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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.11.2011, Az.: V ZB 162/11
Begründung eines Haftantrags mit einer Berücksichtigung der üblichen Reisevorbereitungen, insbesondere der Passersatzbeschaffung und der Flugbuchung für die Dauer der Haft
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.11.2011
Referenz: JurionRS 2011, 31829
Aktenzeichen: V ZB 162/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Hamburg - 24.11.2010 - AZ: 219h XIV 41909/10

LG Hamburg - 22.06.2011 - AZ: 329 T 100/10

BGH, 17.11.2011 - V ZB 162/11

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Sicherungshaftantrag ist nur dann zulässig, wenn die in § 417 Abs. 2 S. 2 FamFG genannten Punkte in dem Antrag konkret behandelt werden.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 29 - vom 22. Juni 2011 (329 T 100/10) aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 24. November 2010 (219h XIV 41909/10) den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Mai 2010 ohne die erforderlichen Papiere in das Bundesgebiet ein. Er wurde am 31. August 2010 wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Am 30. September 2010 wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt; der Untersuchungshaftbefehl wurde aufgehoben. Diese Entscheidung ist seit dem 8. Oktober 2010 rechtskräftig.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 28. September 2010 ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. September 2010 gegen den Betroffenen Abschiebungshaft "bis zu seiner Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland, längstens jedoch bis acht Wochen nach U-Haftende ..." an. Zuvor hatte die beteiligte Behörde bei der Staatsanwaltschaft um das Einverständnis mit der Abschiebung gebeten, worauf diese mitteilte, dass "keine Bedenken gegen eine Abschiebung nach Erledigung des Strafverfahrens" bestünden.

3

Am 4. Oktober 2010 wurde der Betroffene dem türkischen Generalkonsulat vorgeführt. Bei der dortigen Anhörung bekundete er erstmalig, dass er seine Lebensgefährtin heiraten und demnach im Bundesgebiet verbleiben wolle. Aus diesem Grund war das Generalkonsulat vorerst nicht bereit, Passersatzpapiere auszustellen.

4

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 24. November 2010 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom selben Tag Abschiebungshaft gegen den Betroffenen "bis zu seiner Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland, längstens jedoch bis zum 29. Dezember 2010, 16.00 Uhr" und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde, mit welcher der Betroffene nach seiner Abschiebung am 24. Januar 2011 die Feststellung der Rechtsverletzung durch den amtsgerichtlichen Beschluss beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit welcher der Betroffene die Feststellung beantragt, dass ihn diese Beschlüsse in seinen Rechten verletzt haben.

II.

5

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat der in § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG genannte Haftgrund vorgelegen. Der Betroffene habe etwaige Verzögerungen der Abschiebung zu vertreten gehabt, weil er die Ausstellung von Passersatzpapieren nicht selbst beantragt gehabt habe. Die beabsichtigte Heirat habe der Abschiebung ebenso wenig entgegengestanden wie ein zwischenzeitlich gestellter Asylfolgeantrag. Mildere Mittel als die Inhaftierung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht seien nicht ersichtlich gewesen. Die erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft habe vorgelegen.

III.

6

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

1. Die - nach Auslegung des in der Rechtsbeschwerdebegründung gestellten Antrags dahingehend, dass die angefochtene Entscheidung des Beschwerdegerichts aufgehoben und nur die Rechtsverletzung durch den Beschluss des Amtsgerichts festgestellt werden soll - mit einem Antrag nach § 62 FamFG gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthafte (vgl. nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 5, [...]) und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Deshalb ist festzustellen, dass die Anordnung der Abschiebungshaft vom 24. November 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

8

2. Das gilt jedenfalls schon deshalb, weil der Haftanordnung kein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen hat.

9

a) Das Vorliegen eines solchen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen; zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht; fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 8, [...]).

10

b) Den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt ein Haftantrag nur dann, wenn die in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannten Punkte in dem Antrag behandelt werden (siehe eingehend Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 9, [...]). Das ist hier nicht der Fall. Die in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 FamFG geforderten Darlegungen zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer und zu der Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb dieser Haftdauer fehlen. Zwar heißt es in dem Antrag, dass die Dauer der Haft die üblichen Reisevorbereitungen, insbesondere die Passersatzbeschaffung und die Flugbuchung berücksichtige. Aber dieser stereotype Satz, den die beteiligte Behörde in dem weiteren Haftantrag vom 27. Dezember 2010, der Gegenstand des Verfahrens V ZB 236/11 ist, ebenfalls verwendet hat, reicht nicht aus. Bereits angesichts des Umstands, dass gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 29. September 2010 Abschiebungshaft angeordnet worden war, wobei die beteiligte Behörde davon ausgegangen war, dass die Abschiebung innerhalb von acht Wochen nach Ende der Untersuchungshaft hätte durchgeführt werden können, und angesichts des in dem Haftantrag vom 24. November 2010 geschilderten Ablaufs des bis dahin erfolglosen Versuchs der Beschaffung von Passersatzpapieren musste die beteiligte Behörde konkrete Angaben zu dem weiteren Ablauf des Verfahrens machen und darlegen, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen hätten durchlaufen werden können (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 - V ZB 264/10, InfAuslR 2011, 398, 399 [BGH 26.05.2011 - V ZB 264/10] Rn. 15).

11

c) Die beteiligte Behörde hat das Versäumnis auch nicht, was für die Zukunft möglich gewesen wäre (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11 Rn. 15, [...]), nachgeholt. Sie hat zwar in dem Beschwerdeverfahren über den Stand der Passersatzpapierbeschaffung berichtet, aber entgegen der Aufforderung des Vorsitzenden der Beschwerdekammer keine konkreten Gründe für die bisherige Nichtausstellung und auch nicht vorgetragen, welche Schritte in Zukunft erforderlich gewesen wären.

IV.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die F. und H. H. als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

13

Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 KostO.

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

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