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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 18.11.2011, Az.: V ZR 232/10
Einordnung einer Kaufpreisrückforderung als Zivilsache nach irrtümlicher Kaufpreiszahlung anstelle lediglich eines Teils nach behördlicher Anordnung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.11.2011
Referenz: JurionRS 2011, 30790
Aktenzeichen: V ZR 232/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Berlin - 15.08.2006 - AZ: 13 O 493/03

KG Berlin - 27.10.2010 - AZ: 11 U 25/06

Rechtsgrundlagen:

Art. 267 AEUV

Art. 1 Abs. 1 VO 44/2001/EG

Art. 6 Nr. 1 VO 44/2001/EG

BGH, 18.11.2011 - V ZR 232/10

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung am 18. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Das Verfahren wird ausgesetzt.

  2. II.

    Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vorgelegt:

    1. 1.

      Ist die Rückforderung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung auch dann eine Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001, wenn ein Bundesland durch eine Behörde angewiesen wird, zur Wiedergutmachung einen Teil des Erlöses aus einem Grundstückskaufvertrag an den Geschädigten auszuzahlen, stattdessen aber versehentlich den ganzen Kaufpreis an diesen überweist?

    2. 2.

      Besteht die nach Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 erforderliche enge Beziehung mehrerer Klagen auch, wenn sich die Beklagten auf weitergehende Wiedergutmachungsansprüche berufen, über die nur einheitlich entschieden werden kann?

    3. 3.

      Ist Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 auch auf Beklagte anwendbar, die ihren Wohnsitz nicht in der Europäischen Union haben? Wenn ja: Gilt das auch, wenn dem Urteil im Wohnsitzstaat des Beklagten nach bilateralen Abkommen mit dem Entscheidungsstaat die Anerkennung mangels Zuständigkeit versagt werden könnte?

Gründe

I.

1

J. B. gehörte ein Grundstück auf der Fischerinsel im heutigen Bezirk Mitte im früheren Ostteil von B. , auf dem er einen Uhrengroßhandel betrieb. Er wurde durch das NS-Regime verfolgt und musste deshalb sein Grundstück an einen Dritten verkaufen. Das Grundstück wurde später durch die DDR enteignet und mit anderen staatlichen Grundstücken zusammengelegt. Das so entstandene Gesamtareal wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands Eigentum teils des Landes Berlin, teils der Bundesrepublik Deutschland. Diese teilten das Gelände nicht untereinander auf, sondern verkauften es am 19. Dezember 1997 an einen Investor. Das war nicht ohne weiteres möglich, da die Beklagten zu 1 bis 10 die Rückübertragung des früher J. B. gehörenden Teils dieses Geländes nach dem Vermögensgesetz beantragt hatten. Nach diesem Gesetz können unter anderem durch das NS-Regime Geschädigte die Rückgabe des ihnen entzogenen Vermögens verlangen. Solange über diese Ansprüche nicht entschieden ist, dürfen die betroffenen Grundstücke nicht verkauft werden. Davon galt in dem hier maßgeblichen Zeitraum eine Ausnahme für den Fall, dass mit dem Verkauf Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen oder Wohnraum ermöglicht werden sollten. In einem solchen Fall durfte das Grundstück verkauft werden. Den Geschädigten war dann nach Feststellung ihrer Ansprüche nicht das Grundstück zurückzuübertragen, sondern der Verkaufserlös auszukehren, mindestens aber der Verkehrswert in Geld auszuzahlen. Von dieser Möglichkeit machten das Land Berlin und die Bundesrepublik Deutschland bei dem Verkauf an den Investor Gebrauch. Die zuständige Behörde stellte nach dem Verkauf fest, dass die Ansprüche begründet waren, und wies das Land Berlin, das auch für die Bundesrepublik Deutschland handelte, an, den Beklagten zu 1 bis 10 den Teil des Verkaufserlöses, der dem Anteil des Grundstücks von J. B. an dem Gesamtareal entsprach, auszukehren. Bei der Durchführung dieser Auszahlung unterlief dem Land Berlin ein Fehler. Es überwies dem mit der Vertretung der Beklagten zu 1 bis 10 beauftragten Rechtsanwalt, dem Beklagten zu 11, nicht nur diesen Kaufpreisanteil, sondern den gesamten Kaufpreis, den dieser unter die Beklagten zu 1 bis 10 verteilte. Das Land Berlin fordert im vorliegenden Rechtsstreit von den Beklagten zu 1 bis 10 den überzahlten Betrag, den es auf 2,5 Mio. € beziffert, zurück. Es hat sie alle und zusätzlich auch den Beklagten zu 11, dem es im Zusammenhang mit der Weiterleitung des Betrags eine unerlaubte Handlung vorwirft, vor dem Landgericht Berlin verklagt. Die Beklagten wenden unter anderem ein, das Landgericht Berlin sei für einen Teil von ihnen, nämlich die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10, international nicht zuständig. Sie könnten im Übrigen von dem klagenden Land nach der eingangs geschilderten Vorschrift eine über den Anteil an dem Verkaufserlös hinausgehende Zahlung verlangen, weil der Verkaufserlös geringer sei als der Verkehrswert des Geländes. Die Klage sei daher auch in der Sache nicht begründet.

2

Das Landgericht hat die Klage mit einem Teilurteil gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union zugelassenen Revision möchte der Kläger erreichen, dass das Landgericht über seine Ansprüche auch gegen diese Beklagten in der Sache entscheidet.

II.

3

Das Berufungsgericht meint, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei für die Klage gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 nicht gegeben. Aus Art. 6 Nr. 1 der EG-VO Nr. 44/2001 folge sie nicht, weil diese Verordnung nicht anwendbar sei. Bei der Streitigkeit handele es sich nämlich nicht um eine zivilrechtliche, sondern um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die die Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nicht gelte. Die Zahlung dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass sie auf Grund des Bescheids über die Feststellung des Rückgabeanspruchs der Beklagten erfolgt sei. Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei auch nach dem deutschen internationalen Prozessrecht nicht gegeben.

III.

4

1. In dem vorliegenden Zwischenstreit der Parteien geht es nicht um die sachliche Berechtigung der Ansprüche des Klägers, sondern allein darum, ob die deutschen Gerichte auch für die Prüfung der Ansprüche gegen die Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 international zuständig sind. Nach deutschem internationalen Prozessrecht ist die Frage zu verneinen. Das deutsche Recht kennt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, wie ihn Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 vorsieht, nicht. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte könnte sich nach deutschem internationalen Zivilprozessrecht gegenüber den Beklagten zu 3, 5 bis 7, 9 und 10 nur aus dem Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO ergeben. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor. Vermögen in Deutschland haben diese Beklagten nicht. Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte kann sich ihnen gegenüber deshalb nur aus Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 ergeben. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union hat, bei einer Klage gegen mehrere Personen zusammen auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können.

5

2. Diese Zuständigkeit ist nur eröffnet, wenn die Verordnung auf Fälle wie den vorliegenden überhaupt anwendbar ist. Das setzt nach Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 voraus, dass es sich dabei um eine "Zivil- und Handelssache" im Sinne dieser Vorschrift handelt. Das führt zur ersten Vorlagefrage. Sie lautet:

"Ist die Rückforderung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung auch dann eine Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001, wenn ein Bundesland durch eine Behörde angewiesen wird, zur Wiedergutmachung einen Teil des Erlöses aus einem Grundstückskaufvertrag an den Geschädigten auszuzahlen, stattdessen aber versehentlich den ganzen Kaufpreis an diesen überweist?"

6

a) Die Frage stellt sich im vorliegenden Fall deshalb, weil er sowohl Elemente aufweist, die auf eine öffentlichrechtliche Streitigkeit hindeuten, auf welche die Verordnung nicht anwendbar ist, als auch Elemente, die für die Annahme einer Zivil- und Handelssache sprechen.

7

Für die Annahme einer Zivil- und Handelssache spricht der Umstand, dass das Land Berlin den Beklagten Geld überwiesen hat, was es in noch zu klärendem Umfang ihnen nicht schuldet. Ein solcher Fehler kann jedem unterlaufen, nicht nur einer staatlichen Stelle. Die Rückabwicklung der Überzahlung richtet sich nach der Vorschrift über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, die im deutschen Recht in § 812 Abs. 1 BGB geregelt ist und jeden Empfänger einer nicht geschuldeten Leistung zu deren Rückgewähr verpflichtet.

8

Anlass zu der Zahlung war allerdings nicht ein fiskalisches Rechtsgeschäft des Landes Berlin, sondern ein Verwaltungsverfahren. Gegenstand des Verwaltungsverfahrens sind die Wiedergutmachungsansprüche unter anderem der durch das NS-Regime Geschädigten nach dem Vermögensgesetz. Die Geschädigten können unter in diesem Gesetz näher geregelten Voraussetzungen die Restitution der ihnen entzogenen Vermögenswerte verlangen (§§ 2 bis 6 des Vermögensgesetzes). Die Restitution erfolgt im Normalfall in der Weise, dass ihnen durch den Bescheid der mit der Prüfung des Anspruchs befassten Behörde das Eigentum an dem entzogenen Vermögenswert übertragen wird (§§ 33, 34 des Vermögensgesetzes). Der bisherige Eigentümer verliert dabei sein Recht, und zwar wegen der Unrechtmäßigkeit seines Erwerbs, ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten.

9

Das ist aber anders, wenn der Vermögenswert ein Grundstück oder ein grundstücksgleiches Recht ist, das wie hier zur Schaffung von Arbeitsplätzen oder von Wohnraum an einen Investor verkauft wird. In diesem Fall endet das Verwaltungsverfahren vor der Behörde mit der Feststellung, dass der Geschädigte zur Restitution berechtigt ist. Ihm wird dann aber nicht das Grundstück zurückübertragen. Denn dieses ist dem Investor rechtmäßig verkauft und übereignet worden. Dessen Erwerb bleibt unangetastet. Der Geschädigte erhält einen Ausgleich in Geld. Der bisherige Eigentümer muss ihm nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Investitionsvorranggesetzes den gesamten Verkaufserlös auskehren und, wenn diese niedriger ist als der Verkehrswert des verkauften Grundstücks, nach § 16 Abs. 1 Satz 3 des Investitionsvorranggesetzes auch die Differenz zwischen dem Verkaufserlös und dem Verkehrswert. Diesen Anspruch muss der Geschädigte gegenüber dem bisherigen Eigentümer vor den Zivilgerichten geltend machen. Eine Erleichterung gibt es allerdings bei der Geltendmachung des Kaufpreises. Weil dieser einfach festzustellen ist, darf der Geschädigte in dem Verfahren über seinen Anspruch neben der Feststellung seiner Restitutionsberechtigung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 des Investitionsvorranggesetzes auch beantragen, den Eigentümer zur Auszahlung des Verkaufserlöses zu verpflichten. Er muss dann diesen Teil seines Anspruchs nicht mehr vor den Zivilgerichten einklagen. Davon haben die Geschädigten hier Gebrauch gemacht.

10

Das geschilderte Verfahren gilt für jeden Eigentümer mit Restitutionsansprüchen belasteter Grundstücke oder anderen belasteten Vermögens. Betroffene Eigentümer sind vielfach staatliche Stellen, gerade bei durch das NS-Regime Geschädigten aber auch oft private Eigentümer. Für alle gelten die gleichen Regelungen. Die staatlichen Stellen genießen dabei keinerlei Vorrechte und auch keine Sonderstellung. Das gilt auch für die Rückabwicklung von Fehlern bei der Erfüllung der Zahlungsansprüche der Geschädigten, etwa wenn, wie hier, zu viel gezahlt worden ist. Die Rückforderung der Überzahlung ist nicht Teil des Verwaltungsverfahrens, und zwar auch dann nicht, wenn es um die Auskehrung des Verkaufserlöses geht. Der frühere Eigentümer muss den Geschädigten auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Betrags stets vor den Zivilgerichten verklagen. Auch für staatliche Eigentümer wie das Land Berlin gibt es keine Ausnahme. Sie genießen auch hierbei keine Sonderrechte. Sie werden behandelt wie jeder private Eigentümer in gleicher Lage.

11

b) Ob eine solche Fallgestaltung als Zivil- und Handelssache einzuordnen ist, lässt sich nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht eindeutig beantworten. Den Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung bildet das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Niederlande gegen Rüffer (vom 16. Dezember 1980 - Rs. C-814/79, Slg. 1980, 3807 = IPRax 1981, 169). Darin ging es um die Erstattung von Kosten für die Beseitigung eines Schiffswracks in der Emsmündung durch staatliche Stellen. Diese Streitigkeit hat der Gerichtshof als öffentlich-rechtlich qualifiziert, weil es um die Folgen einer strompolizeilichen Maßnahme ging. Maßgeblich war dabei nach dem Verständnis des erkennenden Senats, dass die Wahrnehmung der Strompolizei in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union allgemein als hoheitliche Tätigkeit qualifiziert wird (Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1980 - Rs. 814/79, Slg. 1980, 3807 = IPRax 1981, 169, 173 Rn. 11). Bei nicht in diesem Sinne eindeutigen Fällen hat der Gerichtshof darauf abgestellt, ob der staatlichen Stelle bei der Verfolgung ihrer Ansprüche Sonderrechte zustehen, die einem Privaten in gleicher Lage nicht zu Gebote stünden. Fehlt es daran, bleibt der Streit Zivilsache. Das hat der Gerichtshof etwa für die Haftung des Lehrers einer öffentlichen Schule wegen Verletzung der Aufsichtspflicht bei einer Schulfahrt entschieden (Urteil in der Rechtssache Sonntag gegen Waidmann u.a. vom 21. April 1993 - Rs. C-172/91, Slg. 1993, I-1963 = NJW 1993, 2091, 2092 [EuGH 21.04.1993 - C 172/91] Rn 22 f.). Auf dieser Linie sieht der erkennende Senat auch das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Gemeente Steenbergen gegen Baten (Urteil vom 14. November 2002 - Rs. C-271/00, Slg. 2002, I-10489 = EuZW 2003, 30, 32 [EuGH 14.11.2002 - 5 C 271/00] Rn. 36), in welchem er den Rückgriff einer staatlichen Stelle gegen den privaten Unterhaltsschuldner nicht als Zivilsache eingestuft hat, weil der Staat im konkreten Fall Sonderrechte hatte, auch wenn er sie tatsächlich nicht nutzte. Ohne solche Sonderrechte hat der Gerichtshof den Anspruch aus einer Bürgschaft für staatliche Zollforderungen als Zivilsache eingeordnet (Urteil in der Rechtssache TIARD SA gegen Niederlande vom 15. Mai 2003 - Rs. C-266/01, Slg. 2003, I-4867 = IPRax 2003, 528, 531 [EuGH 15.05.2003 - 5 C 266/01] Rn. 36, 40).

12

3. Sollte der Gerichtshof den vorliegenden Fall als eine Zivilsache einstufen, stellt sich die Frage, ob der Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001) gegeben ist. Dabei muss zwischen den Beklagten zu 5 und 10 einerseits und den Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 andererseits unterschieden werden.

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a) Die Beklagten zu 5 und 10 haben ihren Wohnsitz jeweils in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union. Bei ihnen stellt sich, wenn die Vorlagefrage 1 bejaht wird, nur die Vorlagefrage 2. Sie lautet:

"Besteht die nach Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 erforderliche enge Beziehung mehrerer Klagen auch, wenn sich die Beklagten auf weitergehende Widergutmachungsansprüche berufen, über die nur einheitlich entschieden werden kann?"

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Die genannte Vorschrift der Verordnung lautet:

"Artikel 6

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden:

1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten; ... "

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aa) Wann die Klagen gegen mehrere Personen eine so enge Beziehung haben, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, bestimmt sich wiederum autonom und nicht nach nationalem Recht. Das muss zwar nicht heißen, dass das Vorliegen einer (notwendigen) Streitgenossenschaft nach nationalem Prozessrecht keinen Anhaltspunkt für eine solche Beziehung bieten könnte. Auf die Qualifikation nach nationalem Recht kommt es aber nicht entscheidend an. Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs scheitert die Annahme einer engen Beziehung nicht (mehr) daran, dass die Ansprüche nicht aus derselben Anspruchsgrundlage abgeleitet werden (Urteil vom 11. Oktober 2007 - Rs. C-98/06 - Freeport plc gegen Arnoldsson, Slg. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3704 [EuGH 11.10.2007 - C 98/06] Rn. 38), hier bei den Beklagten zu 1 bis 10 ungerechtfertigte Bereicherung und bei dem Beklagten zu 11 unerlaubte Handlung gemäß § 823 BGB. Maßgeblich ist vielmehr, ob zwischen den Ansprüchen gegen die mehreren Beklagten ein innerer Zusammenhang besteht (Gerichtshof, Urteil vom 11. Oktober 2007 - Rs. C-98/06 - Freeport plc gegen Arnoldsson, Slg. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3704 Rn. 40 f.) und ob zu befürchten ist, dass die Entscheidungen in einzelnen Prozessen gegen die Beklagten bei gleicher Sach- und Rechtslage voneinander abweichen (Gerichtshof, Urteile vom 11. Oktober 2007 - Rs. C-98/06 Slg. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, [EuGH 11.10.2007 - C 98/06] 3704 Rn. 41 und vom 13. Juli 2006 - Rs. C-539/03 - Roche Nederland BV u.a. gegen Primus und Goldenberg, Slg 2006, I-6535 = EuZW 2006, 573, 574 in Verbindung mit Nr. 113 der Stellungnahme des Generalanwalts in dieser Sache). Es soll verhindert werden, dass die Regel des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001, wonach der Schuldner an seinem Wohnsitz zu verklagen ist, unterlaufen wird (Gerichtshof, Urteil in der Rechtssache Khalelis vom 27. September 1988 - Rs. 189/87, NJW 1988, 3088, 3089 Nr. 8 f.). Bejaht hat der Gerichtshof einen solchen inneren Zusammenhang bei der Klage gegen Hauptschuldner und Bürgen (Urteil in der Rechtssache Reisch Montage AG gegen Kiesel Baumaschinen Handels GmbH vom 13. Juli 2006 - C-103/05, Slg. 2006, I-6827 = NJW-RR 2006, 1568, 1569 [EuGH 13.07.2006 - C 103/05]) und für die Klage gegen zwei alternativ als Vertragspartner in Betracht kommende Personen (Urteil vom 11. Oktober 2007 - Rs. C-98/06 - Freeport plc gegen Arnoldsson, Slg. 2007, I-8319 = NJW 2007, 3702, 3705 [EuGH 11.10.2007 - C 98/06]).

16

bb) Gemessen daran könnte hier eine enge Beziehung bestehen. Zwar haften die Beklagten zu 1 bis 10 jeweils als Teilschuldner nur für ihren Anteil an dem verteilten Verkaufserlös und nur, solange sie noch bereichert sind. Sie wenden aber auch ein, dass ihnen ein weitergehender Anspruch auf Entschädigung zusteht. Ein solcher Anspruch besteht nach der bei einem Verkauf zu Investitionszwecken maßgeblichen Entschädigungsregelung in § 16 Abs. 1 des Investitionsvorranggesetzes dann, wenn der Verkaufspreis hinter dem Verkehrswert zurückbleibt. Denn den Geschädigten steht bei einem solchen Verkauf mindestens der Verkehrswert zu. Das ist nach Ansicht der Beklagten hier der Fall und muss im weiteren Verfahren geklärt werden. Darüber hat aber, anders als bei dem Anteil aus dem Kaufpreis, nach § 16 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Investitionsvorranggesetzes nicht die Behörde zu entscheiden, die die Anspruchsberechtigung feststellt, sondern nur das Zivilgericht. Dieses wird die Frage sinnvollerweise für alle Beklagten nur einheitlich entscheiden können. Das spricht dafür, dass der Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 für die Beklagten zu 5 und 10 gegeben ist.

17

b) Die Vorlagefrage 2 stellt sich - bei Bejahung der Vorlagefrage 1 - auch bei den Beklagten zu 3, 6, 7 und 9. Bei ihnen stellen sich aber noch zwei Vorfragen, die in der Vorlagefrage 3 zusammengefasst sind. Sie lauten:

"Ist Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 auch auf Beklagte anwendbar, die ihren Wohnsitz nicht in der Europäischen Union haben? Wenn ja: gilt das auch, wenn dem Urteil im Wohnsitzstaat des Beklagten nach bilateralen Abkommen mit dem Entscheidungsstaat die Anerkennung mangels Zuständigkeit versagt werden könnte?"

18

aa) Die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 haben ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, sondern in Israel. Für sie gelten nach Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Ausnahmen in Art. 22, 23 dieser Verordnung nicht die Regelungen der Verordnung, sondern das internationale Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten. Für den Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 soll aber nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht etwas anderes gelten. Er soll jedenfalls dann auch für nicht in der Europäischen Union ansässige Beklagte maßgeblich sein, wenn einer der Beklagten seinen Wohnsitz in der Europäischen Union hat (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 6 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 6 f.; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 6 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 7; Zöller/Geimer, Kommentar zur (deutschen) Zivilprozessordnung, 29. Aufl., Art. 2 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 10; aA offenbar Musielak/Stadler, Kommentar zur (deutschen) Zivilprozessordnung, 8. Aufl., Art. 6 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 3). Der Gerichtshof hat diese Frage bisher nicht entschieden. Entschieden ist nur, dass einer der Beklagten an seinem Wohnsitz verklagt sein muss (Gerichtshof, Urteil in der Rechtssache Réunion européenne SA u.a. / Spliethoff's Bevrachtingskantoor u.a. vom 27. Oktober 1998 - Rs. C-51/97, Slg. 1998, 6511 = EuZW 1999, 59, 62 Rn. 44). Das ist hier der Fall. Als Argument für die Anwendung des Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 auf außerhalb der Europäischen Union ansässige Beklagte ließe sich anführen, dass der Gerichtsstand nur besteht, wenn eine einheitliche Entscheidung geboten ist und es dann aber auch sachgerecht wäre, alle Beklagten einzubeziehen, um dieses Ziel zu erreichen.

19

bb) In dem Fall, dass der Gerichtshof diese Frage grundsätzlich bejahen sollte, ergibt sich hier noch eine weitere Frage. Es ist nicht sicher, ob das abschließende Urteil in diesem Rechtstreit gegen die Beklagten zu 3, 6, 7 und 9 an ihrem Wohnsitz in Israel vollstreckbar ist. Nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des deutsch-israelischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags vom 20. Juli 1977 (BGBl. 1980 II S. 925) könnte dem Urteil die Anerkennung versagt werden. Danach darf die Anerkennung versagt werden, wenn das erkennende Gericht nach Art. 7 des Vertrags nicht zuständig ist. Diese Vorschrift enthält keinen dem Art. 6 Nr. 1 VO (EG) Nr. 44/2001 entsprechenden Gerichtsstand. Zwingend ist die Versagung der Anerkennung allerdings auch nicht. Man könnte es deshalb dem Kläger überlassen, ob er das Risiko eingeht, dass das erstrittene Urteil im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt wird.

IV.

20

Die im Vorstehenden zitierten Vorschriften des deutschen Rechts und des deutsch-israelischen Vertrags sowie die zitierten Literaturstellen werden dem Gerichtshof gesondert in Kopie übersandt.

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Stresemann

RiBGH Dr. Czub ist wegen Krankheit verhindert zu unterschreiben. Krüger

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