennbar ist. Hierzu enthält das landgerichtliche Urteil indessen keine Ausführungen. Es beschränkt sich auf die Feststellung, dass eine Beauftragung erfolgt ist. Zu deren näherem Inhalt sowie zu den Umständen dieser Beauftragung verhält es sich nicht. Das Revisionsgericht vermag deswegen nicht zu prüfen, ob die inhaltlichen Voraussetzungen einer Beauftragung zutreffend angenommen wurden.

14

b) Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt im Übrigen die Annahme einer Beauftragung im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB fernliegend erscheinen. An ihr Vorliegen sind - wie schon die ansonsten nicht zu rechtfertigende Gleichstellung mit Organen und Betriebsleitern (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB) verdeutlicht - strenge Anforderungen zu stellen (vgl. auch Marxen/Böse in Nomos-Kommentar, StGB, 3. Aufl., § 14 Rn. 7 ff.). Mit der Beauftragung wird eine persönliche Normadressatenstellung des Beauftragten begründet, die ihm (strafbewehrt) die Erfüllung betriebsbezogener Pflichten überbürdet. Die bloße Einräumung von Leitungsbefugnissen reicht hierfür ebenso wenig aus wie die Einbeziehung in eine unternehmerische Mitverantwortung (Perron aaO Rn. 35; Marxen/Böse aaO Rn. 60).

15

Entscheidend ist vielmehr, dass gesetzliche Arbeitgeberpflichten in die eigenverantwortliche Entscheidungsgewalt des Beauftragten übergehen (Bosch in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 14 Rn. 16). Im Rahmen einer solchen Prüfung kann indiziell auch von Bedeutung sein, ob der Betrieb aufgrund seiner Größe überhaupt eine personelle Aufteilung der Verantwortlichkeitsbereiche erforderlich macht. In diesem Sinne kann auch der Gedanke der Sozialadäquanz der Beauftragung herangezogen werden (vgl. dazu Regierungsentwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, BT-Drucks. V/1319 S. 65; Perron, aaO, Rn. 36; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 14 Rn. 13; Göhler/Gürtler, 16. Aufl., OWiG, § 9 Rn. 32). Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB führt nämlich zu einer jedenfalls partiellen Verlagerung strafbewehrter Pflichten vom primär zuständigen Organ auf nachgeordnete Mitarbeiter (vgl. Schünemann in LK, 12. Aufl., § 14 Rn. 68). Deshalb darf auch nicht ohne weiteres von der Übertragung von Leitungsbefugnissen auf die Begründung einer Normadressatenstellung geschlossen werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob - wie etwa im Hinblick auf die betriebliche Struktur oder die Vorerfahrungen der handelnden Personen - eine sachliche Notwendigkeit für eine derart weitgehende Aufgabenübertragung bestanden haben könnte. Je weniger eine solche erkennbar ist, umso ferner liegt es, eine Übertragung genuiner Arbeitgeberpflichten anzunehmen. Die sinnvolle Aufgabenabschichtung zwischen Organ und Beauftragtem liegt dem Tatbestand des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB als Grundidee zugrunde (vgl. BT-Drucks. 10/318 S. 15), weil es für den Beauftragten regelmäßig nur unter dieser Voraussetzung möglich sein wird, im Aufgabenbereich des eigentlichen Organs selbständig zu handeln (vgl. Schünemann, aaO, Rn. 62). Fehlt dem mit solchen Aufgaben Betrauten die eigene Entscheidungsfreiheit, dann handelt er nicht wie ein organschaftlicher Vertreter, sondern allenfalls als dessen Gehilfe.

16

Im vorliegenden Fall mag zwar die Angeklagte M. K. für den Personalsektor, was Einstellungen, Arbeitsanweisungen und Vereinnahmung des "Tellergeldes" angeht, zuständig gewesen sein, weil ihr der Mitangeklagte insoweit eine Leitungsbefugnis eingeräumt hat. Dies lässt aber noch nicht den Schluss zu, dass sie damit sämtliche mit den Personalangelegenheiten zusammenhängenden betrieblichen Pflichten übernommen hat. Hiergegen spricht entscheidend, dass dem Angeklagten D. K. die "Büroarbeit" vorbehalten blieb. Neben finanziellen Fragen kann die "Büroarbeit" aber im Wesentlichen nur die dem Betrieb gegenüber Behörden obliegenden Aufgaben betroffen haben, wozu im hervorgehobenen Maße auch die Erfüllung der Arbeitgeberpflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern zählt. Nach den Urteilsfeststellungen beschränkte sich die Rolle der Angeklagten M. K. vorrangig auf diejenige einer fachlichen Vorgesetzten gegenüber dem Reinigungspersonal. Dies genügt aber nicht den Anforderungen an eine Beauftragung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Dasselbe gilt für den Umstand, dass beide Angeklagte als Eheleute ersichtlich vertrauensvoll zusammengearbeitet haben.

17

3. Aus den gleichen Gründen scheidet auch eine Qualifizierung der Angeklagten als "Teilbetriebsleiterin" im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB aus. Da es für diese Zurechnungsvorschrift keiner ausdrücklichen Beauftragung bedarf, sondern sich die Übertragung auch konkludent aus der Betrauung mit der vollständigen oder teilweisen Leitung des Betriebs ergibt (BGH, Urteil vom 4. Juli 1989 - VI ZR 23/89, DB 1989, 2272), können die inhaltlichen Voraussetzungen im Vergleich zur ausdrücklichen Beauftragung im Sinne der Nr. 2 jedenfalls nicht schwächer sein (vgl. auch Radtke in MK, StGB, 2. Aufl., § 14 Rn. 96).

18

4. Der Senat sieht hier allerdings von einer Zurückverweisung ab. Es erscheint ausgeschlossen, dass sich im vorliegenden Fall eine Beauftragtenstellung der Angeklagten M. K. in einem neuen tatrichterlichen Verfahren noch erweisen ließe. Auf der Grundlage der Feststellungen liegt aber sicher eine Beihilfe der in vollem Umfang in das Tatgeschehen einbezogenen Angeklagten zu jedem der einzelnen Fälle vor, weil sie die Arbeitnehmer entsprechend eingesetzt und überwacht, mithin also für den Arbeitsablauf Sorge getragen hat. Der Senat kann dabei ausschließen, dass sich die umfänglich geständige Angeklagte gegen den Vorwurf der Beihilfe anders als geschehen hätte verteidigen können.

III.

19

Die Umstellung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Feststellungen zum Strafausspruch, die von der dem Schuldspruch zugrunde liegenden fehlerhaften Würdigung unberührt bleiben, können allerdings aufrechterhalten werden. Das neue Tatgericht ist aber nicht gehindert, neue Feststellungen zu treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Dies schließt auch die Befugnis ein, Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, die eine Anpassung der bislang rechtsfehlerfrei bemessenen Tagessatzhöhe erfordern.

Raum
Schaal
Schneider
König
Bellay

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