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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 16.09.2003, Az.: XI ZR 447/02

Widerruf eines Darlehensvertrages zur Finanzierung eines Grundstückskaufes; Verbundenes Geschäft bei Realkreditverträgen; Duldungs- und Anscheinsvollmacht; Nichtigkeit einer Bevollmächtigung wegen eines Verstosses gegen das Rechtsberatungsgesetz; Untersicherung und Einwendungsdurchgriff; Richtlinienkonforme Auslegung; Verbraucherkredit- und Haustürgeschäfterichtlinie

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
16.09.2003
Aktenzeichen
XI ZR 447/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 23552
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BKR 2003, 898-900 (Volltext mit red. LS)
  • DStR 2003, XII Heft 50 (Kurzinformation)
  • EWiR 2004, 251 (amtl. Leitsatz)
  • MittBayNot 2004, 121-122
  • NJW 2004, 153-154 (Volltext mit amtl. LS) "EuGH-Vorlage"
  • NZM 2003, 991-992 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 2004, 795-797 (Volltext mit red. LS)
  • WM 2003, 2184-2186 (Volltext mit amtl. LS)
  • WuB 2004, 249-250
  • ZBB 2003, 450 (amtl. Leitsatz)
  • ZGS 2003, 476-477 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZIP 2004, 406 (red. Leitsatz)
  • ZfIR 2004, 138-144 (Urteilsbesprechung von Ulrich Kulke)
  • ZfIR 2004, 153-155 (Volltext mit red. LS)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Im Fall des wirksamen Widerrufs eines Realkreditvertrages hat der Darlehensgeber Anspruch auf Erstattung des ausgezahlten Nettokreditbetrages gegen den Darlehensnehmer, auch wenn die Darlehensvaluta weisungsgemäss direkt an den Verkäufer ausgezahlt worden ist. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich bei dem Kaufvertrag und dem Kreditvertrag nicht um ein verbundenes Geschäft handelt.

  2. 2.

    Realkreditverträge und durch sie finanzierte Immobilienkaufverträge sind grundsätzlich nicht als verbundene Geschäfte anzusehen.

  3. 3.

    § 171 und § 172 BGB sowie die allgemeinen Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht sind auch dann anwendbar, wenn die Bevollmächtigung unmittelbar gegen Art. 1 § 1 RBerG verstösst und gemäss § 134 BGB nichtig ist.

In dem Rechtsstreit
hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
durch
den Vorsitzenden Richter Nobbe und
die Richter Dr. Bungeroth, Dr. Müller, Dr. Wassermann und Dr. Appl
am 16. September 2003 beschlossen:

Tenor:

Den Klägern wird als Revisionsklägern für die Revisionsinstanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Gross beigeordnet, soweit das Berufungsgericht den Feststellungsantrag abgewiesen hat.

Der Kläger zu 1) hat auf die Prozesskosten ab 1. Januar 2004 monatlich 95,00 EUR und die Klägerin zu 2) ab diesem Zeitpunkt monatlich 45,00 EUR an die zuständige Landeskasse zu zahlen.

Im Übrigen wird der Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Gründe

1

1.

Der Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe hat insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg, als das Berufungsgericht ihren Feststellungsantrag abgewiesen hat.

2

Mit ihrem Antrag begehren die Kläger die Feststellung, dass "die Beklagte keinerlei Ansprüche aus den Darlehensverträgen ...218 und ...200 vom 06.11.1994 und ...342 vom 30.11.1999" gegen sie hat. Diesem Antrag hätte das Berufungsgericht, da es die Darlehensverträge als nach § 1 Abs. 1 HWiG wirksam widerrufen angesehen hat, stattgeben müssen. Seine Begründung, die beklagte Bank habe mit einem den Zahlungsanspruch der Kläger aus § 3 Abs. 1, § 4 HWiG übersteigenden Rückzahlungsanspruch wirksam aufgerechnet, trägt die Abweisung des Feststellungsantrags nicht. Dieser bleibt ohne Rücksicht auf die Aufrechnung begründet.

3

2.

Dagegen lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Bestehen des Gegenanspruchs der Beklagten entgegen der Ansicht der Kläger keine Rechtsfehler erkennen.

4

a)

Wie der erkennende Senat in den erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Entscheidungen vom 12. November 2002 (XI ZR 3/01, WM 2003, 61  ff. und XI ZR 47/01, WM 2002, 2501  ff. = BGHZ 152, 330[BGH 07.11.2002 - I ZR 175/00]; ff.) näher dargelegt hat, ist von der Bank in den Fällen des Widerrufs des Darlehensvertrages gemäß § 1 Abs. 1 HWiG der Nettokreditbetrag an den Vertragspartner geleistet und von ihm nach § 3 Abs. 1 HWiG zurückzugewähren, wenn die Darlehenssumme weisungsgemäß direkt an den Wohnungsverkäufer ausgezahlt worden ist und es sich bei dem Grundstückskaufvertrag und dem Kreditvertrag nicht um ein verbundenes Geschäft handelt. In beiden Fragen entsprechen die Ausführungen des Berufungsgerichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

5

b)

Die von der Geschäftsbesorgerin namens der Kläger erteilte Weisung, die Darlehen an die Bauträgergesellschaft zu zahlen, ist der Beklagten gegenüber gemäß § 172 BGB als wirksam zu behandeln.

6

§ 171 und § 172 BGB sowie die allgemeinen Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht sind auch dann anwendbar, wenn die umfassende Bevollmächtigung des Geschäftsbesorgers - wie hier - unmittelbar gegen Art. 1 § 1 RBerG verstößt und gemäß § 134 BGB nichtig ist. Die §§ 171 bis 173 BGB sowie die Regeln über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht sind Anwendungsfälle des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass derjenige, der einem gutgläubigen Dritten gegenüber zurechenbar den Rechtsschein einer Bevollmächtigung eines anderen setzt, sich so behandeln lassen muss, als habe er dem anderen wirksam Vollmacht erteilt (vgl. BGHZ 102, 60, 64[BGH 15.10.1987 - III ZR 235/86]; Senatsurteile vom 14. Mai 2002 - XI ZR 155/01, WM 2002, 1273, 1274  f. und vom 25. März 2003 - XI ZR 227/02, WM 2003, 1064, 1065[BGH 25.03.2003 - XI ZR 227/02]; f.). Dies gilt, soweit gesetzgeberische Wertungen nicht entgegenstehen, grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, aus welchen Gründen sich die Bevollmächtigung eines anderen im konkreten Einzelfall als nichtig erweist (vgl. BGHZ 144, 223, 230; Senatsurteil vom 22. Oktober 1996 - XI ZR 249/95, WM 1996, 2230, 2232). Nur so kann dem Schutz des Vertragsgegners und des Rechtsverkehrs, den die allgemeine Rechtsscheinhaftung bezweckt, ausreichend Rechnung getragen werden (Senatsurteile vom 25. März 2003 - XI ZR 227/02, WM 2003, 1064, 1065[BGH 25.03.2003 - XI ZR 227/02]; f. und vom 3. Juni 2003 - XI ZR 289/02, WM 2003, 1710, 1711) [BGH 03.06.2003 - XI ZR 289/02]. Die gegenteiligen Ausführungen der Kläger in ihrem Prozesskostenhilfegesuch enthalten keine neuen Gesichtspunkte und geben zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.

7

c)

Das Berufungsgericht hat auch zu Recht die Voraussetzungen eines verbundenen Geschäfts verneint.

8

aa)

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 9. April 2002 (BGHZ 150, 248, 262  f. m.w.Nachw.) ausgeführt hat, sind nach ständiger langjähriger Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundesgerichtshofs der Realkreditvertrag und das finanzierte Grundstücksgeschäft grundsätzlich nicht als zu einer wirtschaftlichen Einheit verbundene Geschäfte anzusehen (vgl. auch Senatsurteil vom 21. Januar 2003 - XI ZR 125/02, WM 2003, 483, 484[BGH 21.01.2003 - XI ZR 125/02]; f.). Dem hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er in § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG bestimmt hat, dass die Regelungen über verbundene Geschäfte (§ 9 VerbrKrG) auf Realkredite im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG keine Anwendung finden. Für Realkredite, die dieser Vorschrift unterfallen, gilt dies angesichts des eindeutigen Wortlauts der Bestimmung ausnahmslos (Senatsurteile vom 12. November 2002 - XI ZR 47/01, WM 2002, 2501, 2503 und vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1743) [BGH 15.07.2003 - XI ZR 162/00]. Das kann nur bedeuten, dass Realkreditverträge und Immobilienkaufverträge keine verbundenen Geschäfte sind. Daran hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Fall "H." vom 13. Dezember 2001 (WM 2001, 2434[BGH 21.09.2000 - IX ZR 127/99]) sowie des erkennenden Senats vom 9. April 2002 (XI ZR 91/99, BGHZ 150, 249, 253[BGH 09.04.2002 - XI ZR 91/99]; ff.) im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung grundsätzlich festgehalten und Darlehensverträge und durch sie finanzierte Grundstückserwerbsverträge nur ausnahmsweise unter bestimmten engen Voraussetzungen als verbundene Geschäfte angesehen (§ 358 Abs. 3 Satz 3 BGB).

9

bb)

Um Realkreditverträge handelt es sich auch hier. Eine etwaige Untersicherung der Beklagten fällt grundsätzlich in ihren Risikobereich und kann nach dem Zweck des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG nicht dazu führen, dass sie dem Einwendungsdurchgriff nach § 9 VerbrKrG ausgesetzt wird

(Senatsurteil vom 18. April 2000 - XI ZR 193/99, WM 2000, 1245, 1247; Senatsbeschluss vom 5. Februar 2002 - XI ZR 327/01, WM 2002, 588[BGH 05.02.2002 - XI ZR 327/01]; siehe ferner Senatsurteile vom 18. März 2003 - XI ZR 422/01, WM 2003, 916, 917 und vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1743) [BGH 15.07.2003 - XI ZR 162/00].

10

cc)

Ob es möglich ist, Realkredit- und Grundstückskaufvertrag jenseits des § 9 VerbrKrG ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, etwa wenn die kreditgebende Bank Funktionen des Verkäufers übernimmt und damit über ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgeht (vgl. jetzt § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB), kann offen bleiben, da ein solcher Ausnahmefall nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vorliegt.

11

3.

Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist nach Auffassung des Senats nicht veranlasst.

12

Das Landgericht B. hat eine Sache, in der ein Realkreditvertrag zur Finanzierung des Kaufpreises einer Eigentumswohnung auf Grund einer Haustürsituation abgeschlossen worden sein soll, ohne Aufklärung des Sachverhalts dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Beschluss vom 29. Juli 2003 (WM 2003, 1609  ff.) vorgelegt. Seiner Ansicht nach gebietet der in der Haustürgeschäfterichtlinie verankerte Grundsatz der Effektivität des Verbraucherschutzes eine richtlinienkonforme Auslegung des § 3 Abs. 1 HWiG dahingehend, dass der Darlehensnehmer die kreditgebende Bank generell auf etwaige Ansprüche gegen den Wohnungskäufer verweisen kann. Dem ist nicht zu folgen.

13

Art. 7 der Richtlinie 85/577 EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl Nr. 1 372/31 vom 31. Dezember 1985, "Haustürgeschäfterichtlinie") überlässt die Regelung der Rechtsfolgen des Widerrufs ausdrücklich dem "einzelstaatlichen Recht, insbesondere bezüglich der Rückerstattung von Zahlungen für Waren oder Dienstleistungen und der Rückgabe empfangener Waren". Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem zitierten "H.-Urteil" (WM 2001, 2434, 2437) [BGH 21.09.2000 - IX ZR 127/99] in Kenntnis der Rückabwicklungsprobleme im Zusammenhang mit verbundenen Geschäften unter Nr. 35 mit folgenden Worten hervorgehoben: "Für alle Fälle sei hinzugefügt, dass zwar ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren fragliche somit unter die Haustürgeschäfterichtlinie fällt, sich die Folgen eines gemäß dieser Richtlinie erfolgten etwaigen Widerrufs dieses Vertrages für den Kaufvertrag über die Immobilie und die Bestellung des Grundpfandrechts aber nach nationalem Recht richten." Dies legt den Schluss nahe, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - auch unter Beachtung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie (effet utile) - nicht verlangt, dass der Darlehensnehmer die direkt an den Wohnungsverkäufer ausgezahlte Darlehensvaluta im Falle eines Widerrufs des Darlehensvertrages nach der Haustürgeschäfterichtlinie nicht zurückzahlen muss, sondern er die kreditgebende Bank auf etwaige Ansprüche gegen den Wohnungsverkäufer verweisen kann. Hinzu kommt, dass die Haustürgeschäfterichtlinie keinerlei Vorschriften über verbundene Geschäfte enthält, sondern in Art. 3 Abs. 2 a bestimmt, dass sie für Verträge über den Kauf von Immobilien nicht gilt. Die Richtlinie 87/102 EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Verbraucherkredit (ABl Nr. 1 42/48 vom 12. Februar 1987, "Verbraucherkreditrichtlinie") regelt in Art. 2 Abs. 1 a in gleicher Weise, dass sie auf Kreditverträge nicht anwendbar ist, die hauptsächlich zum Erwerb von Eigentumsrechten an einem Grundstück bestimmt sind. Angesichts dessen erscheint es aus Sicht des Senats ausgeschlossen, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu dem Ergebnis gelangen könnte, nach einem wirksamen Widerruf des Darlehensvertrages sei der finanzierte Wohnungskaufvertrag auch bei Nichtvorliegen eines verbundenen Geschäfts in die Rückabwicklung einzubeziehen.

14

Dessen ungeachtet wäre es nach deutschem Recht, dem die Haustürgeschäfterichtlinie die Regelung der Rechtsfolgen eines Widerrufs explizit überlässt, auch nicht möglich, eine abweichende Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege richtlinienkonformer Auslegung umzusetzen. Nach der eindeutigen Regelung des § 3 Abs. 1 HWiG haben die Vertragsparteien nach einem Widerruf "die empfangenen Leistungen zurückzugewähren". Diese Rechtsfolge tritt nach geltendem Recht nur dann nicht ein, wenn der Kreditnehmer die Darlehenssumme durch Zahlung der finanzierenden Bank an den Wohnungsverkäufer nicht empfangen hat oder wenn Darlehens- und Wohnungskaufvertrag nach dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien verbundene Geschäfte sind. Davon kann im vorliegenden Streitfall aus den dargelegten Gründen nicht ausgegangen werden.