Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Beschl. v. 24.07.2003, Az.: VII ZB 8/03

Verspätete Übermittlung eines Teils der Berufungsbegründungsschrift per Telefax; Umstellung des Faxgerätes auf eine langsamere Datenübertragung durch eine Bürokraft des Prozessbevollmächtigten als Ursache des teilweise verpäteten Eingangs; Verpflichtung des Prozessbevollmächtigten, sich von dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Telefaxgerätes zu überzeugen ; Maßgeblichkeit der mitteleuropäischen Zeit als gesetzlicher Zeit zur Bestimmung von Fristbeginn und -ende; Von der Telekom ermittelte Sendezeit als amtliches Zeitnormal; Erschütterung des Beweiswertes der Telekomangaben zur Sendezeit; Übereinstimmung der Zeitangaben auf den Telefaxgeräten der Gerichte mit dem amtlichen Zeitnormal

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
24.07.2003
Aktenzeichen
VII ZB 8/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 23799
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG München - 20.02.2003
LG München I

Fundstellen

  • BGHR 2003, 1365-1367
  • BGHReport 2003, 1365-1367
  • BauR 2003, 1924-1926 (Volltext mit amtl. LS)
  • BauRB 2003, V Heft 7 (Kurzinformation)
  • DB 2003, X Heft 39 (amtl. Leitsatz)
  • DS 2004, 63-64
  • DSB 2004, 16
  • DSB * 2004, 16 (Kurzinformation)
  • EBE/BGH 2003, 314-315
  • FamRZ 2003, 1830-1831 (Volltext mit amtl. LS)
  • HFR 2004, 271-273
  • IBR 2003, 645
  • JZ 2003, 604 (amtl. Leitsatz)
  • JZ Information 2003, 604* (amtl. Leitsatz)
  • K&R 2003, 571-573 (Volltext mit amtl. LS)
  • KF 2004, 68
  • MDR 2004, 46-47 (Volltext mit amtl. LS)
  • MMR 2003, 719 (Volltext mit red. LS)
  • NJW 2003, 3487-3488 (Volltext mit amtl. LS)
  • ProzRB 2003, 353-354 (Volltext mit amtl. LS)
  • ProzRB 2003, V Heft 11 (Kurzinformation)
  • VersR 2004, 1287-1288 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 2004, 648-650 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZFE 2003, 343 (Volltext mit red. LS)
  • ZfBR 2003, 766-768 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Maßgeblich für die Zeitbestimmung, die erforderlich ist, um die Einhaltung von prozessualen Fristen zu beurteilen, ist die gesetzliche Zeit im Sinne von §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung vom 25. Juli 1978 (BGBl.. I 1110, ber. 1262).

  2. b)

    Zur Bedeutung des Zeitnachweises in Abrechnungen von Telekommunikationsverbindungen der Telekom für die Ermittlung der gesetzlichen Zeit, wenn die Zeitangabe der Abrechnung von der Zeitangabe eines gerichtlichen Telefaxgerätes abweicht.

In der Rechsbeschwerdesache
hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat am 24. Juli 2003
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und
die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. Februar 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

1.

Die Beklagte hat gegen ein Endurteil des Landgerichts M. Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist bis zum 9. Dezember 2002 verlängert worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat die Berufung mit Telefax begründet. Nach seiner Behauptung ist das Fax am 9. Dezember 2002 um 23.58 Uhr beim Oberlandesgericht M. vollständig eingegangen. Zum Beleg hat er eine Abrechnung der Telekom übergeben, wonach mit der Sendung um 23:46:49 Uhr begonnen wurde und die Sendung 11:14 Minuten dauerte. Das Empfangsjournal des Oberlandesgerichts weist als Empfangsbeginn 23:53 Uhr, eine Sendedauer von 11:15 Minuten und als Ende des Ausdrucks 00:04 Uhr aus. Der Aufdruck auf der Kennung des Telefaxgerätes des Prozessbevollmächtigten der Beklagten weist als Sendebeginn 00:52 und als Sendeende 01:02 auf. Auf diesem Gerät war noch die Sommerzeit eingestellt.

2

2.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Berufung sei rechtzeitig eingegangen. Hilfsweise hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Bürokraft ihres Prozessbevollmächtigten habe das Faxgerät ohne seine Kenntnis auf eine langsamere Datenübertragung umgestellt. Dieser habe das beim ersten Versuch, die Berufungsbegründung per Telefax zu übersenden, alsbald gemerkt, den Vorgang abgebrochen, das Gerät zurückgestellt und sodann die Berufungsbegründung vollständig übersandt. Eine eventuelle Überschreitung der Begründungsfrist sei auf das nicht autorisierte Verhalten der Bürokraft zurückzuführen und von der Beklagten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten.

3

II.

1.

Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.

4

Die Berufung sei erst am 10. Dezember 2002 eingegangen. Das ergebe sich aus den Journalen sowohl des Faxgerätes des Oberlandesgerichts als auch des Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Die Abrechnung der Telekom könne nicht überzeugen, weil es insoweit nur auf die Sendedauer, nicht aber auf die genaue Zeiterfassung des Vorgangs ankomme. Die Zeiten der Telekom stimmten auch nicht mit der Zeitangabe eines anderen Faxgerätes des Oberlandesgerichts überein.

5

2.

Das Berufungsgericht hat auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte, der die Berufungsbegründung in letzter Minute abgesendet habe, hätte sich von dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Telefaxgerätes überzeugen müssen. Er hätte sich nicht darauf verlassen dürfen, dass Einstellungen noch vorhanden gewesen seien, die ca. 4 bis 5 Tage zuvor vorhanden waren.

6

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

1.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Denn es ist zu klären, welche Anforderungen an die Ermittlung der Zeit zu stellen sind, die für die Einhaltung von Fristen maßgeblich ist.

8

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

9

a)

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass es darauf ankommt, ob der vollständige Schriftsatz am 9. Dezember 2002 eingegangen ist. Eine Übermittlung ist durch Telefax möglich. Vorausgesetzt wird allerdings, dass das Fernschreiben unmittelbar von der Fernschreibestelle des Gerichts aufgenommen wird, dass es seinem Inhalt nach den Anforderungen entspricht, die die Prozessordnung an bestimmende Schriftsätze stellt und dass es abschließend - als Ersatz der an sich erforderlichen, technisch aber nicht möglichen Unterschrift - den Namen des Erklärenden anführt (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. April 2000 - GmS-OBG 1/98, BGHZ 144, 160, 164).

10

b)

Maßgebend ist dabei, ob der Inhalt des Telefaxes vollständig bis zur abschließenden Namenskennzeichnung am 9. Dezember 2002 eingegangen ist. Auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die abschließende Namenskennzeichnung durch eine Unterschrift zu erfolgen hat, kommt es nicht an. Denn die Begründung ist unterschrieben. Die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob es auf den Eingang der elektronischen Signale oder den Ausdruck ankommt, stellt sich nach der Auskunft der Einlaufstelle des Oberlandesgerichts M. nicht. Danach erfolgt der Empfang der Sendung zeitgleich mit dem Ausdruck.

11

c)

Ob ein Schriftsatz binnen einer bestimmten Frist eingegangen ist, richtet sich danach, ob er vor Beginn desjenigen Tages eingeht, der dem Fristende folgt. Dieser Tag beginnt um 00:00 Uhr. Maßgeblich ist die gesetzliche Zeit, denn im amtlichen und geschäftlichen Verkehr werden Datum und Uhrzeit nach der gesetzlichen Zeit verwendet. Die gesetzliche Zeit ist die mitteleuropäische Zeit. Diese wird von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dargestellt und verwaltet, vgl. §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung (ZeitG) vom 25. Juli 1978 (BGBl. I S. 1110, ber. S. 1262).

12

d)

Die Beklagte hat zu beweisen, dass die Berufung rechtzeitig begründet worden ist. Das Berufungsgericht hat von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Umstände, wie sie sich aus dem Akteninhalt ergeben, zu prüfen (BGH, Urteil vom 14. März 2001 - XII ZR 51/99, ZIP 2001, 718, 719). Dem genügt die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nicht. Es würdigt den Umstand, dass die Telekom in ihrer Abrechnung das Ende des Sendevorgangs mit 23:58 Uhr angegeben hat, nur unvollständig.

13

Mangels entgegenstehender Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Zeitangabe der Telekom auf ihrer Kundenabrechnung sich aus einer Zeitermittlung ergibt, die unter regelmäßiger Abgleichung mit einem amtlichen Zeitnormal erfolgt. Die Telekom ist nach § 5 Nr. 1 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV) vom 11. Dezember 1997 (BGBl.. I 2910), geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung vom 14. April 1999 (BGBl.. I 705), verpflichtet, bei der Abrechnung die Dauer zeitabhängig tarifierter Verbindungen von Telekommunikationsleistungen für die Öffentlichkeit unter regelmäßiger Abgleichung mit einem amtlichen Zeitnormal zu ermitteln. Diese Voraussetzungen für die Abrechnung sind durch ein Qualitätssicherungssystem sicherzustellen oder einmal jährlich durch vereidigte, öffentliche bestellte Sachverständige oder vergleichbare Stellen überprüfen zu lassen, § 5 Nr. 3 TKV. Diese Regelungen gewährleisten eine möglichst genaue Zeiterfassung. Es spricht deshalb alles dafür, dass eine nach diesen Grundsätzen ermittelte Sendezeit dem amtlichen Zeitnormal entspricht. Anderweitig ermittelte Uhrzeiten haben demgegenüber geringeren Beweiswert, wenn nicht dargelegt wird, dass sie sich ebenfalls vom amtlichen Zeitnormal ableiten. Es fehlen jegliche Feststellungen dazu, dass die Uhrzeiten, auf die das Berufungsgericht zurückgreift, sich vom amtlichen Zeitnormal ableiten. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass die Uhren des Oberlandesgerichts M. in einer Weise mit dem amtlichen Zeitnormal verglichen werden, dass die von der Telekom angegebene Zeit dadurch erschüttert würde. Auch der Umstand, dass nicht nur die Uhr des Empfangsgerätes, sondern auch die eines anderen Gerätes und die Uhr des Sendegerätes andere Zeiten auswiesen als die von der Telekom angegebene Zeit, vermögen den Beweiswert der Telekomangaben nicht ohne weiteres zu erschüttern. Uhren, die sich nicht an dem amtlichen Zeitnormal orientieren, sind unzuverlässig. Das ist eine allgemeine Lebenserfahrung und zeigt sich auch daran, dass die Zeitangaben aller drei Uhren nicht übereinstimmen.

14

Die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht eine Heranziehung der in der Abrechnung der Telekom genannten Zeit zurückweist, sind nicht tragfähig. Sie setzen voraus, dass die Telekom trotz der ihr auferlegten Verpflichtung in der Abrechnung eine Zeitangabe aufnimmt, die der von ihr unter Abgleichung am amtlichen Zeitnormal ermittelten Zeit nicht entspricht. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Dagegen spricht die Verfügung 168/199 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Amtsblatt der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 1999, 4101). Soweit das Berufungsgericht meint, für die Abrechnung komme es nur auf die Sendedauer, nicht aber auf die genaue Zeiterfassung an, kann ihm schon deshalb nicht gefolgt werden, weil es vom Zeitpunkt der Telekommunikationsdienstleistungen abhängige Tarife gibt, sodass auch der genaue Sendebeginn wichtig ist. Im Übrigen hätte die Auffassung des Berufungsgerichts nur dann Überzeugungskraft, wenn die Telekom zwar die Zeitdauer nach dem vorgeschriebenen System erfassen würde, nicht aber den Sendeanfang oder das Sendeende oder wenn die Telekom zwar die Zeit der Verordnung entsprechend erfassen würde, diese Erfassung jedoch auf der Abrechnung nicht erschiene. Beides ist so fern liegend, dass es ohne eine weitere Aufklärung nicht unterstellt werden konnte.

15

Nach dem augenblicklichen Stand des Verfahrens besteht eine hinreichende Sicherheit, dass die Berufungsbegründung um 23:58 Uhr beim Berufungsgericht eingegangen ist. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, sodass die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Soweit das Berufungsgericht seine Zweifel hinsichtlich der Zeitangaben in der Abrechnung trotz der im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Auskunft aufrecht erhält, wird es eine weitere Auskunft der Telekom einzuholen haben. Außerdem erhält das Berufungsgericht Gelegenheit, amtliche Auskünfte darüber einzuholen, wie die Zeitangaben auf den Telefaxgeräten des Gerichts zu Stande gekommen sind und ob gewährleistet ist, dass sie mit dem amtlichen Zeitnormal übereinstimmen. Schließlich wird das Berufungsgericht den weiteren Einwendungen der Klägerin nachgehen können.

16

IV.

Soweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist, ist der Beschluss ebenfalls aufzuheben. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist hilfsweise gestellt worden. Eine Entscheidung ergeht nur, wenn die Berufung als unzulässig verworfen wird. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass er die Auffassung des Berufungsgerichts zum Wiedereinsetzungsantrag teilt.