Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.01.2004, Az.: VIII ZR 140/03
Fehlen jeder tatbestandlichen Darstellung und Wiedergabe der Berufungsanträge in einem Berufungsurteil; Unmöglichkeit der revisionsrechtlichen Nachprüfung eines Berufungsurteils mangels tatbestandlicher Beurteilungsgrundlage; Erstreckung der Verweisung gemäß § 540 Zivilprozessordnung (ZPO) auf die in der zweiten Instanz gestellten Anträge
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 21.01.2004
- Aktenzeichen
- VIII ZR 140/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 10929
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Frankenthal - 15.04.2003
Rechtsgrundlagen
Redaktioneller Leitsatz
Enthält ein Berufungsurteil weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen und ergibt sich die tatsächliche Grundlage der Entscheidung auch nicht hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen, ist es grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Nach § 540 ZPO sind auch die Berufungsanträge wörtlich oder zumindest sinngemäß in das Berufungsurteil aufzunehmen.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2004
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und
die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Wiechers und Dr. Wolst
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 15. April 2003 aufgehoben.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 16. Dezember 2002 zurückgewiesen. Zugleich hat es die Revision zugelassen. Das Berufungsurteil enthält weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen; auch die Berufungsanträge gibt es nicht wieder. Mit ihrer Revision begehren die Kläger, das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsurteil ist aufzuheben, da es mangels jeder tatbestandlichen Darstellung und mangels Wiedergabe der Berufungsanträge eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht zulässt.
1.
Auf das Berufungsverfahren ist die Zivilprozessordnung in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht am 25. November 2002 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Demgemäß gilt für den Inhalt des Berufungsurteils § 540 ZPO. Danach bedarf dieses zwar keines Tatbestandes. An dessen Stelle muss das Berufungsurteil jedoch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen enthalten (§ 540 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Mangelt es daran, fehlt dem Berufungsurteil die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. In einem solchen Fall ist das Berufungsurteil grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (BGH, Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290, unter II 1 b m.w.Nachw.; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003 - VIII ZR 122/03, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 1). Von der Aufhebung und Zurückverweisung kann ausnahmsweise nur dann abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben. Damit gilt bei einer Verletzung des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nichts anderes als nach bisherigem Zivilprozessrecht in dem Fall, dass das Berufungsurteil entgegen § 543 ZPO a.F. keinen Tatbestand aufwies (vgl. dazu BGHZ 73, 248; BGH, Urteil vom 1. Februar 1999 - II ZR 176/97, WM 1999, 871 unter I 1 m.w.Nachw.; ferner Senatsurteil vom 19. Februar 2003 - VIII ZR 205/02, NJW-RR 2003, 1006; Senatsurteil vom 1. Oktober 2003 - VIII ZR 326/02, WuM 2003, 708 unter II 2; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003 a.a.O., jew.m.w.Nachw.).
Hier enthält das Berufungsurteil weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Die tatsächliche Grundlage der Entscheidung ergibt sich auch nicht hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen. Diesen lässt sich bereits nicht entnehmen, was die Kläger mit ihrer Klage begehrt haben. Eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Berufungsurteils ist daher mangels tatbestandlicher Beurteilungsgrundlage nicht möglich. Letztlich bleibt auch unklar, was Gegenstand der Klageabweisung ist.
2.
Nichts anderes gilt, wenn das Berufungsurteil die Berufungsanträge nicht wiedergibt. § 540 ZPO macht dies nicht entbehrlich. Das trifft selbst dann zu, wenn das Berufungsurteil ordnungsgemäß auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug nimmt. Diese Verweisung kann sich nicht auf die in der zweiten Instanz gestellten Anträge erstrecken. Daher sind auch die Berufungsanträge wörtlich oder zumindest sinngemäß in das Berufungsurteil aufzunehmen (BGH, Senatsurteil vom 26. Februar 2003 - VIII ZR 262/02, NJW 2003, 1743, zur Aufnahme in BGHZ 154, 99 bestimmt; Senatsurteil vom 7. Mai 2003 - VIII ZR 340/02, nicht veröffentlicht, jew.m.w.Nachw.; Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290 unter II 1 a; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003 a.a.O., unter II 2).
Auch daran fehlt es hier. Das angefochtene Berufungsurteil gibt die Berufungsanträge der Parteien weder ausdrücklich noch sinngemäß wieder. Daher könnte in der Sache selbst dann nicht entschieden werden, wenn das Berufungsurteil im Übrigen eine ausreichende tatbestandliche Beurteilungsgrundlage bieten würde, was nach den vorstehenden Ausführungen (unter 1) jedoch nicht der Fall ist.