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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 29.11.2011, Az.: XI ZR 50/11
Anspruch eines Kunden gegen eine Bank auf Rückabwicklung der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds sowie auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.11.2011
Referenz: JurionRS 2011, 31363
Aktenzeichen: XI ZR 50/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hamburg - 05.11.2009 - AZ: 309 O 320/08

OLG Hamburg - 22.12.2010 - AZ: 13 U 233/09

BGH, 29.11.2011 - XI ZR 50/11

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Im Rahmen ist eines Anlageberatungsvertrag ist eine Bank verpflichtet, über an sie fließende Rückvergütungen aus Vertriebsprovisionen aufzuklären.

2.

Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn voraus, das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen einer Partei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht berücksichtigt hat.

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Wiechers, die Richterin Mayen und die Richter Dr. Grüneberg, Maihold und Pamp

am 29. November 2011

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 22. Dezember 2010 in der Fassung der Berichtigungsbeschlüsse vom 10. Januar 2011 und 24. Februar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenientin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 22.366,82 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der beklagten Bank die Rückabwicklung der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds und Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung.

2

Der Kläger ist seit August 1995 Kunde der Beklagten. Am 27. Oktober 1995 zeichnete er auf Empfehlung des Zeugen S. , eines Mitarbeiters der Beklagten, eine Beteiligung in Höhe von 50.000 DM an dem geschlossenen Immobilienfonds D. (im Folgenden: Fonds). Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Frage, ob dem Kläger drei Tage zuvor der Anlageprospekt ausgehändigt worden war. Der Zeuge S. führte mit dem Kläger jedenfalls eine Prognoseberechnung durch. Die Beklagte erhielt für die Vermittlung der Beteiligung das von dem Kläger an die Fondsgesellschaft gezahlte Agio von 5%. In der Folgezeit erwirtschaftete der Fonds jedoch Verluste, so dass entgegen den Angaben im Prospekt keine Ausschüttungen erfolgten. In den jährlichen Rechenschaftsberichten wurde der Kläger über die wirtschaftliche Situation des Fonds wahrheitsgemäß informiert.

3

Mit der im August 2008 eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung von 22.366,82 € nebst Zinsen, das ist die Beteiligungssumme von 50.000 DM nebst Agio (= 26.842,82 €) abzüglich erlangter Steuervorteile von 4.476 €, und die Zahlung von weiteren 16.055,36 € nebst Zinsen als entgangenen Gewinn aus einer Alternativanlage in Bundesschatzbriefen, jeweils Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte an dem Fonds, ferner die Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten sowie die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz aller weiteren und zukünftigen Schäden des Klägers im Zusammenhang mit der Fondsbeteiligung verpflichtet ist. Der Kläger ist der Ansicht, dass zwischen ihm und der Beklagten ein Beratungsvertrag zustande gekommen sei. Er behauptet, von der Beklagten nicht über die Risiken des Fonds mit der Gefahr eines Totalverlusts aufgeklärt worden zu sein. Die Beklagte habe auch den Fondsprospekt nicht auf seine Plausibilität überprüft; eine solche Prüfung hätte ergeben, dass die Wirtschaftlichkeit des Fonds nicht plausibel gewesen sei. Schließlich habe der Zeuge S. ihn nicht darüber informiert, dass die Beklagte das Agio als Rückvergütung erhalte und insgesamt eine Vergütung in Höhe von mindestens 8% der Beteiligungssumme erhalten habe. Bei richtiger Beratung hätte er den Betrag - wie auch sein weiteres Vermögen - in festverzinslichen Wertpapieren, nämlich in Bundesschatzbriefen Typ B angelegt und hieraus von 1996 bis 2008 einen Gewinn von 16.055,36 € erzielt. Die Beklagte behauptet, ein erstes Beratungsgespräch habe bereits am 24. Oktober 1995 stattgefunden, bei dem der Kläger den Fondsprospekt erhalten habe; dabei seien ihm auch ausführlich die Risiken des Fonds erläutert worden. Die Prognoseberechnung sei unverbindlich gewesen. Sie habe den Kläger auch darauf hingewiesen, keine Plausibilitätskontrolle durchgeführt zu haben. Als Vergütung habe sie lediglich das 5%-ige Agio erhalten, was der Zeuge S. dem Kläger offenbart habe. Schließlich hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Die Vorinstanzen haben der Klage mit den Zahlungsanträgen - mit Ausnahme der außergerichtlichen Anwaltskosten - stattgegeben und den Feststellungsantrag abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Zwischen den Parteien sei stillschweigend ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Ob die Beklagte - wie das Landgericht angenommen habe - ihre Pflicht zur Aufklärung über das Totalverlustrisiko verletzt habe, sei zweifelhaft, könne aber offen bleiben. Jedenfalls habe es die Beklagte pflichtwidrig unterlassen, dem Kläger die erhaltene Rückvergütung in Form des zunächst an die Fondsgesellschaft zu zahlenden Agios zu offenbaren. Insoweit sei unstreitig, dass der Zeuge S. von der Rückvergütung gar nicht gewusst habe und deshalb auch nicht über deren Rückfluss habe aufklären können. Dies ergebe sich auch nicht aus dem Prospekt, der nur allgemein darauf hinweise, dass das Agio "zur Abdeckung weiterer Eigenkapitalbeschaffungskosten" zur Verfügung stehe.

6

Diese Pflichtverletzung sei auch kausal für die Anlageentscheidung des Klägers gewesen. Hierfür streite bereits die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Dass sich der Kläger in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte, sei von der Beklagten nicht dargelegt worden. Die Beklagte treffe auch ein Verschulden. Der Schadensersatzanspruch sei auch nicht verjährt. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass der Kläger so rechtzeitig von der Rückvergütung Kenntnis erlangt habe, dass die Verjährungsfrist bei Eingang der Klage im August 2008 bereits verjährt gewesen sei.

7

Schließlich sei in Bezug auf die Schadenshöhe auch davon auszugehen, dass der Kläger bei Nichtzeichnung der Fondsbeteiligung als Alternativanlage Bundesschatzbriefe Typ B erworben hätte.

8

Mit Beschluss vom 24. Februar 2011 hat das Berufungsgericht den Tatbestand des Berufungsurteils dahin berichtigt, dass der als unstreitig bezeichnete Umstand, dem Zeugen S. sei die Rückvergütung nicht bekannt gewesen, gestrichen wurde. Dies hat es damit begründet, dass insoweit der Tatbestand unrichtig sei; es habe übersehen, dass die Beklagte unter Beweisantritt vorgetragen habe, dass der Zeuge S. den Kläger über den Erhalt der Rückvergütung aufgeklärt habe.

9

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

10

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515 Rn. 6). Aus demselben Grund ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

11

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass es sich bei der Vergütung, die die Beklagte erhalten hat, um eine - aufklärungspflichtige - Rückvergütung im Sinne der Senatsrechtsprechung handelt.

12

Nach dieser Rechtsprechung ist eine Bank aus dem Beratungsvertrag verpflichtet, über an sie fließende Rückvergütungen aus Vertriebsprovisionen aufzuklären (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 22 f.; Senatsbeschlüsse vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 12 f. [BGH 20.01.2009 - XI ZR 510/07] und vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 20 [BGH 09.03.2011 - XI ZR 191/10]). Aufklärungspflichtige Rückvergütungen sind - regelmäßig umsatzabhängige - Provisionen, die im Gegensatz zu Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, so dass beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen kann, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt, so dass der Anleger das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen kann (Senatsurteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 23; Senatsbeschlüsse vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 12 f. und vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 25).

13

So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat zugestanden, dass ihr die Vergütung aus dem offen ausgewiesenen Agio zugeflossen ist. Das Agio war indes vom Kläger an die Fondsgesellschaft zu zahlen. Dass im Fondsprospekt (S. 15) darauf hingewiesen wird, dass das Agio der Fondsgesellschaft zur Abdeckung weiterer Eigenkapitalbeschaffungskosten zur Verfügung steht, lässt nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, dass und in welcher Höhe die dort namentlich nicht genannte Beklagte an dem Agio teilhaben würde. Selbst wenn man der Textstelle des Prospekts entnehmen könnte, dass auch die Beklagte einen Teil des Agios erhalten sollte, so enthält der Prospekt jedenfalls nicht die - notwendige - Information, in welcher Höhe Rückvergütungen an die Beklagte geflossen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27).

14

2. Das Berufungsgericht hat indes den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es deren unter Beweis gestelltes Vorbringen, sie habe dem Kläger den Erhalt der Rückvergütung offenbart, übergangen hat.

15

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131 [BVerfG 23.06.1999 - 2 BvR 762/98]).

16

b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Beklagten, sie habe den Kläger über die Rückvergütung aufgeklärt, übersehen. Dies hat es im Berichtigungsbeschluss vom 24. Februar 2011 auch eingeräumt und sich allein aus prozessrechtlichen Gründen daran gehindert gesehen, die Gehörsverletzung auch in der Entscheidung selbst nachträglich zu beheben.

17

c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die von den Parteien zu der streitigen Tatsachenfrage angebotenen Beweise erhoben hätte.

18

Die übrigen Anspruchsvoraussetzungen hat der Kläger - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat und von der Beklagten insoweit auch hingenommen wird - schlüssig dargelegt.

19

In Bezug auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung wird sich das Berufungsgericht allerdings noch gegebenenfalls mit der Frage zu befassen haben, ob die Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Umständen auf grober Fahrlässigkeit i.S. des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beruht (zu Begriff und Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit vgl. nur BGH, Urteile vom 23. September 2008 - XI ZR 395/07, WM 2008, 2165 Rn. 14, vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681 Rn. 13 und vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 28, jeweils mwN). Hierfür trägt der Schuldner - hier also die Beklagte - die Darlegungs- und Beweislast (vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Januar 2007 - XI ZR 44/06, BGHZ 171, 1 Rn. 32, vom 3. Juni 2008 - XI ZR 319/06, WM 2008, 1346 Rn. 25 und vom 24. März 2011 - III ZR 81/10, WM 2011, 874 Rn. 10). Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers nicht befasst, sondern lediglich dessen positive Kenntnis von der Rückvergütung verneint. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde die grob fahrlässige Unkenntnis mit den Prospektangaben, die bei genauer Lektüre die Zahlung einer Rückvergütung vermuten ließen, bejahen will, weist der Senat allerdings darauf hin, dass dies allein nicht ausreichend ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 29 ff.).

Wiechers

Mayen

Grüneberg

Maihold

Pamp

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