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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 11.02.2010, Az.: 4 StR 577/09
Betrachtung der Sicherungsverwahrung als Strafe i.S.v. Art. 7 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (MRK) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR); Zurückstellung der Entscheidung über die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bis zur Entscheidung des EGMR
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 11.02.2010
Referenz: JurionRS 2010, 10887
Aktenzeichen: 4 StR 577/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Saarbrücken - 17.07.2009

Rechtsgrundlagen:

§ 2 Abs. 6 StGB

§ 63 StGB

§ 66b Abs. 3 StGB

Art. 7 Abs. 1 MRK

Art. 44 MRK

Verfahrensgegenstand:

Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

BGH, 11.02.2010 - 4 StR 577/09

Redaktioneller Leitsatz:

Angesichts des Gebots der konventionskonformen Auslegung des nationalen Rechts - hier § 2 Abs. 6 StGB - sieht sich der Senat zur Zeit gehalten, von einer Entscheidung über die Bestandskraft der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung jedenfalls so lange abzusehen, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Frage des Strafcharakters von Sicherungsverwahrung in der genannten Rechtssache endgültig i.S.d. Art. 44 MRK entschieden hat.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
beschlossen:

Tenor:

Die Entscheidung über die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009, mit dem gem. § 66b Abs. 3 StGB die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen angeordnet worden ist, wird zurückgestellt.

Gründe

1

Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB nach vorläufiger Einschätzung des Senats zu Recht als erfüllt angesehen. Die Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat aber in der Rechtssache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) am 17. Dezember 2009 entschieden, die Sicherungsverwahrung sei - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als "Maßregel der Besserung und Sicherung" - als Strafe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MRK anzusehen. Dann aber verstieße die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall gegen das Rückwirkungsverbot der Menschenrechtskonvention. Denn die Anlasstat ist eine gefährliche Körperverletzung, die der Betroffene am 23. Februar 1990 nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat und deretwegen er durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 nach § 63 StGB im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden ist. Weder nach dem Tatzeitrecht noch nach dem Recht zum Zeitpunkt der Anlassunterbringung kam die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen in Betracht. § 66b Abs. 3 StGB wurde erst durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838), in Kraft getreten am 29. Juli 2004, in das Strafgesetzbuch eingefügt. Angesichts des Gebots der konventionskonformen Auslegung des nationalen Rechts - hier § 2 Abs. 6 StGB - sieht sich der Senat daher zur Zeit gehalten, von einer Entscheidung über die Bestandskraft der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung jedenfalls solange abzusehen, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Frage des Strafcharakters von Sicherungsverwahrung in der genannten Rechtssache endgültig i.S.d. Art. 44 MRK entschieden hat.

Tepperwien
Athing
Solin-Stojanovic
Ernemann
Franke

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