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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 07.05.1998, Az.: 4 StR 88/98

Offensichtlicher Schreibfehler; Maßgebende Sitzungsniederschrift; Kenntnis der eigenhändigen Verwirklichung des Regelbeispiels

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
07.05.1998
Aktenzeichen
4 StR 88/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 16377
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stendal - 22.11.1996

Fundstelle

  • NStZ-RR 1999, 45 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

gefährliche Körperverletzung u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 7. Mai 1998
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 22. November 1996, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Stendal - Jugendschöffengericht - zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "eines schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung" zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils; einer Entscheidung über die Verfahrensbeschwerden bedarf es deshalb nicht.

2

1.

Die Revisionsbegründungsfrist ist abgelaufen, der Senat kann in der Sache entscheiden. Weder das nicht fehlerfreie Rubrum (vgl. BGH NStZ 1989, 584) noch die Verwechslung mit früheren Mitangeklagten bei der Darstellung der persönlichen Verhältnisse führen zur Unwirksamkeit der Urteilszustellung. Das gleiche gilt für die zweimalige - dazu inhaltlich unterschiedliche - Aufnahme des den Angeklagten betreffenden Urteilstenors. Ein ordnungsgemäßer Berichtigungsbeschluß des Landgerichts ist allerdings, wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausführt, nicht ergangen. Indessen liegt insoweit, als einmal - bei ansonsten identischem Wortlaut - eine Freiheitsstrafe von "neun Monaten" genannt wird, ein offensichtlicher Schreibfehler vor. Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der nach § 274 StPO maßgebenden Sitzungsniederschrift (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 10; Kroschel/Meyer-Goßner, Die Urteile in Strafsachen, 26. Aufl. S. 15 f.). Aus dem dort protokollierten, in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin verkündeten Urteilstenor folgt, daß der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (mit Bewährung) verurteilt worden ist.

3

2.

Das Urteil ist bereits deswegen aufzuheben, weil es im Hinblick auf den Angeklagten Beweisgründe und Beweiswürdigung vermissen läßt. Dies ist auf Sachrüge zu beachten (vgl. BGH GA 1965, 208 f.; StV 1984, 64; Kroschel/Meyer-Goßner aaO S. 119 f.; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 337 Rdn. 145, 149).

4

Das angefochtene Urteil enthält zwar in der - überflüssigen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 267 Rdn. 12) - Aufzählung der verwendeten Beweismittel den Hinweis auf die "Einlassungen der Angeklagten, soweit ihnen gefolgt werden konnte". Indessen wird die Einlassung des Angeklagten nicht mitgeteilt, so daß das Revisionsgericht nicht nachprüfen kann, ob die Überzeugung des Tatrichters auf tragfähigen Erwägungen beruht (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1985, 323; OLG Köln VRS 87, 205 f.). Auf die Wiedergabe der Einlassung und deren Würdigung anhand der erhobenen Beweise konnte hier nicht wegen einfacher Sach- und Beweislage verzichtet werden (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1975, 198). Vielmehr mußte das Landgericht seine Überzeugung von Art und Umfang der Beteiligung des Angeklagten an dem komplexen Gesamtgeschehen begründen. Dem steht nicht entgegen, daß die Strafkammer dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zugute hält, "daß er zumindest teilweise geständig war." Der Inhalt dieses Teilgeständnisses wird nämlich rechtsfehlerhaft nicht mitgeteilt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Geständnis 1). Das Urteil gibt auch keine den Angeklagten belastenden Zeugenaussagen wieder; soweit Einlassungen von zwei der drei früheren Mitangeklagten dargelegt werden, verhalten sich diese ebenfalls nicht zur Beteiligung des Angeklagten.

5

3.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

6

a)

Im Falle einer erneuten Verurteilung wegen Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird eingehender darzulegen sein, ob die Handlungen des Angeklagten und seiner Begleiter geeignet waren, die öffentliche Sicherheit zu gefährden (vgl. BGH NStZ 1993, 538; von Bubnoff in Leipziger Kommentar StGB 11. Aufl. § 125 Rdn. 44; Tröndle StGB 48. Aufl. § 125 Rdn. 4).

7

b)

Im rechtlichen Ausgangspunkt bedenkenfrei ist die Annahme des Landgerichts, außerhalb der in § 125 a Satz 2 StGB genannten Regelbeispiele komme ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs in Frage, wenn der Täter - wie nach den bisherigen Feststellungen hier der Angeklagte - Rädelsführer der Menschenmenge ist. Die Strafverschärfung setzt indessen die Prüfung voraus, ob der Ausnahmestrafrahmen unter Berücksichtigung des gesamten Tatbildes, der Täterpersönlichkeit und aller besonderen Umstände geboten erscheint (von Bubnoff aaO § 125 a Rdn. 1, 10; Tröndle aaO § 125 a Rdn. 7; vgl. zu § 243 StGB BGHSt 29, 319, 322). Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung wird hier auch zu beachten sein, daß der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen in Kenntnis der eigenhändigen Verwirklichung des Regelbeispiels in § 125 a Satz 2 Nr. 2 StGB durch seine Mittäter gehandelt hat (vgl. Tröndle aaO § 125 a Rdn. 8). Das Vorliegen der Strafzumessungsregel des § 125 a StGB ist nicht in die Urteilsformel aufzunehmen (vgl. BGHSt 27, 287, 289; BGH, Beschluß vom 11. März 1998 - 3 StR 591/97; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 25).

8

4.

Der Senat hat von der Möglichkeit nach § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch gemacht, da die Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts zur Erledigung der Strafsache ausreicht.

Meyer-Goßner
RiBGH Maatz ist wegen Urlaubs gehindert, seine Unterschrift beizufügen. Meyer-Goßner
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