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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 09.12.2010, Az.: V ZB 136/10
Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen bei fehlender Begründung in den Verfahrensakten
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 09.12.2010
Referenz: JurionRS 2010, 33848
Aktenzeichen: V ZB 136/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Bremen - 03.02.2010 - AZ: 92 XIV 54/10

LG Bremen - 23.04.2010 - AZ: 10 T 104/10 (a)

BGH, 09.12.2010 - V ZB 136/10

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 9. Dezember 2010
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger,
die Richter Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und
die Richterin Dr. Brückner
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 23. April 2010 aufgehoben und festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Bremen vom 3. Februar 2010 und vom 16. Februar 2010 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zweckentsprechenden notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt das Land Bremen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Die Betroffene ist nigerianische Staatsanghörige. Am 22. Januar 2010 reiste sie mit dem Zug aus Holland kommend nach Deutschland ein mit einem nigerianischen Nationalpass, einer italienischen Identitätskarte, einer am 19. Oktober 2010 abgelaufenen italienischen Aufenthaltserlaubnis sowie einer besonderen Empfangsbescheinigung der italienischen Post vom 16. Oktober 2009 über die Einreichung eines Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Am 3. Februar 2010 wurde sie in Bremen in einem Bordell angetroffen, in dem sie als Prostituierte tätig war.

2

Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht gegen die Betroffene Sicherungshaft bis zum 2. März 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Ein Haftantrag befindet sich nicht bei den Akten. Aus dem Protokoll des Amtsgerichts ergibt sich lediglich, dass der Betroffenen "der Antrag des Stadtamtes vom 03.02.10 bekannt gegeben" worden ist.

3

Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Amtsgericht am 16. Februar 2010 die Vollstreckung der Sicherungshaft gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Im Übrigen hat es der Beschwerde nicht abgeholfen. Am 25. Februar 2010 reiste die Betroffene nach Italien aus. Seither beantragt sie die Feststellung, dass die Anordnung der Sicherungshaft rechtswidrig gewesen ist. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Betroffene ihren Antrag weiter.

II.

4

Das Beschwerdegericht hat die Haftanordnung nicht beanstandet. Es ist der Auffassung, die dafür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen hätten vorgelegen.

III.

5

1.

Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360) Rechtsbeschwerde ist gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Das besondere Interesse an der beantragten Feststellung folgt aus § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Das gilt auch, soweit die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit für den Zeitraum verlangt, in dem die Sicherungshaft nicht mehr vollzogen, sondern deren Vollzug unter Auflagen ausgesetzt worden ist (vgl. BVerfG, NJW 2006, 668, 669 [BVerfG 29.11.2005 - 2 BvR 1737/05] mwN).

6

2.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag hat auch in der Sache Erfolg. Die Betroffene wird durch die angegriffenen Beschlüsse schon deshalb in ihren Rechten verletzt, weil nach dem maßgeblichen Inhalt der Verfahrensakten im Zeitpunkt der Haftanordnung kein rechtswirksamer Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) vorgelegen hat. Das Vorliegen dieser Verfahrensvoraussetzung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 12; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158, Rdn. 7). Da der Antrag und dessen Begründung die Grundlage für die Anhörung des Betroffenen bilden, muss sowohl die Antragstellung als auch die Antragsbegründung aus den Verfahrensakten selbst ersichtlich sein. Diese müssen daher entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung ergeben. Fehlt es hieran, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich. Das wirkt zu Lasten der antragstellenden Behörde, weil es sich bei der Antragstellung um eine von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geforderte Verfahrensgarantie handelt, deren Verletzung auch nicht durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der antragstellenden Behörde geheilt werden kann (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, [...], Rn. 17 ff. mwN; vgl. auch BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305). So liegt es hier, weil zwar der Umstand der Antragstellung, nicht aber die dazu gegebene Begründung aus den Verfahrensakten ersichtlich ist.

7

3.

Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat die beantragte Feststellung ausgesprochen (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

8

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Bremen die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen aufzuerlegen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, [...], Rn. 18).

Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner

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