Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Beschl. v. 24.01.2012, Az.: VIII ZR 158/11
Vorabentscheidungsersuchen hinsichtlich einer Frage bzgl. den Anforderungen an die Transparenz einer nationalen gesetzlichen Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden; Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 148 ZPO analog bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einem dort anhängigen Verfahren
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.01.2012
Referenz: JurionRS 2012, 10700
Aktenzeichen: VIII ZR 158/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Düsseldorf - 28.01.2009 - AZ: 34 O (Kart.) 112/08

OLG Düsseldorf - 13.04.2011 - AZ: VI-2 U (Kart) 3/09

OLG Düsseldorf - 13.04.2011 - AZ: VI-2 U (Kart) 3/09

nachgehend:

BGH - 28.10.2015 - AZ: VIII ZR 158/11

Rechtsgrundlagen:

§ 148 ZPO

§ 4 AVBGasV

Art. 267 Abs. 3 AEUV

BGH, 24.01.2012 - VIII ZR 158/11

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Ein Verfahren vor dem BGH ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einem dort anhängigen Parallelverfahren auszusetzen, das auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Senats in einer gleichgelagerten Revisionssache hin eröffnet worden ist.

2.

Der Senat kann unter Beachtung seiner Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen. Hieran ändert nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren bis nach der Urteilsverkündung in anderen gleichgelagerten Fällen ausgesetzt hat. Die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren würde beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt wird.

3.

Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt, genügt es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger, Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger

beschlossen:

Tenor:

Das vorliegende Verfahren wird gemäß § 148 ZPO analog bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-359/11 ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, ein regionales Gasversorgungsunternehmen, beliefert den Beklagten seit 2002 leitungsgebunden mit Erdgas. Sie änderte den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas zwischen Oktober 2004 und April 2007 mehrfach; der Beklagte erhob hiergegen Widerspruch. Mit ihrer Klage hat die Klägerin unter anderem die Zahlung des rückständigen Betrags aus den Jahresabrechnungen für die Jahre 2004 bis 2008 begehrt. Das Landgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

2

Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das Landgericht - den Beklagten als Tarifkunden qualifiziert und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Klägerin ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV zugestanden habe. Die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme als billig im Sinne des § 315 BGB angesehen.

3

Mit seiner Revision wendet sich der Beklagte gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als Tarifkundenvertrag und bezweifelt ferner, ob die im Tarifkundenverhältnis geltenden gesetzlichen Preisänderungsrechte des § 4 AVBGasV (beziehungsweise § 5 GasGVV) den europarechtlichen Transparenzvorgaben genügen. Letztlich erhebt der Beklagte Einwände gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Billigkeitsprüfung.

II.

4

Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-359/11 auszusetzen.

5

1. Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.[BGH 18.05.2011 - VIII ZR 71/10]) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:

6

Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

7

2. Diese Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich.

8

3. Der Senat kann daher unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (vgl. hierzu BAG, NJW 2011, 1836, 1837 [BAG 20.05.2010 - 6 AZR 481/09 (A)]). Hieran ändert nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.

9

Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, BGHZ 162, 373, 378). Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt ein grundlegendes Instrument dar, um den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zu verwirklichen und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (BPatG, GRUR 2002, 734, 735 [BPatG 16.04.2002 - 33 W (pat) 25/01]). Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt (BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, aaO), genügt es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.

10

4. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise vgl. auch BAG, aaO S. 1836 f.; BAG, Beschlüsse vom 5. Juni 1984 - 3 AZR 168/81, [...]; vom 6. November 2002 - 5 AZR 279/01 (A), [...]; BPatG, aaO S. 734 ff.; noch offen gelassen von BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, aaO).

Ball

Dr. Milger

Dr. Hessel

Dr. Fetzer

Dr. Bünger

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.