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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 24.06.2010, Az.: VII ZB 6/09
Anforderungen an die Einstufung der durch Zurückweisung eines zuvor eingelegten und begründeten Rechtsmittels entstehenden Anwaltsgebühren als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung; Erforderlichkeit der Prüfung eines Vorgehens auf Grundlage des § 522 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) im Falle einer noch ausstehenden Frist zur Berufungserwiderung seitens des Gerichts
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.06.2010
Referenz: JurionRS 2010, 21970
Aktenzeichen: VII ZB 6/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bamberg - 05.11.2008 - AZ: 1 O 394/02

OLG Bamberg - 17.12.2008 - AZ: 3 W 114/08

Fundstellen:

AGS 2010, 514-515

BRAK-Mitt 2010, 274

FamRZ 2010, 1652

HRA 2010, 13-14

MDR 2010, 1287

NJW 2010, 3170-3171

PA 2011, 57

RENOpraxis 2010, 249

RVG prof 2010, 183-184

RVGreport 2010, 430

VersR 2011, 136-137

ZAP 2010, 992

ZAP EN-Nr. 650/2010

ZfBR 2011, 25-26

BGH, 24.06.2010 - VII ZB 6/09

Amtlicher Leitsatz:

Beantragt der Berufungsbeklagte nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels dessen Zurückweisung, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn das Gericht noch keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt hat, weil es zunächst ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüft.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 24. Juni 2010
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und
die Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier und Leupertz
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. Dezember 2008 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Bamberg vom 5. November 2008 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die von dem Beklagten an den Kläger nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 23. September 2008, AZ.: 3 U 75/08, zu erstattenden außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz werden auf 861,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 10. Oktober 2008 festgesetzt.

Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 263 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger für das Berufungsverfahren trotz Zurückweisungsbeschlusses des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO die Erstattung der vollen anwaltlichen Verfahrensgebühr verlangen kann.

2

Das Landgericht hat der Klage durch Endurteil teilweise stattgegeben. Der Beklagte hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt und diese begründet. Die Berufungsbegründung wurde dem Kläger am 12. Juni 2008 mit dem Hinweis zugestellt, dass eine Frist zur Berufungserwiderung derzeit nicht gesetzt werde und das Berufungsgericht vorab ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüfe. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 17. Juni 2008 (erneut) die Zurückweisung der Berufung beantragt. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 1. September 2008 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und hat - nachdem eine Stellungnahme des Beklagten nicht erfolgt war - mit Beschluss vom 23. September 2008 entsprechend entschieden.

3

Die nach diesem Beschluss vom Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten des Berufungsverfahrens hat das Landgericht nicht, wie vom Kläger beantragt, auf 861,60 € (wegen Vorsteuerabzugsberechtigung berichtigt ohne Umsatzsteuer), sondern nur auf 598,60 € festgesetzt, weil es die Gebühren des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren nicht in Höhe einer 1,6 Verfahrensgebühr (Nr. 3200 RVG-VV), sondern nur in Höhe einer 1,1 Verfahrensgebühr (Nr. 3201 RVG-VV) für erstattungsfähig erachtet hat. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger weiterhin die Festsetzung der Kosten in der von ihm geltend gemachten Höhe.

II.

4

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1.

Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die durch den gestellten Antrag auf Zurückweisung der Berufung angefallene 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV sei nur in Höhe einer 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV erstattungsfähig, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Antrag sei unmittelbar nach Zustellung der Berufungsbegründung noch nicht erforderlich gewesen, denn das Berufungsgericht habe mit Zustellung der Berufungsbegründung darauf hingewiesen, dass es zunächst keine Frist zur Berufungserwiderung setzen werde, da vorab ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO geprüft werde. Deshalb seien Kosten auslösende Sachanträge vor Abschluss dieser Prüfung nicht sachdienlich gewesen.

6

2.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Beantragt der Berufungsbeklagte nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels dessen Zurückweisung, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren auch dann notwendige Kosten der Rechtsverteidigung, wenn das Gericht noch keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt hat, weil es zunächst ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO prüft.

7

a)

Durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 RVG-VV eine nach dem Gegenstandswert von 10.951,95 € zu berechnende 1,6-fache Verfahrensgebühr in Höhe von 841,60 € entstanden. Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV entsteht nach Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 RVG-VV für das Betreiben des Geschäfts. Zum Betreiben des Geschäfts zählt das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht. Der Regelung der Nr. 3201 Satz 1 Nr. 1 RVG ist zudem zu entnehmen, dass allein die Stellung der Sachanträge die volle Verfahrensgebühr auslöst, auch wenn der Schriftsatz keinen Sachvortrag zur Begründung der Anträge enthält.

8

b)

Der Senat hat bereits entschieden, dass der nach Eingang der Berufungsbegründung gestellte Antrag auf Zurückweisung der Berufung nicht deshalb als eine nicht zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden kann, weil eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO noch nicht ergangen ist (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - VII ZB 17/03, NJW 2004, 73). Er hat dabei darauf hingewiesen, dass der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran hat, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht möglicherweise beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Eine Förderung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Abweisungsantrag nicht begründet wird und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Berufungsbegründung nicht erfolgt (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - I ZB 111/07, NJW-RR 2009, 859 [BGH 02.10.2008 - I ZB 111/07]). Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts spielt es keine Rolle, ob das Berufungsgericht dem Berufungsgegner eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt oder eine solche im Hinblick auf die bevorstehende Prüfung eines Vorgehens des Gerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgestellt hat. Die dieser Verfügung zugrunde liegende Vorstellung des Gerichts, es könne auch ohne eine Stellungnahme des Berufungsbeklagten über eine Zurückweisung der Berufung entscheiden, führt nicht dazu, dass das Interesse des Berufungsbeklagten an einer Mitwirkung im Verfahren entfällt. Im kontradiktorischen Verfahren gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, dem Berufungsbeklagten die Gelegenheit zu geben, auf eine etwaige Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch die Stellung eines Sachantrags und gegebenenfalls eine diesen Antrag unterstützende Begründung Einfluss zu nehmen.

9

c)

Aus der vom Beschwerdegericht zitierten Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-Reformgesetz vom 1. Januar 2002 (BT-Drucks. 14/4722 S. 98) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die dort zur Begründung des neuen § 522 Abs. 2 ZPO allgemein angesprochene Möglichkeit der kostengünstigen Berufungsrücknahme auf den Hinweis des Gerichts zielt ersichtlich auf die Ersparnis noch nicht entstandener Gebühren durch die mündliche Verhandlung und die Urteilsgebühren ab, ohne dies näher auszuführen. Die Möglichkeit der Rücknahme des Rechtsmittels und damit die Einsparung weiterer Kosten stehen dem Berufungsführer tatsächlich uneingeschränkt offen. Berechtigte Interessen des Berufungsgegners und sein Verfahrensgrundrecht auf Gewährung des Anspruchs auf rechtliches Gehör werden dadurch jedoch nicht eingeschränkt.

III.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Kniffka
Bauner
Eick
Halfmeier
Leupertz

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