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Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.11.2009, Az.: XII ZR 210/08
Fortbestehen des Verwanstschaftsverhältnisses zur Familie seines vorverstorbenen Elternteils bei der "starken" (Stiefkind-)Adoption eines Volljährigen durch den Ehegatten seines überlebenden Elternteils nach § 1772 Abs. 1 i.V.m. § 1756 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 11.11.2009
Referenz: JurionRS 2009, 29138
Aktenzeichen: XII ZR 210/08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Mettmann - 16.05.2008 - AZ: 24 C 8/08

LG Wuppertal - 25.11.2008 - AZ: 16 S 69/08

Fundstellen:

DNotZ 2010, 309-312

ErbR 2010, 93-95 (Volltext mit red. LS)

FamRB 2010, 74-75

FamRZ 2010, 273-275

FF 2010, 173

Life&Law 2009, 281

MDR 2010, 273-275

NJW 2010, 6

NJW 2010, 678-680

NotBZ 2010, 183-184

BGH, 11.11.2009 - XII ZR 210/08

Amtlicher Leitsatz:

Bei der "starken" (Stiefkind-)Adoption eines Volljährigen durch den Ehegatten seines überlebenden Elternteils besteht das Verwandtschaftsverhältnis zur Familie seines vorverstorbenen Elternteils nach § 1772 Abs. 1 i.V.m. § 1756 Abs. 2 BGB fort, wenn der vorverstorbene Elternteil bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes oder, wenn er vorher verstorben ist, in diesem Zeitpunkt die elterliche Sorge hatte.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2009
durch
die Richter Dose und Prof. Dr. Wagenitz,
die Richterin Dr. Vézina sowie
die Richter Dr. Klinkhammer und Schilling
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 25. November 2008 aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Mettmann vom 16. Mai 2008 wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Streithelfers der Beklagten tragen die Kläger.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren von der Beklagten die Rückzahlung eines Pflichtteils.

2

Die 1980 geborene Beklagte ist die (leibliche) Nichte der Kläger. Die Mutter der Beklagten - die Schwester der Kläger - verstarb 2000; sie war für die Beklagte bis zu deren Volljährigkeit sorgeberechtigt. 2005 wurde die Beklagte von der zweiten Ehefrau ihres Vaters adoptiert; der Adoptionsantrag wurde vom Streithelfer der Beklagten beurkundet. Im Annahmebeschluss ist bestimmt, dass sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten.

3

2006 verstarb die leibliche Großmutter der Beklagten mütterlicherseits. Sie wurde von den Klägern - ihren Kindern - beerbt. Zur Erfüllung eines von der Beklagten geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs zahlten die Kläger an die Beklagte 2.003,77 EUR, deren Rückzahlung sie nunmehr mit ihrer Klage begehren.

4

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung dieses Betrags nebst Zinsen verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe

5

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Klage ist nicht begründet.

6

1.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts rechtfertigt sich das Klagebegehren aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Die Zahlung des vermeintlichen Pflichtteils an die Beklagte sei rechtsgrundlos erfolgt, da diese infolge ihrer Adoption nicht mehr ein "Abkömmling" ihrer leiblichen Großmutter und deshalb nach dieser auch nicht gemäß § 2303 Abs. 1 BGB pflichtteilsberechtigt gewesen sei.

7

Aufgrund der (hier: "starken" Volljährigen-)Adoption der Beklagten durch die zweite Ehefrau ihres Vaters sei das Verwandtschaftsverhältnis der Beklagten zu ihrer leiblichen Mutter und deren Verwandten gemäß § 1772 Abs. 1 Satz 1, § 1755 BGB erloschen. Die Ausnahmevorschrift des § 1756 Abs. 2 BGB komme nicht zur Anwendung. Denn der Tatbestand dieser Vorschrift, der von der Verweisung des § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB mit umfasst werde, sei nicht erfüllt. Danach erlösche bei der Stiefkindadoption das Verwandtschaftsverhältnis nicht im Verhältnis zu den Verwandten des anderen Elternteils, wenn dieser die elterliche Sorge gehabt habe und verstorben sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen der elterlichen Sorge sei der Todeszeitpunkt. Im Zeitpunkt des Todes ihrer (leiblichen) Mutter sei die Beklagte aber bereits volljährig und die elterliche Sorge bereits erloschen gewesen.

8

2.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9

a)

Richtig ist, dass mit der Annahme eines Volljährigen dessen Verwandtschaftsverhältnis zu den leiblichen Verwandten erlischt, wenn - wie hier - das Vormundschaftsgericht bei der Annahme bestimmt, dass sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten (§ 1772 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB; Volljährigenadoption mit "starker Wirkung"). Wird ein Volljähriger (hier: die Beklagte) vom Ehegatten eines Elternteils angenommen (sog. "Stiefkindadoption") und trifft das Vormundschaftsgericht eine solche Bestimmung, so besteht deshalb das Verwandtschaftsverhältnis grundsätzlich nur zwischen dem Kind und diesem Elternteil fort (vgl. § 1767 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1754 Abs. 1 2. Alt. BGB); das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zum anderen Elternteil und dessen Verwandten (hier also: zur leiblichen Mutter der Beklagten und zu deren Mutter) erlischt (vgl. § 1772 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB).

10

b)

Dies gilt indes nicht, wenn die Voraussetzungen des § 1756 Abs. 2 BGB vorliegen. Danach erlischt bei der Stiefkindadoption das Verwandtschaftsverhältnis nicht im Verhältnis zu den Verwandten des anderen Elternteils, wenn dieser die elterliche Sorge hatte und verstorben ist. Diese Vorschrift gilt zwar unmittelbar nur für die Annahme eines Minderjährigen. Sie ist aber gemäß § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB auch auf die Annahme eines Volljährigen anwendbar, sofern dieser Annahme nach dem Annahmebeschluss "starke" Wirkung zukommen soll. Die entsprechende Anwendung des § 1756 Abs. 2 BGB ist dabei - wie das Landgericht zutreffend erkennt - nicht auf die in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechtsfolgen beschränkt. Sie umfasst grundsätzlich auch deren Tatbestand und bildet deshalb eine Rechtsgrundverweisung. Der Tatbestand des § 1756 Abs. 2 BGB lässt sich allerdings auf die (starke) Annahme eines Volljährigen nur mit Einschränkungen übertragen, die sich aus dem Zweck dieser Vorschrift ergeben.

11

Nach § 1756 Abs. 2 BGB in seiner bis zum Inkrafttreten des KindRG geltenden Fassung sollte bei der Stiefkindadoption eines Minderjährigen das Verwandtschaftsverhältnis zum anderen Elternteil bestehen bleiben, wenn dieser Elternteil verstorben, aber im Zeitpunkt seines Todes mit dem anderen Elternteil (noch) verheiratet war. Diese Regelung sollte verhindern, dass mit der wünschenswerten rechtlichen Einbindung des Kindes in die neue Familie des überlebenden Elternteils das rechtliche Band zur Familie des verstorbenen Elternteils zerschnitten und dadurch auch eine intakte soziale Bindung des Kindes zu dieser Familie, insbesondere also auch zu den Eltern des verstorbenen Elternteils (den Großeltern des Kindes), zerstört oder doch beeinträchtigt würde (BT-Drucks. 7/5087 S. 17). Der Fortbestand der sozialen Bindung des Kindes zur Familie des verstorbenen Elternteils wurde dabei vom Gesetz unterstellt, wenn die Ehe der leiblichen Eltern des Kindes bis zum Tod des Elternteils noch bestanden hatte, also insbesondere nicht vorher geschieden worden war. Diese - frühere - Regelung konnte § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB unproblematisch auf die Annahme eines Volljährigen mit starken Wirkungen übertragen. Auch hier durfte vermutet werden, dass die soziale Bindung des Volljährigen zur Familie seines verstorbenen Elternteils fortbestand, wenn dieser bis zu seinem Tod mit dem überlebenden Ehegatten verheiratet war. Deshalb bestand auch hier Grund, eine solche als fortbestehend vermutete Bindung nicht dadurch zu zerstören oder zu beeinträchtigen, dass das rechtliche Verwandtschaftsverhältnis zu dieser Familie mit der Annahme des Volljährigen durch den Ehegatten des überlebenden Elternteils zerschnitten würde.

12

Das KindRG hat in dem Bestreben, die kindschaftsrechtlichen Verhältnisse von der tradierten Anknüpfung an die Ehe weitestgehend zu lösen und so eine Gleichstellung von bislang "ehelich" und "nichtehelich" genannten Kindern zu erreichen, auch § 1756 Abs. 2 BGB neu gefasst (vgl. BT-Drucks. 13/4899 S. 115). An die Stelle des Erfordernisses, die leiblichen Eltern müssten bis zum Tod des erstversterbenden Elternteils miteinander verheiratet gewesen sein, wird nunmehr verlangt, dass ein Elternteil verstorben ist und - wie das Berufungsgericht aus dem Fehlen anderer Anknüpfungspunkte folgert: im Todeszeitpunkt - die elterliche Sorge hatte. Die Folgerung des Berufungsgerichts erweist sich für die Minderjährigenadoption als zwingend. Das Gesetz knüpft - ähnlich wie zuvor an die bis zum Tod des verstorbenen Elternteils bestehende Ehe der Eltern - nunmehr an die gemeinsame oder alleinige Sorgeberechtigung des verstorbenen Elternteils die Annahme, dass das Kind zu dessen Familie eine intakte soziale Beziehung unterhält, die nicht dadurch gestört oder geschmälert werden soll, dass aufgrund der Stiefkindadoption das rechtliche Verwandtschaftsverhältnis zu dieser Familie beendet wird (BT-Drucks. 13/4899 S. 115). Diese - pauschale - Annahme ist allerdings nur gerechtfertigt, wenn das Sorgerecht dem verstorbenen Elternteil noch im Zeitpunkt seines Todes zugestanden hat, also insbesondere nicht im Zuge einer Scheidung auf den anderen Ehegatten allein übertragen worden ist (Lipp/Wagenitz, Das neue Kindschaftsrecht 1999, § 1756 Rdn. 3).

13

Für die Annahme eines Volljährigen durch den neuen Ehegatten des überlebenden Elternteils stellt sich die Sachlage anders dar: Da der Volljährige ohnehin nicht unter elterlicher Sorge steht, würde die Anknüpfung an eine bis zum Todeszeitpunkt bestehende Sorge des verstorbenen Elternteils bewirken, dass das Verwandtschaftsverhältnis zur Familie des verstorbenen Elternteils überhaupt nur dann fortbestehen kann, wenn dieser Elterteil verstorben ist, bevor der Anzunehmende volljährig geworden ist. Denn nur in diesem Falle bestünde die Möglichkeit, dass die elterliche Sorge des verstorbenen Elternteils im Zeitpunkt seines Todes noch bestanden hat. Eine solche Einschränkung des § 1756 Abs. 2 BGB bei der Volljährigenadoption wird - wie dem Berufungsgericht zuzugeben ist - vom Wortlaut her nahe gelegt. Allerdings würde eine solche Einschränkung eine grundlegende Änderung gegenüber dem früheren Rechtszustand bedeuten, die von der - nur auf eine Gleichstellung von vormals ehelichen und nichtehelichen Kindern zielenden - Neufassung dieser Vorschrift nicht beabsichtigt war. Für einen entsprechenden Änderungswillen des Gesetzgebers ergeben sich aus den Materialien keinerlei Hinweise. Zudem wäre eine solche Einschränkung auch nicht sinnvoll: Die Anknüpfung an die im Zeitpunkt des Todes bestehende Sorgeberechtigung des verstorbenen Elternteils soll - wie dargelegt - die Vermutung rechtfertigen, dass die soziale Bindung des Kindes an die Familie dieses Elternteils fortbesteht. Der Fortbestand einer solchen Bindung ist aber völlig unabhängig von der Frage, ob der Elternteil vor oder nach Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden verstorben ist. Dem ist bei der von § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB angeordneten entsprechenden Anwendung des § 1756 Abs. 2 BGB auf die Annahme eines Volljährigen (mit starker Wirkung) Rechnung zu tragen. Dies geschieht, indem zwar am Erfordernis festgehalten wird, der verstorbene Elternteil des Anzunehmenden müsse gemeinsam oder allein sorgeberechtigt gewesen sein, indem dieses Erfordernis aber auf den Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden und nur, falls der Elternteil zuvor verstorben ist, auf dessen Todeszeitpunkt bezogen wird.

14

Eine solche entsprechende Anwendung des § 1756 Abs. 2 BGB auf die Annahme eines Volljährigen berücksichtigt einerseits, dass nach dem Grundgedanken dieser Regelung eine noch bestehende soziale Bindung des Anzunehmenden zur Familie seines verstorbenen Elternteils nur dann ohne weiteres unterstellt werden kann, wenn dieser Elternteil bis zum letztmöglichen Zeitpunkt - hier also bis zur Volljährigkeit des Kindes oder, falls der Elternteil bereits zuvor verstorben ist, bis zu dessen Tod - allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil sorgeberechtigt war. Andererseits vermeidet eine solche Handhabung das - sachwidrige - Ergebnis, dass das soziale Band des Anzunehmenden zur Familie seines verstorbenen Elternteils durch ein vom Gesetz undifferenziert angeordnetes Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses allein deshalb zerschnitten wird, weil der Elternteil erst nach Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden verstorben ist, mag er auch bis zu diesem Zeitpunkt sorgeberechtigt gewesen sein. Der Umstand, dass die Beteiligten bei der Stiefkindadoption eines Volljährigen ein Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses zur Familie des verstorbenen Elternteils bereits dadurch verhindern können, dass sie es bei der grundsätzlich nur schwachen Wirkung der (Volljährigen-)Annahme belassen (vgl. § 1770 Abs. 2 BGB), steht nicht entgegen. Denn eine grundsätzlich "starke" Annahme kann auch gewollt sein, um eine volle Einbindung des Anzunehmenden in die von seinem überlebenden Elterteil gegründete neue Familie zu erreichen. Das ist aber nur dann der Fall, wenn sich die Annahme auch auf die Verwandten des Annehmenden erstreckt; eine nur schwache Volljährigenadoption erreicht dieses Ziel nicht. Es besteht indes kein Grund, dem Volljährigen die ohnehin an die engen Voraussetzungen des § 1772 Abs. 1 BGB gebundene Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses auch zur Familie des Annehmenden - abweichend vom Recht der Stiefkindadoption eines Minderjährigen - nur um den Preis eines Erlöschens des Verwandtschaftsverhältnisses zur Familie seines verstorbenen Elternteils zu ermöglichen.

15

3.

Nach allem kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Der Senat vermag in der Sache selbst abschließend zu entscheiden. Da die Adoption der Beklagten deren Verwandtschaftsverhältnis zu ihrer leiblichen Großmutter mütterlicherseits nicht hat erlöschen lassen, war die Beklagte nach dem Tod der Großmutter pflichtteilsberechtigt mit der Folge, dass die Kläger den an die Beklagte als Pflichtteil gezahlten Geldbetrag nicht ohne Rechtsgrund geleistet haben und diesen Betrag nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückverlangen können. Das Urteil des Berufungsgerichts war deshalb aufzuheben, das der Klage stattgebende Urteil des Amtsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Dose
Wagenitz
Vézina
Klinkhammer
Schilling

Von Rechts wegen

Verkündet am 11. November 2009

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