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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 26.01.2012, Az.: V ZB 234/11
Zulässigkeit eines Haftantrags gegenüber einer syrischen Staatsangehörigen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 26.01.2012
Referenz: JurionRS 2012, 11086
Aktenzeichen: V ZB 234/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Hamburg-Mitte - 27.09.2011 - AZ: 219g XIV 332/11

LG Hamburg - 18.10.2011 - AZ: 329 T 81/11

BGH, 26.01.2012 - V ZB 234/11

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Eine Sicherungshaft zur Abschiebung darf nicht angeordnet werden, wenn es an einem zulässigen Haftantrag fehlt. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht, insbesondere auch Tatsachen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer enthält.

2.

Der Umstand, dass die Abschiebung eines Betroffenen nach Italien und damit in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union beabsichtigt ist, macht die Begründung der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer nicht entbehrlich. Der Haftantrag muss Ausführungen dazu enthalten, dass Italien zur Rückübernahme des Betroffenen verpflichtet ist, und für diesen Fall auch die Abschiebung des Betroffenen fristgerecht möglich ist.

3.

Dass die Abschiebung eines Betroffenen tatsächlich innerhalb des beantragten Haftzeitraums durchgeführt worden ist, ändert an der Unzulässigkeit des Haftantrags nichts. Zwar hat der Senat für eine fehlende Prognose entschieden, dass aus den späteren Abläufen auf den mutmaßlichen Inhalt einer gebotenen, aber unterlassenen Prognose geschlossen werden kann mit der Folge, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auswirkt . Ein unzulässiger Antrag wird aber durch den späteren tatsächlichen Geschehensablauf nicht zulässig.

4.

Wenn die beteiligte Behörde den Begründungsmangel auch nicht, was für die Zukunft möglich gewesen wäre, durch eine Nachholung geheilt hat, darf das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 27. September 2011 und der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 18. Oktober 2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Die Betroffene, eine syrische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann mehrmals, zuletzt am 20. Februar 2011, in das Bundesgebiet ein. Ihren unter Angabe eines falschen Namens gestellten Asylantrag wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 25. August 2011 als unzulässig zurück und ordnete gleichzeitig die Abschiebung an. Die für den 27. September 2011 gemeinsam mit ihrem Ehemann beabsichtigte Abschiebung nach Italien wurde nicht durchgeführt, weil dieser sich selbst eine Verletzung zugefügt hatte.

2

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 27. September 2011 hat das Amtsgericht am selben Tag gegen die Betroffene die Sicherungshaft bis zur Abschiebung, längstens bis zum 27. Oktober 2011, angeordnet.

3

Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde will die Betroffene nach der am 20. Oktober 2011 erfolgten Abschiebung nach Italien die Feststellung erreichen, dass sie die Haftanordnung und die Beschwerdeentscheidung in ihren Rechten verletzt haben.

II.

4

Das Beschwerdegericht meint, der Haftanordnung habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Der Abschiebung habe kein fehlendes Einverständnis der Staatsanwaltschaften Hamburg und Hannover entgegengestanden. Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg sei kein Ermittlungsverfahren gegen die Betroffene geführt worden. Das im Jahr 2010 von der Staatsanwaltschaft Hannover eingeleitete Ermittlungsverfahren sei im Zeitpunkt der Haftantragstellung eingestellt gewesen. Es habe der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vorgelegen. Die beteiligte Behörde habe nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen, indem sie von einer Abschiebung der Betroffenen getrennt von ihrem Ehemann am 27. September 2011 abgesehen habe.

III.

5

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Auf die mit dem Feststellungsantrag ohne Zulassung statthafte (vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist festzustellen, dass die Betroffene durch die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Aufrechterhaltung der Haft durch das Beschwerdegericht in ihren Rechten verletzt worden ist.

6

1. Das Amtsgericht durfte die Haft nicht anordnen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

7

a) Das Vorliegen eines solchen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG enthaltenen Anforderungen an die Begründung entspricht; fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 8, [...]).

8

b) Danach war der Haftantrag jedenfalls deshalb unzulässig, weil er entgegen der Regelung in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG keine Tatsachen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer enthielt. Zwar heißt es in dem Antrag, die Dauer der Haft berücksichtige, dass zunächst ein erneutes Rückübernahmeersuchen über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an Italien gerichtet werden müsse sowie die Begleitbeamten über die Bundespolizeidirektion in Koblenz anzufordern seien, um dann die anschließenden Reisevorbereitungen zu treffen. Aber diese pauschalen Angaben genügen dem Begründungszwang nicht. Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in welches der Betroffene abgeschoben werden soll; anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betroffene Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2011 - V ZB 311/10 Rn. 13, [...]). Dies gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem eine Haftdauer von weniger als drei Monaten beantragt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Mai 2011 - V ZB 265/10, FGPrax 2011, 201 Rn. 9).

9

c) Der Umstand, dass die Abschiebung der Betroffenen nach Italien und damit in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union beabsichtigt war, macht die Begründung der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer nicht entbehrlich. Selbst wenn - was naheliegend ist - die Abschiebung der Betroffenen entsprechend den Regelungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 S. 1, nachfolgend: Dublin II-Verordnung) durchgeführt werden sollte, enthielt der Haftantrag keine Ausführungen dazu, dass Italien zur Rückübernahme der Betroffenen nach dieser Verordnung verpflichtet ist und für diesen Fall auch unter Berücksichtigung der Regelungen in Art. 17 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 7 Dublin II-Verordnung (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 29. September 2010 - V ZB 233/10 Rn. 13, [...], insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 2011, 320) die Abschiebung der Betroffenen bis spätestens zum 27. Oktober 2011 möglich gewesen wäre.

10

d) Dass die Abschiebung der Betroffenen tatsächlich innerhalb des beantragten Haftzeitraums durchgeführt worden ist, ändert an der Unzulässigkeit des Haftantrags nichts. Zwar hat der Senat für eine fehlende Prognose im Sinne von § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG entschieden, dass aus den späteren Abläufen auf den mutmaßlichen Inhalt einer gebotenen, aber unterlassenen Prognose geschlossen werden kann mit der Folge, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auswirkt (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27, 29 Rn. 24). Dies gilt aber nicht in gleichem Maß für den hier zu entscheidenden Fall. Ein unzulässiger Antrag wird durch den späteren tatsächlichen Geschehensablauf nicht zulässig.

11

2. Die beteiligte Behörde hat den Begründungsmangel auch nicht, was für die Zukunft möglich gewesen wäre (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 15, [...]), durch eine Nachholung geheilt. Deshalb durfte das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten.

IV.

12

Die Kostentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Freie und Hansestadt Hamburg als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen zu verpflichten.

13

Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 KostO.

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

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